2007 war ein gutes Jahr
... zumindest für die Musik. Ein Jahresrückblick und virtuelles Mixtape
Die Musikmagazine haben ihre Jahresbestenlisten längst veröffentlicht, die Radiosender spielen ihre Jahrescharts, die sich nicht von der Heavy Rotation unterscheidet. Wahre Perlen finden sich dort jedoch selten, auf internetaffine Konsumenten wird nicht geachtet. Was war musikalisch gut an 2007, das sich auch mehr (als Download) oder weniger (als Stream) im Netz findet?
Zum Einstieg gleich mal feste auf die Großen drauf: Der Brite Pete Green lieferte die Hymne für alle Social-Website-Verweigerer: I haven't got a Myspace, because Myspace fucking sucks, ein Song der stark im Anti-Folk des New York der Jahrtausendwende verankert ist. Oder war es doch Filk? Schließlich werden hier Nerd-Themen angesprochen, wie die Einengung der Musik im Internet auf eine Website, während doch viele Musiker ihr Angebot anderweitig verbreiten. Die Herkunft der Myspace-Gründer aus dem Spam-Business wird nicht thematisiert, sollte aber dennoch erwähnt werden.
Filk? Gibt es das noch? Aber ja, Gary Feldman liefert mit The Day The Routers Died ein gutes Beispiel hierfür ab. Aber gute Nerds machen natürlich nicht bei der Verballhornung von Folk- und Countrysongs halt, sie machen auch gute Rapmusik, Nerdcore. Der bekannteste Vertreter des Genres, MC Frontalot brachte ein neues Album heraus und feierte mit It Is Pitch Dark Zork und andere Textadventures. Natürlich gab es auch dieses Jahr eine Nerdcore Halloween Compilation, die nicht wirklich überzeugen konnte. Jedoch findet sich darauf der beste Songtitel des Jahres: Vampires Really Suck von MC Tanuki und Ultraklystron.
Bleiben wir beim Hip Hop: Deutscher Rap bleibt weiterhin dominiert von dumpf-doofen und gewaltverherrlichenden Inhalten, aber die besten der Germanistenlieblinge kehren zurück: Kinderzimmer Productions lieferten ein tolles Album mit der Hintergrundbeschallung für alle zukünftigen Amokläufer ab: Geh Kaputt! macht nun Ledernackens Amok Konkurrenz auf meinem Rechner, wenn wieder eine Meldung eintrifft.
2007 lief natürlich nicht für alle gut: Hausmusik ging pleite und mit ihnen hängen auch viele Labels jetzt am seidenen Faden, da ihnen der Vertrieb weggebrochen ist und teilweise noch Geldzahlungen ausstehen. Andere Labels gehen neue Wege: Sub Pop, die Entdecker von Nirvana und zu 49% in Besitz der Warner Music Group, legt allen Vinyl-Veröffentlichungen Downloadgutscheine für das Album als gezippte MP3-Dateien (mit akzeptablen 192 kBit/s cbr) bei. Das Album der großartigen Postrocker Kinski mit dem Song Plan, Steal, Drive musste ich also nicht von Plattenspieler aufnehmen, um es auf dem Rechner zu haben, sehr angenehm. Radiohead verschenkten ihr ganzes Album als Downloads, bevor sie es verkauften, schließlich waren sie die erste Band, die das tat erste Band, für die aus dieser Tatsache ein Hype kreiert wurde. Der New Yorker Rapper Talib Kwali bot sein Album Liberation Anfang des Jahres kostenlos zum Download an (für die Klangfetischisten: 320 kBit/s cbr, Radiohead spendierten nur 160 kBit/s), Ex-Superstar Prince verschenkte seine CD mit einer Sonntagszeitung, nachdem er jahrelang MP3-Alben für Mitglieder seines Fanclubs herausgab, ändert aber seine Meinung wohl im Stundentakt. Und Public Enemy begannen damit bereits Mitte der 1990er. Also Ihr Hypegeneratoren: Setzen, Sechs! Nachsitzen!
Gleichzeitig schafft es zum ersten Mal ein bei Youtube entdeckter Musiker und Tänzer auf Platz 1 der US-Singlecharts. Wie crank is dat denn?
The Police, Led Zeppelin und The Stooges treiben mit ihren Reunions die Umsätze der Konzertveranstalter in die Höhe, The Who feiern die Reunion ihrer Reunion ("Hope I die before I get old." Sorry, alter Gag, aber musste sein). Diesen Untoten des Rock wünscht man mc chris auf den Hals (siehe Video ganz unten).
Auch andere Labels gingen neue Wege, zum Beispiel wandte sich das klassische Post-Rock-Label Thrill Jockey anderer Musik zu und veröffentlichten ein Nebenprojekt der japanischen Noise-Combo Boredoms, OOIOO. Und wenn wir schon bei Japan sind: Chakkiri von A&E, hinter denen sich der Brite Andrew Sharpley (Stock, Hausen and Walkman) und seine japanische Ehefrau Emiko Ota (Urban Sax) verbergen, die in Paris leben.
Frischer Retrowind wehte in Gestalt von New Rave herüber: Die Energie des alten Rave und Acid, gespickt mit der Produktionstechnik der Gegenwart und E-Gitarren trieb viele Leute wieder auf die Tanzfläche. Simian Mobile Disco, auferstanden aus den Ruinen der IDM-Band Simian, riefen in Hustler zum Diebstahl von Tonträgern auf, und veräppelten damit ihre eigene Plattenfirma Wichita, deren Vertrieb über Universal läuft. Dazu feiern SHITDISCO eine Party im Reaktor.
Psychedelisch gingen die Jungs vom Animal Collective weiter durch das Jahr, ohne jedoch die Klasse ihrer frühen Alben zu erreichen, während ein Mitglied der Band ein wahnwitziges Popalbum produzierte: Person Pitch von Panda Bear klingt, als hätte Brian Wilson alle seine Drogen auf einmal konsumiert, insbesondere Take Pills ist ein Lied, das der Sommerhit geworden wäre, wenn die Verantwortlichen in den großen Plattenfirmen noch einen Funken der Experimentierfreude der 1960er Jahre hätten.
Abgerundet wird das Jahresendmixtape noch mit zwei Perlen: Zum einen mit Outer Space von Take Pills Die und der besten Coverversion des Jahres, Bell Lugosi is Dead von Makunouchi Bento. "Kein Dubstep?" werden manche fragen. Nein, kein Dubstep!