2G: Der Königsweg?

Seite 3: Zur Fehlerquote der Antigentests

In der Tat kam eine Studie, die die Antigentests im Februar und März dieses Jahres getestet hatte, zu einem Ergebnis, welches der genannten Sensitivität von 60 Prozent entspricht. Die Studie erschien im August.

Ganz aktuell veröffentlichte das Paul-Ehrlich-Institut jedoch die Ergebnisse einer Studie, in der Expertinnen und Experten des Instituts im Verbund mit Forschenden anderer Institutionen insgesamt 122 Covid-19-Antigen-Schnelltests auf Sensitivität und damit auf ihre Fähigkeit untersucht hatten, Sars-CoV-2 nachzuweisen.

Hierbei wurde als minimal akzeptierte Sensitivität ein Wert von 75 Prozent festgelegt. Das Ergebnis:

96 Antigen-Schnelltests erfüllten die geforderten Kriterien, teilweise mit sehr guten Ergebnissen, 26 Tests boten nicht die geforderte Sensitivität. Einige Tests zeigten wiederum eine sehr hohe Sensitivität.

Die schlechten Ergebnisse einiger Tests erklärt das Institut etwas überraschend:

Gemäß der aktuellen-Richtlinie für In-vitro-Diagnostika, die derzeit die Marktzulassung für IVDs in Europa regelt, können die Hersteller allerdings die Covid-19-Tests als "niedrigen Risikos" noch selbst zertifizieren und auf eine unabhängige Überprüfung der Tests verzichten, bevor sie sie auf den Markt bringen. Ab Mai 2022 wird sich dies ändern.

Entscheidend ist aber an dieser Stelle: Fast 80 Prozent der Schnelltests haben eine Sensitivität von mindestens 75 Prozent. Ein Großteil von ihnen sogar von 100 Prozent.

Daher stellt sich die Frage, ob bei einem Vergleich der Sicherheit von 2G und 3G nicht nach aktuellem Kenntnisstand von deutlich über 75 Prozent Sensitivität ausgegangen werden muss. Der Durchschnitt dürfte bei über 90 Prozent liegen. Und Schnelltests, die den vom Paul-Ehrlich-Institut gesetzten Standard nicht einhalten, sollten von Testzentren nicht mehr verwendet werden dürfen.

Tatsächlich ist es so, dass das Paul-Ehrlich-Institut nach eigenen Angaben nicht in den Vertrieb der Testsysteme eingebunden ist, sodass ihre Studie keinen Einfluss auf Nutzung oder Nutzungsstopp von Antigentests hat.

Zusammenfassend kann man sagen: Die Fehlerquote der Antigen-Schnelltests ist geringer als die Wahrscheinlichkeit von Impfdurchbrüchen, die derzeit bei 21,3 Prozent liegt. Auch unabhängig von deutschen Infektionszahlen kann man erkennen, dass die Sensitivität der Antigentests im Schnitt höher liegt als die durchschnittliche Impfwirksamkeit, wenn man etwa Ergebnisse aus Israel hierzu heranzieht, die belegen, dass der Schutz nach sechs Monaten nur noch bei 39 Prozent lag. Im Hinblick auf den Fremdschutz lässt sich also schlussfolgern, dass 2G vermutlich unsicherer als 3G ist.

Selbstschutz

Neben dem Fremdschutz erwähnt das RKI in ihrer Erklärung, warum 2G sicherer sei als 3G explizit auch den Selbstschutz:

Bei einer Impfeffektivität (VE) gegen Ansteckung von 50%: doppelt so hohes Ansteckungsrisiko für Ungeimpfte. Bei 66% VE 3-mal so hoch, bei 75% 4-mal so hoch, bei 90% 10-mal so hoch.

Sollte sich eine ungeimpfte Person anstecken, ist das Risiko für einen schweren Verlauf deutlich höher. Gehen wir beispielsweise von einer Impfeffektivität gegen Infektion von 65% aus und einem Schutz vor schweren Verläufen von ca. 95%, dann werden bei einer 3G Veranstaltung mit 10% ungeimpften 6.6 mal so viele Personen hospitalisiert, wie bei einer vergleichbaren 2G Veranstaltung.

Ähnliches schreibt auf Anfrage von Telepolis auch die Stadt Hamburg. Als Hauptgrund für 2G wird genannt:

Erkranken ungeimpfe Personen, ist das Risiko wesentlich höher, dass diese in den kommenden Wochen auf den Normal- oder Intensivstationen der Krankenhäuser landen. In erster Linie geht es darum, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.

So richtig und nachvollziehbar das Argument des Selbstschutzes und des Schutzes des Gesundheitssystems sicherlich ist, so sehr dreht es allerdings ein wenig die Logik der Sicherheit um.

