ARD und ZDF: Kirchliche Moralwächter sind immer dabei
Die Vertretung der Großkirchen mit ihrem Spitzenpersonal in den öffentlich-rechtlichen Medien steht in krassem Widerspruch zur drastischen Abnahme der Zahl der Kirchenmitglieder
Kürzlich staunte der morgendliche Fernsehzuschauer des ZDF. Knapp über zwei Stunden wurde am 4. September, einem Sonntag, die Heiligsprechung der Mutter Teresa aus Rom übertragen. Für die Einen sicherlich ein Quotenkiller, für Andere, insbesondere in den oberen Etagen des ZDF, eine Herzensangelegenheit im Sinne christlicher Missionierung. Ganz im Geiste des ehemaligen Bischofs aus Limburg, Peter van Elst, der jetzt im Vatikan für die Remissionierung in Europa zuständig ist, wurden christliche Botschaften ans Volk gebracht.
Ein Blick in die Leitungsetagen des ZDF erklärt auch die Vorliebe für die Ausstrahlung von Erbauungssendungen und christlicher Erweckung, die oftmals als "Schleichwerbung" in normalen Serien und Sendungen daherkommen.
Vorsitzende des Fernsehrates des ZDF ist seit Sommer 2016 Marlehn Thieme, die lange dem Vorstand der Deutschen Bank angehörte. Diesen Job gab die 58-jährige auf, um sich ganz ihrer Arbeit für die evangelische Kirche zu widmen, wie sie in ihrer Bewerbungsrede für die Wahl in den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland im Herbst 2015 kundtat. Sie gehört der EKD Leitung bereits seit 2003 an - eine religiöse Überzeugungsaktivistin. Zu ihren drei Stellvertreter*innen gehört eine weitere Person, die als Diakoniepfarrerin im Fernsehrat des ZDF sitzt.
Der Vorsitzende des Programmausschusses des ZDF ist Hans Langendörfer, er wurde von der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz in den Fernsehrat entsandt. Aber auch das angestellte Leitungspersonal auf der Spitzenebene hat es in sich: Thomas Bellut war lange Jahre - neben seinem Job als Intendant beim ZDF - als Medienberater der katholischen Bischofskonferenz tätig. Der Chefredakteur Peter Frey, verantwortlich für die Inhalte der meisten Nachrichtensendungen des ZDF, ist ehrenamtlich aktiv - er gehört dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken an. Und auch die dritte zentrale Leitungsperson im ZDF, der Programmdirektor, ist für die katholische Kirche aktiv; Norbert Himmler soll ebenfalls zu den Beratern der katholischen Bischöfe für Medienfragen gehören.
Von den acht zentralen Entscheidern des ZDF wurden drei von den Kirchen in diese Gremien entsandt und die drei Hauptberuflichen der Senderleitung sind bei der katholischen Kirche aktiv bzw. zu Beratern berufen. Mit einem derart drastischen Mehrheitsverhältnis in der Leitungsspitze zugunsten überzeugter, bzw. zu Einflusszwecken entsandter Vertreter der Kirchenspitzen kann sich jeder Redakteur oder freie Mitarbeiter ausmalen, wie hoch die Chancen stehen, einen kritischen Film etwa zum Umgang der Bischöfe mit den Kindesmissbrauchsfällen ausgestrahlt zu bekommen.
Die Hälfte der 12 Vorsitzenden der öffentlich rechtlichen Anstalten sind Kirchenvertreter
Eine Ausnahme? Nein, auch bei den Anstalten der ARD tummeln sich Kirchenvertreter in den Rundfunk- und Fernsehräten. Das ist nicht neu oder ungewöhnlich. In den meisten Gremien der elf ARD-Anstalten sitzen zwischen 8 (WDR) und 18,7 Prozent (Bremen) Vertreter der Kirchen, kirchlichen Wohlfahrtsverbände aber auch Kirchenaktivisten oder Funktionäre auch über Landesjugendringe oder als Vertreter des Zusammenschlusses der freien Wohlfahrtspflege. Von den insgesamt 523 benannten Rundfunkratsmitgliedern sind mindestens 63 Vertreter religiöser Zusammenschlüsse oder in solchen aktiv. Vier sind von muslimischen Verbänden entsandt, zehn von jüdischen Gemeinden. Die restlichen 49 teilen sich die großen Kirchen etwa zur Hälfte.
