Energiewende mit mehr Atomkraft – ein Rohrkrepierer

Die "strahlende" Zukunft scheint zum Scheitern verurteilt. Symbolbild: Sly auf Pixabay (Public Domain)

Schwedens aktuelle Regierung warb im Wahlkampf für ein Revival der Risikotechnologie. Doch so einfach ist das nicht. Was sonst noch gegen eine Verklärung spricht.

In Deutschland sind nun die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet. In Schweden hat dagegen vor einem halben Jahr eine Regierung das Ruder übernommen hat, die explizit Wahlkampf mit "mehr Atomkraft" gemacht hat. Doch wie sieht es aus mit der "Energiewende zum Atom" in Schweden?

Die Regierung hat sich der Realität beugen müssen: Abgeschaltete Atomkraftwerke lassen sich nicht einfach wieder anknipsen. Fertig geplante Offshore-Windparks, gegen die man noch Wahlkampf gemacht hat, wurden genehmigt. Schritte in Richtung Atom-Neubau gibt es allerdings: Vattenfall arbeitet an einer Vorstudie für zwei kleine modulare Reaktoren bei Ringhals.

Alte Atomkraftwerke wieder anzuschalten kann eine sehr populäre Forderung sein – in Schweden machten Moderate, Christdemokraten, Liberale und die rechten Schwedendemokraten damit sogar Wahlkampf. Aber es ist nicht möglich – nicht bei den deutschen Akw und noch weniger bei den schwedischen Reaktoren Ringhals 1 und 2, die seit Ende 2019 und Ende 2020 still liegen.

Der Rückbau ist dort schon weit fortgeschritten. "Total unmöglich", sagt Ringhals-Chef Björn Linde gegenüber Reportern, angesprochen auf die Politiker-Pläne. Nicht zu vergessen: Vattenfall hatte diese beiden Reaktoren aus eigenem Antrieb stillgelegt, weil eine Modernisierung der 44 Jahre alten Reaktoren nicht wirtschaftlich gewesen wäre.

Genehmigung für Offshore-Windparks

Neben der Idealisierung der Atomkraft war die Verteufelung der Windenergie ein Kennzeichen der heutigen schwedischen Regierungsparteien. Unter anderem machten sie Wahlkampf mit perspektivisch überdimensionierten Windkraftanlagen und solchen, die aussahen, als stünden sie in Strandnähe.

Mitte Mai erteilte die neue Regierung nun aber die Genehmigung für die geplanten Offshore-Windparks von Varberg (Galene) und Falkenberg (Kattegatt Syd) an der Westküste, jeweils gut 20 Kilometer weit draußen auf dem Meer. Zusammen sollen sie 6,5 Terawattstunden Strom im Jahr bringen, ungefähr so viel wie einer der alten Ringhals-Reaktoren.

"Wir sind in Sachen Energie in einer schwierigen Lage, bei der alle guten Kräfte benötigt werden", heißt es nun von Seiten der Christdemokratin Ebba Busch, Energie- und Wirtschaftsministerin. Die Kombination der verschiedenen Formen von Energieerzeugung sei eine Stärke. Ihre Parteikollegen an der Westküste waren nicht erfreut. Weitere Windpark-Projekte sind noch in der Genehmigungs-Warteschleife.

Im vergangenen Winter waren die Strompreise zeitweise sehr hoch – dazu beigetragen hatte unter anderem, dass das Akw Ringhals 4 von Ende August 2022 bis Ostern 2023 wegen eines Defekts komplett still stand, Oskarshamn 3 phasenweise für Reparaturen vom Netz genommen werden musste und Finnland sein Stromdefizit mangels Import aus Russland allein über Schweden deckte.

Finnlands neues großes Akw Olkiluoto 3 läuft bekanntlich erst seit April 2023 im Regelbetrieb. Für eine Regierung, die günstigere Strompreise versprochen hatte, war das kein guter Start. Allerdings kann auch eine atomfreundliche Regierung neue Kraftwerke nicht von heute auf morgen aus dem Hut zaubern. Ebba Busch spricht selbst von acht bis 16 Jahren – sieht man sich die Erfahrungen mit anderen europäischen Neubauprojekten an, eher letzteres.

Als ersten Schritt legte die Regierung im Januar einen Gesetzesentwurf vor, der das Verbot von Reaktorneubauten aufhebt sowie die Beschränkung auf die drei Standorte, die heute schon in Betrieb sind. Man darf in diesem Zusammenhang auch erwarten, dass das Verbot von Uranabbau in Schweden wieder rückgängig gemacht wird.

Zurzeit laufen noch sechs Reaktoren in Schweden: Ringhals 3 und 4, Forsmark 1,2, und 3 sowie Oskarshamn 3, alle mit Start in den 1980er Jahren. Bisher gilt eine Laufzeit von 60 Jahren, Vattenfall-Chefin Anna Borg kann sich aber auch noch 20 Jahre länger vorstellen

Zukunft SMR?

Das staatseigene Unternehmen Vattenfall hatte schon vor dem Regierungswechsel eine Vorstudie gestartet, die die Chancen und Bedingungen für zwei kleine moduläre Reaktoren (small modular reactors, SMR) bei Ringhals ermitteln soll. Dazu gehören sehr konkrete Ermittlungen zu potenziellen Modellen und die Möglichkeit, diese ans Netz anzuschließen.