Denn gemeinhin dürften die Bürger unter der Ansage der Politik, 2G sei sicherer als 3G, verstehen, dass es hier um den Schutz der Menschen geht, die sich unter 2-G-Bedingungen treffen dürfen. Nicht jedoch um den Schutz der Menschen, denen dies verboten ist. Entsprechend sollte auch vor diesem Hintergrund über 2G diskutiert werden.

Implizite Botschaft

Sosehr einige die 2-G-Regel unterstützenswert finden, da sie vielleicht zu einem deutlichen Anstieg der Impfbereitschaft führen würde, wie das Beispiel Österreich zeigt, so bedenklich ist jedoch aus epidemiologischer Sicht die Konsequenz, dass mit 2G das Infektionsgeschehen nicht bzw. nur sehr bedingt eingeschränkt wird.

Zudem lautet die implizite Botschaft von 2G: Die Falsch-Negativen seien das eigentliche Problem - was objektiv jedoch kaum der Fall sein dürfte. Daraus leitet man eine Ausgrenzung aller Ungeimpften ab; ebenso der Genesenen, deren Erkrankung länger als sechs Monate zurückliegt und die eigentlich noch weitere sechs Monate geschützt sind. Eine noch stärkere Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft sind die Folge, ohne dass das Infektionsgeschehen damit tatsächlich reduziert wird.

Die Meinung der Experten

Nicht nur die Zahlen sprechen über die Sicherheit von 2G eine recht klare Sprache. Auch mehrere Experten beziehen ausdrücklich gegen 2G Stellung. Der Virologe Hendrik Streeck warnt: "Die Geimpften haben das Gefühl, sie sind nicht mehr Teil der Pandemie und verhalten sich auch entsprechend risikoreich. Das zweite Problem sind die Ungeimpften, die ausgeschlossen werden und sich noch weniger testen lassen". Das könne zu unkontrollierten Ausbrüchen führen. "Wenn Ungeimpfte am Sozialleben nicht teilnehmen dürfen, organisieren sie sich etwa Feiern zu Hause. Dort lässt sich das Infektionsgeschehen dann überhaupt nicht mehr kontrollieren."

Der ehemalige Chef der Berliner Charité Detlev Krüger erklärt:

Die Hoffnung dieser Politiker ist es sicherlich, durch ‚2G‘ die Ausbreitung des Virus stärker kontrollieren zu können. Aber so einfach ist das nicht, weil sich immer mehr herausstellt, dass auch vollständig geimpfte Personen das Virus weitergeben können. Wir erreichen durch die Impfung keine sterile Immunität. Es ist, wie Hendrik Streeck es formuliert hat: Die Impfung ist vor allem Eigenschutz, nicht Fremdschutz. Insofern bezweifle ich, dass die 2G-Regelung eine Verbesserung zu 3G darstellt. Im Endeffekt bedeutet 2G nur mehr Unfreiheit, ohne mehr Sicherheit zu bieten. Deshalb hat auch das Testen weiterhin Bedeutung.

Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit warnt ebenfalls vor einer "Scheinsicherheit", die 2G kreiere. Wer wirklich Sicherheit wolle, komme an 1G, also einer Testung aller Menschen, unabhängig von Genesenen- oder Impfstatus, nicht vorbei.

Der Epidemiologe Alexander Kekulé gibt zu bedenken:

Angesichts der drohenden Einschränkungen rufen viele nach einer bundesweiten 2-G-Regel und weiteren Sanktionen für Impfunwillige. Hinzu kommt das bereits angeführte Zitat der "Tyrannei der Ungeimpften". Der simple Reflex ist jedoch in dreifacher Hinsicht gefährlich.

Erstens sind die Freizügigkeiten für 2-G-Veranstaltungen, insbesondere der Verzicht auf Nachverfolgung und Begrenzung der Teilnehmerzahlen, ein Hauptgrund für die steigende Inzidenz - die Dosis eines schädlichen Mittels zu erhöhen, kann den Patienten nicht gesundmachen. In seinem Podcast führt Kekulé die Problematik der fehlenden Nachverfolgung bei 2G weiter aus.

Zweitens ist derzeit in den Krankenhäusern rund die Hälfte der Covid-Patienten vollständig geimpft, und ihr Anteil nimmt kontinuierlich zu. Das gleiche gilt für die an beziehungsweise mit Covid Verstorbenen.

Schließlich wird sich, drittens, durch populistische Brunnenvergifter-Rhetorik kein jetzt noch Ungeimpfter von seiner Überzeugung abbringen lassen. Mitten in der vierten Welle am Zusammenhalt der Gesellschaft zu zündeln, ist fast so gefährlich wie das Virus selbst.

Aufgrund der fehlenden Möglichkeit zur Nachverfolgung ist sich Kekulé im MDR-Podcast sicher: "Darum glaube ich, dass das ganze Konzept so eine Schieflage hat. Und wenn man sich das anschaut, dann - ganz ehrlich gesagt - wundert es nicht, dass die Fallzahlen so drastisch hochgehen."

