ARD und ZDF als "ständiger Gesetzesverstoß"
Seite 2: "Die Politik hat die Quote erfreut zur Kenntnis genommen"
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Können Sie uns erklären, warum die Zuschauerquote im öffentlichen Fernsehen zum wichtigsten Bewertungskriterium geworden ist?
Berthold Seliger: Die Quote ist eine Erfindung der Werbeindustrie. Zwar wurden früher auch die Einschaltquoten gemessen, das war aber nicht die Richtschnur der Programmpolitik - und die Quoten lagen oft erst Wochen später überhaupt vor. Erst für das Privatfernsehen wurde die Quote wichtig, weil die Konsumindustrie ein großes Interesse daran hatte, darüber detailliert Bescheid zu wissen, was die meisten Zuschauer bringt. Wo und wann es sich lohnt, Werbung zu schalten. In einem durch Zwangsgebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das den Gesetzesauftrag ernst nimmt, ist das aber eigentlich völlig irrelevant. Deswegen sollte man auch unbedingt und sofort alle Werbung bei den Öffis komplett abschaffen.
Doch die Politik hat die Quote letztlich erfreut zur Kenntnis genommen, denn seitdem müssen sich die Fernsehpolitiker und -macher nicht mehr mit den inhaltlichen Fragen des Programms auseinandersetzen - die Quote entscheidet über das Programm, die Quote regiert.
"Das Fernsehen war von Anfang als eine Ideologiemaschine gedacht"
Ist das mediale Trauertal, durch das wir jetzt schreiten, das Resultat dieses ökonomischen Denkens - oder eine politische Strategie? Oder beides?
Berthold Seliger: Ich bin kein Verschwörungstheoretiker und tue mich dementsprechend mit dem Bild schwer, dass es einen geben soll, der sich das alles ausdenkt. Aber natürlich hängt alles miteinander zusammen: Das Fernsehen war wie jedes Massenmedium von Anfang als eine Ideologiemaschine und ein Manipulationsinstrument gedacht. Die erste Fernsehsendung überhaupt war eine Propagandasendung der Nationalsozialisten 1935, die "die größte und heiligste Mission erfüllen" sollte: "das Bild des Führers unverlöschlich in alle deutschen Herzen zu pflanzen" - mit diesen Worten, mit diesem Auftrag wurde der Sendebetrieb begonnen.
"Fernsehen soll Zustimmung organisieren"
Und wie ist es aktuell?
Berthold Seliger: Heutzutage ist die Situation so, dass weltweit die Massen durch den Finanzkapitalismus unterdrückt werden und es der herrschenden Klasse schlicht und einfach egal ist, wie es den Menschen geht. Man kann das ja bei der Wahlbeteiligung betrachten: Die Tatsache, dass heutzutage erhebliche Teile der Bevölkerung nicht mehr zur Wahl gehen, ist den Politikern einerlei, denn für diese Leute wird sowieso keine Politik mehr gemacht. Das Klientel der Politik ist heutzutage allein die Mittelschicht, die zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung ausmacht.
Und nicht anders ist es beim Fernsehen: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wird nicht für die einfachen Leute produziert, sondern allein für die Mittelschicht. Deswegen gibt es auch ARTE und 3sat. Für das Bildungsbürgertum und die, die dazu gehören wollen, ist das ein reizvolles Angebot - für die Rentner und die gegen den sozialen Abstieg ankämpfende untere Mittelschicht, die immer noch die beiden Großparteien wählen, werden Kitschfilme hergestellt. Und das alles hat natürlich eine gesellschaftliche Funktion: Es soll die Leute befrieden und zerstreuen, es soll sie nicht zum Nachdenken bringen, sondern Zustimmung organisieren. Es ist eine Art Durchhaltefernsehen in finsteren Zeiten.
Da die Verhältnisse mittlerweile auch hierzulande brutal geworden sind, könnte man auch sagen: Es gibt für die Unterschicht Disziplinierungsmaßnahmen, für die Mittelschicht existiert ein Stillhalte-Dogma und das dazugehörende Durchhaltefernsehen. Das ist nicht viel anders als zu Goebbels Zeiten: Seine Durchhaltefilme waren ja auch überwiegend nicht im offensichtlichen Propagandabereich, sondern gewissermaßen subkutan im Unterhaltungssektor angesiedelt, siehe "Die Feuerzangenbowle".