Ringhals als Standort dürfte unproblematisch sein, weil von dort aus ja schon früher vier AKW einspeisten. SMR sind aktuell die Hoffnungsträger der Branche – dadurch sollen Kostenexplosionen und Verzögerungen wie bei Olkiluoto 3 ebenso vermieden werden wie die Probleme, die ein Start oder schneller Wegfall einer einzigen großen Energiequelle für das Netz mit sich bringen. Auch Fortum in Finnland prüft diese Option. Der Beweis, dass sie wirklich wirtschaftlicher sind, steht jedoch noch aus, und Probleme dieser Technologie insgesamt wie beispielsweise strahlenden Müll sind dadurch nicht beseitigt.

In Sachen Endlager ist Schweden nicht ganz so weit wie Finnland, aber die Technologie zu Verwahrung gebrauchter Brennstäbe wurde gemeinsam entwickelt. Vorgesehen ist ein Lager im Felsgrund von Forsmark in der Kommune Östhammar. Für die weitere Planung dort gab noch die frühere Regierung im Januar 2022 grünes Licht. Finanziert wird das Endlager von den Kraftwerksbetreibern, die dafür seit den 1970er-Jahren Geld in den staatlichen "Kärnavfallfonden" einzahlen.

Ein wichtiger Punkt bei jeder Diskussion um die Energieversorgung ist die Netzstabilität. Wie unangenehm sich ein plötzlicher Ausfall auswirken kann, bekamen am 26. April 2023 die Stockholmer zu spüren: Ein Fehler bei Wartungsarbeiten am Netz führte zu einem Kurzschluss und zu einem Spannungsabfall, der sieben Sekunden dauerte.

Diese Instabilität im Netz löste bei den Akw Forsmark 1 und 2 eine automatische Abschaltung aus, denn ein Akw muss seinen Strom abtransportieren können. Gleichzeitig fiel weiträumig in Stockholm der Strom aus, auch die U-Bahn blieb stehen. Der Stromausfall war schnell behoben, aber es dauerte drei Tage, bis die beiden Atomkraftwerke wieder voll im Einsatz waren.

Grundlage für Stahlproduktion ohne Kohle

Schwedens Industrie möchte erwartungsgemäß viel und billigen Strom. Für Jan Moström, Geschäftsführer des staatlichen Bergbaukonzerns LKAB, ist neben dem Preis außerdem wichtig, dass die Stromproduktion nun schnell steigt, denn das Unternehmen hat seine Umstellung auf fossilfreie Erzförderung und -verarbeitung bereits eingeleitet. Fossilfrei erzeugter Eisenschwamm soll die Grundlage bilden für eine Stahlproduktion ohne Kohle bei Geschäftspartner SSAB. Wasserstoff ist bei diesem Prozess nicht nur Energieträger, sondern auch Reduktionsmittel.

Mit der Umstellung könnte Schweden seinen CO2-Ausstoss um zehn Prozent senken. Die jetzt in Gällivare geplante Eisenschwamm-Anlage würde allerdings allein fünf Terawattstunden Strom im Jahr benötigen, hauptsächlich für die Herstellung von Wasserstoff. Mit der schwankenden Stromproduktion durch Wind könnte man aber umgehen, so Moström Anfang 2022 in einem Interview: Bei viel Wind könne billig Wasserstoff produziert werden, der dann in Flautenphasen verkauft oder verbraucht werde.

Deutschland ist aus der Atomkraft ausgestiegen und kann nun zeigen, dass es auch ohne geht. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die Technologie mit zunehmendem Abstand von manchen verklärt wird. Ein Atomkraftwerk ist keine Black Box, aus der wundersamerweise massenhaft Strom fließt. Der Brennstoff muss irgendwo herkommen, und der Abbau ist alles andere als gesund und umweltfreundlich – man frage gerne das Personal der früheren SDAG Wismut, falls man noch jemanden davon findet.

Das verbrauchte Material muss irgendwo hin – und nicht einmal für das, was schon angefallen ist, gibt es in Deutschland ein Endlager. Markus Söder, der nun am liebsten Isar 2 in Regie des bayerischen Staates weiterbetreiben möchte, war gegen ein Endlager in Bayern.

Um eine realistische Auffassung davon zu bewahren, was Atomkraft nach europäischen Standard leisten kann und was nicht, sollte man deshalb regelmäßig einen Blick in die Nachbarländer werfen. Zum einen nach Frankreich, wo, vergleichbar mit Deutschland, inzwischen im Sommer das Kühlwasser fehlt. Zum anderen nach Finnland und Schweden, wo man studieren kann, wie sich Atomkraft im Wettbewerb mit den anderen Formen der Energieerzeugung schlägt.

So wurde das neue Kraftwerk Olkiluoto 3 in Finnland jüngst gedrosselt, weil einfach zu viel Strom vorhanden und der Preis bereits in den Minusbereich gesunken war. Normalerweise werden dann die Wasserkraftwerke gedrosselt.

Dies war aufgrund des starken Frühjahrshochwassers in Nordfinnland aber nicht möglich – das Wasser musste weg. Für Betreiber TVO wäre die Stromerzeugung ein Verlustgeschäft gewesen. Auch bei viel Wind gab es schon die Situation, dass der Strompreis im gemeinsamen nordischen Energiepool negativ wurde – und diese Situation wird es in Zukunft vielleicht häufiger geben, als es TVO lieb ist.

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