2,4 Millionen Gaias

Leben im Weltraum dürfte weit verbreitet sein

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Siegfried Franck, Professor für Geophysik, Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam, über die Wahrscheinlichkeit von Leben im Weltall. Auf einer Tagung der ESA ging es kürzlich um Astrobiologie, auf der Franck und Kollegen eine Schätzung der "Anzahl der Gaias in der Milchstraße" vorstellten. Für ihn könnten auf dem Mars durchaus fossile Lebensspuren gefunden werden. Doch Raumfahrtprojekte wie "Darwin" oder "Terrestrial Planet Finder", die im kommenden Jahrzehnt die Atmosphären extrasolarer Planeten auf chemische Ungleichgewichte untersuchen sollen, sind für ihn aussichtsreicher. Für ziemlich unwahrscheinlich schätzt er aber die Möglichkeit ein, auf außerirdische Zivilisationen zu treffen.

Herr Franck, Sie haben auf einer Tagung zur Astrobiologie gerade die "Anzahl der Gaias in der Milchstraße" geschätzt. Da erstaunt mich etwas die Begriffswahl. Hätten es "bewohnbare Planeten" nicht auch getan?

Siegfried Franck: Ich habe bei dem Begriff "bewohnbare Planeten" keine Berührungsängste. Aber die sogenannte "Gaia-Hypothese" von James Lovelock hat sich in unserer Community mehr und mehr durchgesetzt und wird eigentlich von allen namhaften Vertretern der Astrobiologie anerkannt.

Was verstehen Sie darunter?

Siegfried Franck: Wir definieren Gaia als Planeten mit einer global agierenden Biosphäre. Nach unserem Modell würde diese Biosphäre mit den anderen Komponenten des Planeten, insbesondere mit der Atmosphäre, über Fotosynthese, also die Umwandlung von Licht in chemische Energie, in Wechselwirkung stehen. Das ist vielleicht ein kleiner Nachteil, denn in jüngster Zeit mehren sich die Hinweise, dass Leben möglicherweise auch ohne Fotosynthese existieren könnte. Das hat in jüngster Zeit den Jupitermond Europa zu einem heißen Kandidaten bei der Suche nach außerirdischen Lebensformen gemacht. Wir verfolgen diese Forschungen natürlich mit großem Interesse, konnten sie in unserem Modell aber noch nicht berücksichtigen.

Wie viele Gaias haben Sie auf diese Weise in unserer Milchstraße ermittelt?

Siegfried Franck: 2,4 Millionen.

Die müssen aber nicht alle von hoch entwickelten Lebewesen bewohnt sein.

Siegfried Franck: Nein. Unsere Arbeit besteht aus zwei Teilen. Zunächst haben wir uns mit der Berechnung sogenannter habitabler Zonen befasst. Das sind die Bereiche in der Umgebung eines Sterns, in denen eine auf Fotosynthese beruhende Biosphäre existieren kann. In unserem Sonnensystem etwa wäre die Position der Venus nie für die Existenz von Leben geeignet gewesen, die des Mars dagegen schon. Diese habitablen Zonen haben wir für verschiedene Sternmassen berechnet. Astronomen suchen ja derzeit fieberhaft nach erdähnlichen Planeten in anderen Sternsystemen. Wenn, wie allgemein erwartet wird, schon bald die ersten entdeckt werden, können wir mit Hilfe unseres Modells gleich sagen, ob sie in der habitablen Zone liegen.

Das heißt, dort könnte Leben existieren, muss aber nicht.

Siegfried Franck: Genau. Der zweite Teil unserer Arbeit befasst sich mit der sogenannten Drake-Gleichung. Diese von Frank Drake entwickelte Formel dient dazu, die Zahl hochentwickelter Zivilisationen im All zu schätzen, und enthält besonders im hinteren Teil Terme, die hoch spekulativ sind. Wir haben uns auf den vorderen Teil der Formel beschränkt, um zu berechnen, wie viele Planeten mit einer global agierenden Biosphäre es geben könnte. Die Frage nach höher entwickelten Lebensformen oder gar kontaktbereiten Zivilisationen haben wir bewusst ausgeklammert. Der Zahl der Gaias in unserem Sinn liegen die ersten vier Faktoren der Drake-Gleichung zugrunde: Die Zahl der Sterne in der Milchstraße, der Anteil der Sterne mit Planeten, die Zahl der Planeten in habitablen Zonen und viertens die Wahrscheinlichkeit, mit der auf einem Planeten in der habitablen Zone tatsächlich Leben entsteht.

