ARD und ZDF als "ständiger Gesetzesverstoß"

Seite 3: Krieg und Klischee

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Mit der deutschen Beteiligung am Kosovokrieg und mit der Durchsetzung der Agenda 2010 hat sich in der deutschen Medienlandschaft ein Quantensprung nach unten ereignet. Aber seit dem Ukrainekonflikt und der Wahl von Syriza werden offen und dauerhaft bellizistische Motive und rassistische Stereotype in den Medien verwendet. Ökonomische Prozesse wie die Griechenlandkrise werden vorrangig anhand von nationalen und rassischen Mentalitäten, etwa dem "faulen Griechen" erklärt. Hätten Sie sich träumen lassen, dass dergleichen einmal im Fernsehen passiert?

Mit dergleichen habe ich mich während meiner Schulzeit in den Siebziger Jahren auseinandergesetzt, als wir die Nazi-Propaganda im "Stürmer" durchgenommen haben. Die Topoi sind haargenau die gleichen, denken Sie etwa an die Berichterstattung über Varoufakis: Im Gegensatz zu den armen griechischen Rentnern, die es ja laut deutschem Fernsehen erst gibt, seitdem dort Syriza regiert, ist Varoufakis der coole, kluge, tolle Typ, der gelassen auf seinem Motorrad mit seiner gutaussehenden Frau herumfährt. Er hat auch offensichtlich nicht das typisch deutsche, protestantische Arbeits-Ethos, das Schäuble verkörpert, er hat nicht die typisch deutschen Sekundärtugenden, mit denen man auch KZs leiten kann.

Er ist der bedrohliche, wohlhabende, kluge und "lüsterne" Intellektuelle - das sind natürlich Zuschreibungen, die man in Deutschland seit jeher für die Juden bereithält. Dann wirft er auch noch sein Ministeramt weg, also das höchste und größte, was sich ein Schäuble oder ein Schulz überhaupt vorstellen können ... Wie das in den staatstragenden Medien, also von "Bild" über "Spiegel" bis ARD und ZDF dargestellt wird, das ist tiefenpsychologisch schon höchst interessant.

Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gab es in den 70er und 80er Jahren eine Grundform von Pluralismus. Es war schon klar, dass die bürgerlichen Parteien das Sagen hatten, aber auch ein Thomas Ebermann konnte in den Talkshows seine Positionen vortragen. Dieses Mindestmaß an Pluralismus fehlt heute komplett. Der ARD-Korrespondent aus Brüssel, Rolf-Dieter Krause, ist zum Beispiel ja alles andere als ein Journalist - denken wir an den Gesetzesauftrag, etwa an "Information" -, sondern ein reiner Propagandist, der ausschließlich die angeblich alternativlose Staatslinie, also die neoliberale Politik vertritt.

"Auf eine obszöne Art propagandistisch"

Und wie kommt so etwas?

Berthold Seliger: Die großen Parteien, also CDU/CSU und SPD, haben sich ja das gesamte sogenannte "öffentlich-rechtliche" Fernsehen unter den Nagel gerissen. Alle Gremien und Positionen dort werden von Parteienvertretern und vom Staat besetzt, sogar das den Öffis durchaus wohlgesonnene Bundesverfassungsgericht muss ja ständig die Parteien und den Staat diesbezüglich zur Ordnung rufen. Die Großparteien beherrschen eine der größten und am besten finanzierten Machtformationen im Land. Und natürlich sorgen sie direkt und indirekt dafür, dass in dieser von den Großparteien getragenen Machtformation eine Berichterstattung erfolgt, die den Parteien und der herrschenden Politik genehm ist. Es ist naheliegend, dass dabei strukturell gegen das Recht auf Informationsfreiheit und Aufklärung verstoßen wird.

Kürzlich war zum Beispiel in einem Nebensatz der Berliner Zeitung zu lesen, dass die EZB 1,5 Milliarden Euro Gewinn mit Griechenland-Anleihen gemacht hat. Jemand vom IWF hat letztens ausgeplappert, dass fast neunzig Prozent der Kredite, die für "Rettungsmaßnahmen" nach Griechenland gegangen sind, in Wirklichkeit zum größten Teil an deutsche und französische und zu einem kleineren Teil an griechische Banken gegangen sind. Davon hören Sie im Staatsfernsehen und den anderen großen ideologischen Apparaten wie der BILD-Zeitung natürlich nichts. Hier wird pure Propaganda gemacht. Es wird suggeriert, dass die linken griechischen Politiker dafür sorgen, dass die Rentner kein Geld mehr haben und deswegen der deutsche Steuerzahler blechen muss.

Das ist schon auf eine obszöne Art propagandistisch und führt dazu, dass jemand wie Schäuble, der weltweit eine Hassfigur geworden ist, zur Zeit von Seiten der deutschen Bevölkerung die größte Zustimmung seiner Karriere erfährt. Wie im Ukrainekonflikt werden hier seit Monaten keine seriösen Informationen mehr vermittelt, sondern es gibt nur noch eine Propaganda-Show. Dass die Deutschen überall rumzündeln wird total ignoriert.

Wieso werden, nachdem sich die Gründe für den amerikanischen Einmarsch in den Irak als Propagandalügen entlarvt haben, den Verlautbarungen des amerikanischen und auch deutschen Geheimdienste von den Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr Misstrauen entgegen gebracht? Müsste man heutzutage nicht sämtlichen ihrer Proklamationen kritisch auf den Grund gehen?

Berthold Seliger: Die erste Aufgabe eines seriösen Journalisten wäre es in der Tat, diese Dinge nicht einfach hinzunehmen, sondern darüber zu recherchieren. Es wird auch nicht mehr gefragt, was den Menschen dient, was ja die fundamentale Frage aller Politik sein sollte, sondern es geht um die Zurichtung sämtlicher Lebensbereiche unter die Herrschaft des Kapitals, was eine völlige Katastrophe darstellt. Das wird im Fernsehen und in den meisten Medien nicht mehr hinterfragt. Ich glaube aber nicht, dass dahinter eine einzige zentrale Macht steckt.

Das sind ja auch Journalisten, die in vorauseilenden Gehorsam so berichten, oder weil sie ihren Job dem Parteibuch zu verdanken haben. Und das neue System der sogenannten festen Freien verstärkt diesen Trend. Die festen Freien müssen Beiträge abliefern, die von einem Redakteur abgenommen werden. Nur wenn sie gesendet werden, bekommen sie Geld. Das heißt, dass ein kritischer Bericht oder einer, der dem gängigen ästhetischen Ideal der Fernsehberichterstattung nicht folgt, dann nicht abgenommen wird und finanzielle Einbußen bedeutet. Die Zensur, die immer schon stattfand, wird also noch ein paar Stufen weiter getrieben.

Ein wesentliches Instrument hierfür ist die Einschaltquote ...

Berthold Seliger: In Dänemark werden neuerdings viel anspruchsvollere Filme produziert, die auch eine hohe Zustimmung bei den Zuschauern finden. Dort sorgt der Inhalt, die Relevanz für Quote. Hierzulande ist allein die Quote relevant. Dabei ist ja überhaupt nicht bewiesen, dass nur der Degeto-Dreck und das Pilcher-Fernsehen Quote bringt.

In Teil 2 des Interviews äußert sich Berthold Seliger unter anderem über die Privatisierung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die Sportberichterstattung und die Ähnlichkeit von Fernsehspiel-Schmonzetten mit Nazi-Kassenschlagern.

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