15-Minuten-Städte: "Klima-Lockdown" oder Lebensqualitäts-Booster?

Seite 2: Smart-City-Ansatz mit dem Menschen im Zentrum

Einer 2018 veröffentlichten Modellrechnung der UN zufolge werden 2050 mehr als zwei Drittel aller Menschen in Städten leben. Gemäß der (umstrittenen) Annahme eines kontinuierlichen Bevölkerungswachstums, die dem Modell zugrunde liegt, sind es insgesamt 2,5 Milliarden mehr Menschen als heute.

Dennis Meadows, Mitverfasser des berühmten limits to growth-Berichts des Umwelt-Think-Tanks Club of Rome äußerte 2017 seine Überzeugung, dass drohende Ressourcenkonflikte aufgrund eines zunehmenden Bevölkerungswachstums wohl nur mithilfe von "smarten Diktaturen" abgewendet werden könnten.

Im selben Jahr, in dem Moreno sein 15-Minuten-Modell vorstellt, präsentiert das Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen (UN-Habitat) seine sogenannte New Urban Agenda. Sie legt fest, wie die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (SDGs) auf stadtplanerischer Ebene erreicht werden sollen.

Wie die Vereinten Nationen und das Weltwirtschaftsforum (WEF), das den UN als "strategischer Partner" bei der Umsetzung der SDGs zur Seite steht, verpflichtet sich auch Moreno dem hochtechnisierten "Smart-City-Ansatz"2:

Die Verfügbarkeit von IoT [Internet of Things]-Geräten, die laut [dem indischen Informatikprofessor Tanweer] Alam bis 2025 mehr als 75 Milliarden Geräte umfassen wird, in Verbindung mit Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI), Big Data, maschinellem Lernen, Crowd Computing und anderen wird voraussichtlich das vorgeschlagene Konzept der 15-Minuten-Stadt verwirklichen […] Der Einsatz von Blockchain, Smart Contracts und fiskalischen Instrumenten kann mit Stadtentwicklungsrechten und Transaktionskosten verrechnet werden.

Carlos Moreno

Jener Smart-City-Ansatz (auch Algokratie, v. Algorithmus) ist aufgrund der Implikationen um Überwachung und Bevölkerungskontrolle mehrfach in die Kritik geraten, zuletzt im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Ukraine. Zukunftsszenarien, in denen Algorithmen demokratische Wahlen ersetzen oder schon heute implementierte Punktesysteme, die über die gesellschaftliche Teilhabe entscheiden, nähren entsprechende Befürchtungen.

Von den "fiskalischen Instrumenten" ganz zu schweigen.

Moreno betont hingegen, dass sein 15-Minuten-Modell nichts mit den Experimenten in Masdar (Arabische Emirate), Songdo (Südkorea) oder Alphabets bzw. Sidewalk Labs’ historischem Scheitern im kanadischen Toronto zu tun habe, die als "Grünpause für nachhaltige urbane Entwicklung" (Masdar) angekündigt und als zerbrochener, "utopischer High-Tech-Traum" (Songdo) in die Geschichte eingegangen sind.

Wie Toronto verspricht auch der französische Stadtplaner, statt den Profit (wieder) den Menschen in den Fokus zu rücken3:

Das Potenzial des Smart-City-Konzepts [...] wurde durch die unternehmerische Ausrichtung der Anbieter von ICT [=Informations]-Technologien überschattet, die sich ausschließlich an den lukrativen Gewinnspannen orientieren, die dieses Modell bietet (das im Jahr 2020 auf 410,8 Mrd. USD geschätzt wird und bis 2025 voraussichtlich auf über 820,7 Mrd. USD ansteigen wird).

Carlos Moreno

Auch, aber nicht nur mit Blick auf Toronto müssten neben diesen Profit-Interessen zudem die Bedenken gegenüber einer "Stadt der Überwachung" adressiert werden, die die Datenschutz-Beamten der kanadischen Stadt zum Rücktritt veranlassten.