Wie viele Sterne gibt es in der Milchstraße?

Siegfried Franck: Deren Zahl liegt im Bereich von mehreren hundert Milliarden. Der Anteil der Sterne mit Planeten wird nach den Entdeckungen der letzten Jahre auf ein bis mehrere Prozent geschätzt.

Wie genau sind denn diese Schätzungen?

Siegfried Franck: Man hat ja schon über 60 extrasolare Planeten entdeckt, kennt die Verteilung dieser Planetensysteme und kann auf Grundlage dieser Daten recht gut begründete Kalkulationen anstellen. Etwas Spekulation ist natürlich immer noch dabei, aber auf jeden Fall deutlich weniger als noch vor zehn Jahren.

Mit der Frage nach komplexem Leben, wie sie von Peter D. Ward und Donald Brownlee in ihrem Buch "Unsere einsame Erde" aufgeworfen wird, haben Sie sich gar nicht beschäftigt?

Siegfried Franck: Nein, das ist uns noch zu spekulativ. Bei der Frage nach der Häufigkeit des Lebens allgemein stimmen wir mit Ward und Brownlee weitgehend überein. Sie sagen ja auch, dass das Leben an sich im Weltall weit verbreitet ist. Die Bedingungen, die sie für die Entwicklung komplexer Lebensformen formulieren, sind aber eher qualitativer Natur und nach dem heutigen Kenntnisstand gar nicht näher zu bestimmen. So argumentieren sie etwa, dass ein Riesenplanet das Zentralgestirn im richtigen Abstand umkreisen muss, um Planeten in der habitablen Zone vor Kometen- und Asteroideneinschlägen zu schützen. Dieser Effekt lässt sich überhaupt noch nicht quantifizieren, ebenso wenig die Auswirkungen solcher Einschläge auf die Entwicklung des Lebens. Es gibt ernst zu nehmende Theorien, die davon ausgehen, dass die Evolution durch derartige Katastrophen auch voran getrieben werden kann.

Rechnen Sie damit, in unserem Sonnensystem außerirdisches Leben zu finden?

Siegfried Franck: Ich halte es für durchaus möglich, dass wir auf dem Mars fossile Lebensspuren finden. Aber für noch hoffnungsvoller halte ich Raumfahrtprojekte wie "Darwin" oder "Terrestrial Planet Finder", die im kommenden Jahrzehnt die Atmosphären extrasolarer Planeten auf chemische Ungleichgewichte untersuchen sollen. Solche Ungleichgewichte, das hat Lovelock entdeckt, wären ein deutliches Zeichen für Leben.

Blenden Sie die mögliche Existenz außerirdischer Zivilisationen völlig aus Ihrer Arbeit aus?

Siegfried Franck: Nein. Diese Möglichkeit wird von seriösen Wissenschaftlern eigentlich auch nicht bestritten. Man muss sich aber fragen, ob der Aufwand, mit dem nach Signalen solcher Zivilisationen gesucht wird, beim heutigen Kenntnisstand gerechtfertigt ist.

Carl Sagan, der die Zahl hoch entwickelter Zivilisation in der Milchstraße auf eine Million geschätzt hat, hat auch den Aspekt der möglichen Selbstzerstörung solcher Zivilisationen ins Spiel gebracht.

Siegfried Franck: Das ist der letzte Faktor in der Drake-Gleichung, die mittlere Existenzzeit einer hoch entwickelten Zivilisation. Bezogen auf die gesamte Lebensdauer von Gaia ist sie sehr klein. Die Menschheit hat etwa hundert Jahre gebraucht von der Entdeckung elektromagnetischer Strahlen, die eine interstellare Kommunikation ermöglichen würden, bis zur möglichen Selbstzerstörung durch Atomwaffen. Das ist ein verschwindend kleiner Bruchteil der Milliarden Jahre, die Gaia existiert. Entsprechend gering sind die Chancen, mit anderen Zivilisationen in Kontakt zu treten.