Gegenüber einer im Tagesspiegel im Januar 2015 veröffentlichten Untersuchung hat sich die Zahl der Kirchenvertreter durch Neufestlegungen in den Landesrundfunkgesetzen erhöht. Nutznießer waren die großen Kirchen, die ihre Sitzzahl jeweils um 10 steigern konnten. Seit im Jahre 2014 das Bundesverfassungsgericht den Anteil der direkt von Staat und Parteien entsandten Vertreter in den Rundfunkgremien auf maximal ein Drittel für zulässig erklärt hat, wurden in den meisten Ländern die Landesrundfunkgesetze geändert. Teils wurde die Zahl der Sitze verändert (ZDF von 77 auf 60 verkleinert) oder die Besetzung modernisiert. Nach Radio Bremen wird auch der WDR ab 2017 einen Vertreter der Nichtreligiösen im Rundfunkrat haben.
Aber der durchschnittliche Anteil von 12% Religionsvertretern macht noch nicht den enormen Einfluss und die überproportionale Vertretung dieser in den Spitzenpositionen der Rundfunkanstalten erklärbar. Nicht nur beim ZDF, auch beim Bayrischen Rundfunk, dem SWR, dem Hessischen Rundfunk, Radio Berlin Brandenburg und der Deutschen Welle stellen Kirchenvertreter die Vorsitzenden. Stellvertretende Vorsitzende stellen die Religionsgemeinschaften zudem in drei weiteren Rundfunkräten darunter dem von Radio Bremen und dem WDR.
Besonders eigentümlich ist die Benennungspraxis für die Rundfunkräte in Hamburg und Bremen. Hamburg, das westliche Bundesland mit der geringsten Kirchenmitgliederquote von knapp 38 Prozent, schafft es bei 11 Delegierten für den Rat des NDR immerhin 3 und damit die höchste Quote aller Bundesländer von fast 28% zu wählen. In Bremen, bei einer Kirchenmitgliederquote von knapp über 45 Prozent, sind es immer noch 18%. Allerdings gibt es in Bremen das volle Programm - neben den Großkirchen sind die jüdische Gemeinde, Muslime, Alewiten und sogar der humanistische Verband im Rundfunkrat vertreten.
Leitungspersonal berät Bischöfe
Beim Mitteldeutschen Rundfunk, beim WDR, bei RBB, der Deutschen Welle und dem Deutschlandfunk sind fünf weitere Personen aus dem Kreis von Intendanten, Chefredakteuren und Programmverantwortlichen als Berater katholischer oder evangelischer Bischöfe tätig. Es drängt sich der Eindruck auf, als würde das Spitzenpersonal der öffentlichen Rundfunkanstalten systematisch über Beraterfunktionen in die Medienarbeit der Kirchen einbezogen werden. Dabei können die Bischöfe darauf vertrauen, dass große Teile dieser Medienstrategien von den Beratern auch praxisnah umgesetzt werden.
Die überproportionale Vertretung der Kirchengesandten basiert ganz offenbar auf einer Kooperation mit den staatlichen Vertretern, deren Anteil in den Rundfunkräten zurückgegangen ist. Die Kirchenvertreter haben in den Rundfunkräten eigene Interessen, wie die Erhöhung des Anteils missionarisch wirkender Sendungen und die Vermeidung von Kirchen- und Religionskritik. Dabei setzen sie gleichermaßen auf die Kooperation mit den staatstragenden Parteien. Ein Blick in das Verzeichnis des Rates der Evangelischen Kirche oder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zeigt, auch dort gibt es einen hohen Prozentsatz aktiver Spitzenpolitiker von Winfried Kretschmann bis Kerstin Griese.