Das sollte Durchhalten durch Unterhaltung organisieren - und wenn man sich das obszöne Überangebot von Unterhaltung im deutschen Staatsfernsehen anschaut, ist das ziemlich identisch. Die Unterhaltung besitzt eine immens systemstabilisierende Funktion beim Aufrechterhalten der skandalösen neoliberalen Verhältnisse im Kapitalismus unserer Tage.
Sie schrieben in Ihrem Buch von einer "Ideologie des Fernsehens". Können Sie diese kurz umreißen?
Berthold Seliger: Das Fernsehen ist ja grundsätzlich eine "überwiegend kommerziell geprägte massenkulturelle und daher notwendig triviale Form", wie Lorenz Engell sagt. Die "Wirklichkeit", die das Fernsehen erzeugt, ist per se trivial, und das Staatsfernsehen hat sozusagen die Aufgabe, Trivialität und Irrealität zu erzeugen, also für Ablenkung und Entpolitisierung zu sorgen. Die Welt da draußen wird von der Ideologiemaschine Fernsehen als ein unablässig wucherndes Rhizom aus Manipulation und Propaganda dargestellt.
"Alles, was nicht über Bilder beigebracht werden kann, wird außen vor gelassen"
Wie sieht das konkret aus?
Berthold Seliger: Die Ideologie des Fernsehens kann man bereits an der Bildpolitik feststellen. Wenn zum Beispiel die griechischen Wähler nach Meinung der deutschen Politik "falsch" gewählt haben, wird das an dem betreffenden Abend so dargestellt, dass die Griechen, denen es eigentlich total dreckig gehen müsste, eine Party feiern, und sie tun das, weil wir ihnen unsere hart verdienten Euros in den Rachen schmeißen. Als nächstes sieht man dann Merkel, Hollande und Schulz in Straßburg nächtens mit ernster Miene an einem Tisch sitzen.
Das Fernsehen produziert also Bilder, die entweder nichts oder zu wenig oder das Falsche aussagen. Das generell Gefährliche am Fernsehen ist, dass dem Zuschauer Botschaften suggeriert werden, indem man einfach Bilder zeigt: Die Außenansicht vom Weißen Haus, das Kanzleramt, des Élysée-Palasts, aber es wird nicht erklärt, was darin gesprochen und verhandelt wird.
Alles, was den Leuten nicht über Bilder beigebracht werden kann, worauf man also wieder auf die Sprache als Erklärungsmedium zurückgreifen müsste, wird außen vor gelassen. Man sieht nur Bilder und Nachrichtenfetzen, wie etwa, dass Schäuble ein Griechenland-Papier vorgelegt hat. Vom Inhalt des Papiers wird bereits nicht mehr berichtet. Die Empörung wird also stimuliert und dabei wird auch fleißig auf Mythen wie etwaige Volksmentalitäten zurückgegriffen. Das alles ist undemokratisch und auf ganze fiese Art ideologisch - und die Bilder dazu zeigt das Fernsehen.
Den Rentnern in Griechenland geht es ja bereits seit 5 Jahren schlecht, aber erst seitdem die Regierung Tsipras Widerstand gegen die EU-Politik organisiert, zeigt man Bilder von armen Rentnern, die vor den Bankautomaten Schlange stehen. Wenn man der ARD-und ZDF-Logik folgt, dann ist es ein vollkommenes Wunder, dass Menschen, die unter der Syriza-Politik so schrecklich zu leiden haben, genau deren Referendum unterstützen ...
Berthold Seliger: Es ist nach der Berichterstattung im deutschen Staatsfernsehen in der Tat absolut unlogisch, aber aus Sicht der Menschen in Griechenland eben absolut logisch. Und es wäre eben auch für die Menschen hierzulande absolut logisch, wenn die einfachen Fragen gestellt würden, auf die es ankommt: Wie stellen wir uns die Zukunft vor? Was hilft den Menschen? Und dann wird man feststellen, dass man in einer derartigen Krise natürlich nicht die Kosten für Bildung und Infrastruktur senken darf ...
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