Kekulés Einschätzung, inwiefern es sich aktuell um eine "Pandemie der Ungeimpften" handelt und wie er die aktuell sprunghaft ansteigenden Infektionszahlen beurteilt, lautet: "Meine Erklärung dafür ist ja ebendiese unsichtbare Welle der Geimpften. Also ich gehe davon aus, dass wir eine Riesen-Dunkelziffer im Land haben von Menschen, die geimpft sind oder genesen sind oder beides, und die das Virus munter weitergeben."

Kekulés Lösungsvorschlag: Statt noch mehr auf 2G zu setzen, müssten wir uns eingestehen, dass das Leben in diesem Winter auch für Geimpfte nicht wie früher sein kann - auch wenn die Werbung der Bundesregierung das lautstark versprochen habe. Abgesehen davon gehe von frisch negativ Getesteten kein höheres Infektionsrisiko aus als von Geimpften: "Sinnvoll wäre es deshalb, 3G grundsätzlich beizubehalten und bei größeren Veranstaltungen (ab etwa 100 Personen) in Innenräumen für alle Teilnehmer eine Test- und Registrierungspflicht vorzusehen, sofern keine Masken getragen werden."

Bemerkenswert auch: Kekulé betont im Hinblick auf Genesene ausdrücklich: "Bei nachweislich Genesenen kann - auch nach Ablauf von mehr als sechs Monaten - auf eine Impfung verzichtet werden."

Das ignorierte Problem in der Pandemie

Die hochemotionale Diskussion rund um 2G bewegt sich zwischen den beiden Polen, ob auf der einen Seite die Gesellschaft polarisiert, Menschen ausgegrenzt und stigmatisiert werden oder ob auf der anderen Seite damit die "Tyrannei der Ungeimpften" beendet und man sich nicht mehr weiterhin für Ungeimpfte einschränken müsse. Dahinter droht jedoch ein grundlegendes Problem der aktuellen Krise fast komplett aus dem Fokus zu geraten.

Nando Sommerfeldt stellt dieses Problem in einem sehr lesenswerten Artikel dar: "Die vierte Corona-Welle ließe sich trotz hoher Infektionszahlen einigermaßen aushalten - wenn wir mit unserem Pflegepersonal besser umgingen."

Sommerfeld führt weiter aus: "Das deutlichste Symbol für das Versagen von Politik und auch Privatwirtschaft ist die Situation auf den Intensivstationen. Am 8. November 2020 hatten wir knapp 7.000 freie Intensivbetten. Am 8. November 2021 sind es nur noch knapp 3.000. Dabei ist die Zahl der Intensivpatienten aktuell mit 2.600 niedriger als vor einem Jahr. Damals waren es 2.900 Intensivpatienten."

Hier offenbare sich das ganze Problem, denn die Intensiv-Kapazität sei dramatisch gesunken. Die Betten gebe es zwar noch. Doch es fehlten die Menschen, die an ihnen arbeiten. Sommerfeld weiter:

Denn es wird nicht mehr lange dauern, und dann lautet die Frage: Triage oder Lockdown? Und ich wiederum frage mich: Was wurde eigentlich getan, damit wir nicht mehr in genau diese Situation geraten? Die vierte Corona-Welle ließe sich wahrscheinlich trotz hoher Infektionszahlen ganz gut aushalten - wenn es genügend Menschen gäbe, die sich wie vor eineinhalb Jahren um die Erkrankten kümmern würden. Doch die Helden sind nicht mehr da. Weil sie nicht wie Helden behandelt wurden.

Bei aller Schwierigkeit der aktuellen Situation und trotz aller Spaltung in der Gesellschaft: Können wir uns darauf einigen, dass das fehlende Personal in Krankenhäusern und auf Intensivstationen ein Skandal ist, der beim Namen genannt und gelöst werden muss? Und zwar heute?

Anstatt also auf eine 2-G-Regel zu setzen, die "Scheinsicherheit" suggeriert, aber epidemiologisch eigentlich keinen wirklichen Sinn ergibt, sollte man nicht umgehend die Situation in den Krankenhäusern zu verbessern versuchen?

Die ehemaligen Pflegerinnen und Pfleger sind noch da, auch wenn sie sich aus dem Beruf zurückgezogen haben. Warum hört man ihnen nicht endlich zu und schafft Arbeitsbedingungen, die den Namen auch verdienen? Wenn das gesamte Pflegepersonal, das sich aus den Krankenhäusern aufgrund der miserablen Arbeitsbedingungen zurückgezogen hat, wiederkommt, wäre die Situation deutlich entspannter. Die notwendigen Verbesserungen könnten heute vollzogen werden.

Natürlich ist das nicht die vollständige Lösung der aktuellen Krise. Aber ein wichtiger Schritt. Die Bedeutung der Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern sollte spätestens seit Februar 2020 jedem Menschen und schon gar jedem Politiker klar sein. Darauf sollte man sich bei aller Spaltung in der Gesellschaft eigentlich einigen können.