Die Kirchengesandten sind überwiegend auch als Kirchenlobbyisten tätig
In einem kürzlich erschienen Buch von Carsten Frerk "Kirchenrepublik Deutschland. Christlicher Lobbyismus. Eine Annäherung" wurde die Lobbyarbeit der Großkirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände beim Bundestag, der Bundesregierung und den Landesregierungen einer ersten gründlichen Analyse unterzogen. Das Ergebnis war dahingehend beeindruckend, dass die Großkirchen die größte Zahl aller Lobbyisten in Berlin unterhalten.
Ein Vergleich der Namen und Einrichtungen der maßgeblichen Lobbybüros und der Rundfunkratsmitglieder der Großkirchen bringt zu Tage, dass die Mehrheit der Kirchenvertreter in den Rundfunkräten im Hauptberuf als Lobbyist tätig ist und sich mit nichts anderem beschäftigen muss als der Vertretung der Interessen der Kirchen in Staat, Parteien und natürlich auch in den Medien. Der CSU-Vertreter Markus Söder vertrat bis Sommer 2016 das Land Bayern im ZDF-Rundfunkrat. Er musste sich vorhalten lassen, wegen anderer wichtiger Termine ein Jahr nicht an den Sitzungen beim ZDF teilgenommen zu haben. Derartige Probleme haben die Kirchengesandten nicht. Einflussnahme im Sinne der Kirchen ist ihre zentrale Aufgabe, dem steht keine Predigt oder Beisetzung im Wege. Sie sind fast ausschließlich zum Zwecke der Lobbyarbeit bei den Kirchen angestellt.
Damit ist auch die Grundlage für die Eignung zum Spitzenpersonal gegeben. Und damit wächst wiederum der Einfluss. Findungskommissionen der Rundfunkräte treffen eine Vorauswahl bei der Wahl der Intendanten. Kirchengesandte in den Leitungsgremien können die Karriere von kirchennahen Journalisten befördern. In den Programmkommissionen mit hohem Anteil kirchlicher Vertreter können schon mal Beschwerden zu Kirchenkritik im Programm deren Ausstrahlung stoppen.
Eingebettet werden die Kirchengesandten in die sehr aufwendige Medien- und Öffentlichkeitsarbeit der Großkichen. Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche unterhalten eigene Journalistenschulen, in der schreibende Gläubige auf missionarisches Wirken in den kircheneigenen Medien aber auch in Zeitungen und Sendern vorbereitet werden. Darüber hinaus laden beide Großkirchen jährlich zu Medienkongressen bzw. der Verleihung von Medienpreisen.
Anfang Oktober 2016 trafen sich in den Räumen des NDR in Hamburg etwa 300 Medienvertreter auf Einladung der evangelischen Kirche. Anlass war der 4. Evangelische Medienkongress. Redner waren unter andrem Kai Gniffke, Chefredakteur der aktuellen Sendungen der ARD. Georg Mascolo hielt die Laudatio für Dunja Hayali, die einen der Medienpreise erhielt. Ein anschaulicher Beleg der engen Beziehungen von Kirche und öffentlich-rechtlichen Medien. Da muss man auch nicht mehr gläubig sein. Die Kirche ist in diesen Medien die allgegenwärtige Moralinstanz. Überall präsent und offensichtlich auch von allen akzeptiert. Selbst erklärte Atheisten aus den Reihen der Medien sprechen vor und werden eingeladen. Öffentlich ist dies alles nicht. Die Berater der Bischofskonferenz sind inzwischen geheim. Viele Listen der Preisträger kirchlicher Auszeichnungen aus den Webseiten gelöscht.
Auch dem naivsten Betrachter müsste auffallen, dass die Vertretung der Großkirchen mit ihrem Spitzenpersonal in krassem Widerspruch zur drastischen Abnahme der Zahl der Kirchenmitglieder und der religiösen Vorstellungen in der Gesellschaft stehen. Aber die Kirchengesandten im öffentlichen Rundfunk und Fernsehen wollen offensichtlich in steter Einigkeit mit Politik und Staat ihr missionarisches Werk fortsetzen: Heilig senden und nicht darüber reden.