Abenteuerlustige Leihmutter für Neandertalerbaby gesucht

Rekonstruktion des Aussehens eines Neandertalers im sehr besuchenswerten Neanderthal Museum in Mettmann, Foto: A. Naica-Loebell

Der Harvard-Molekularbiologe George Church träumt vom Klonen eines Neandertalers

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Die heftigen Debatten um das Klonen von Menschen hatten schon etwas Staub angesetzt, als jetzt ein Interview mit dem renommierte Experten für synthetische Biologie George Church von der Harvard University über einen potenziellen Neandertaler-Klon erneut eine öffentliche Ethik-Diskussion auslöste.

Rekonstruktion des Aussehens eines Neandertalers im sehr besuchenswerten Neanderthal Museum in Mettmann, Foto: A. Naica-Loebell

Der Sturm im Blätterwald - zumindest auf den Wissenschaftsseiten - brach los, nachdem George Church vom möglichen Klonen eines Neandertalers gesprochen hatte. Die englische Fassung des Interviews erschien auf Spiegel online international mit dem schönen Titel: Can Neanderthals Be Brought Back from the Dead? Klingt wohl nicht zufällig sehr nach Dr. Frankenstein, und in der deutschen Online-Ausgabe, die einen Kurzartikel zum Interview brachte, war zu lesen:

Verwegen mutet zum Beispiel seine Vision an, den Neandertaler wieder zu erschaffen - dies sei technisch durchaus möglich. Und mehr noch: Der heute 58-jährige Biotech-Pionier rechnet sich gute Aussichten aus, diese Wiedergeburt noch zu erleben. (…) Die dazu erforderliche Technologie entwickle er derzeit in seinem Labor. Als Leihmutter für den so erschaffenen ersten Neandertaler-Klon gelte es sodann, 'einen abenteuerlustigen weiblichen Menschen' zu finden.

Eins, zwei, drei, geklont

Jurassic-Park-Fantasien sind nichts Neues in der Wissenschaft. Ausgestorbene Tiere wiederauferstehen zu lassen, ist eine wissenschaftliche Utopie, die immer wieder Schlagzeilen macht.

Der südkoreanische Skandalforscher Hwang Woo-Suk fälschte in der Vergangenheit nicht nur im großen Stil seine Daten (Korean Cloning Hero Deconstructed Online), er wollte schon vor Jahren ein Mammut klonen und von einer Elefantenkuh austragen lassen. Im letzten Jahr verkündeten er zusammen mit russischen Forschern eine Wiederauflage des Vorhaben, nachdem im sibirischen Permafrost ein bestens erhaltenes Mammutbaby gefunden worden war. Zweifel waren angebracht, aber das hindert den Visionär George Church seit der Entzifferung des Wollmammut-Genoms nicht daran, sich in den Medien begeistert zu derartigen Plänen zu äußern.

George Church hat Grundlegendes für die Genomsequenzierung geleistet und ist einer der Initiatoren des Human Genome Project. Er ist einer der großen Pioniere der synthetische Biologie. Mit seinem Team hat er ein Verfahren entwickelt, das es ermöglicht, in Bakterien automatisch viele genetische Veränderungen parallel ablaufen zu lassen (Weitere Erfolge auf dem Weg zur Synthetischen Biologie).

Sein wissenschaftlicher Ruf ist untadelig und er ist ein Vordenker mit eigener Fangemeinde. Das ist einer der Gründe, warum die Medien derartig intensiv auf die Nachricht vom möglichen Neandertal-Klon ansprangen. Boulevard-Blätter titelten "Leihmutter für irres Experiment gesucht: US-Genforscher will Neandertaler züchten!" oder fantasierten bereits über das Aussehen des Babys.

Viele Unterschiede

Die Entzifferung des Neandertalergenoms 2010 war eine wissenschaftliche Sensation. Und die Resultate legten den Schluss nahe, dass sich die beiden Menschentypen doch vermischt haben, da moderne Menschen bis zu vier Prozent Neandertaler-Erbgut in sich tragen.

Aber in der Wissenschaft ist selten etwas unumstritten: Vergangenes Jahr meldeten sich mehrere Forschergruppen zu Wort, die eine Vermischung bezweifeln und anmelden, die genetische Übereinstimmung könnte auch dadurch bedingt sein, dass sich einst eine spezielle Population des Homo sapiens aus Afrika aufmachte, um die Welt zu erobern (siehe auch hier).

Wie auch immer - lange standen die Ähnlichkeiten zwischen anatomisch modernem Menschen und Neandertaler im Vordergrund, weil das falsche Bild vom stammelnden, tumben Urmenschen erst einmal revidiert werden musste (Neues vom wilden Mann). Inzwischen wird immer deutlicher, dass es bedeutende Unterschiede zwischen uns und dem Ureuopäer gibt.

Der Homo neanderthalensis war nicht nur kleiner und gedrungener gebaut als wir, er hatte eine andere Gesichtsform (niedrige Stirn, starke Überaugenwülste und fliehendes Kinn), sein Gehirn war größer und anders strukturiert (Anderes Hirn und jede Menge Sex), und seine Stimme klang aufgrund eines abweichenden Sprechapparates anders.

Diskutiert wird von den Forschern immer noch darüber, ob die Neandertaler schneller das Erwachsenenalter erreichten (Schneller erwachsen und nur entfernt verwandt). Über die Dauer der Schwangerschaft kann nur spekuliert werden. Genaue Analysen der Beckenknochen ergaben jedoch, dass die Geburten völlig anders und sehr schnell abliefen (Ähnlich und doch ganz anders).

Viele Risiken und unbekannte Faktoren für ein Klonprojekt, bei dem eine abenteuerlustige Leihmutter sich auf die Schwangerschaft mit einem Neandertalerbaby einlassen müsste. Mal ganz abgesehen davon, dass das Klonen von Menschen - auch anderen Menschentypen - fast überall auf der Welt aus guten Gründen verboten ist.

Protest und Übersetzungsfehler

Kein Wunder, dass die Neandertaler-Experten mit einer Mischung aus Zweifel, Kritik und ethischen Bedenken auf dieses Interview reagierten. Die weltweiten Reaktionen waren so heftig, dass George Church schnell den Rückwärtsgang einlegte und dem Boston Herald erklärte erklärte, der Spiegel habe ihn missverstanden und zudem falsch ins Deutsche übersetzt. Das kann der Spiegel natürlich nicht auf sich sitzen lassen und stellt im Spiegelblog richtig, dass George Church sein Interview in der englischen Fassung autorisiert hat, und sich die internationale Debatte erst nach der Veröffentlichung des Interviews in der Originalsprache in der Online-Ausgabe entzündete.

Und so einfach kann es sich Church nicht machen. Im Interview thematisiert er ganz klar das Klonen eines Neandertalers, er sagt Klonen sei nicht überall verboten und betont die technische Möglichkeit durch Transfer des entsprechenden Erbmaterials in eine menschliche Stammzelle. Der Spiegel fragt durchaus kritisch nach.

Die Leihmutter kommt in einer Frage ins Spiel, aber als Zitat aus einem Buch von Church. Ein Zitat, dass dank eines wissenschaftlichen Bloggers im Netz sofort verifiziert wurde, denn in dem Buch ist die Rede von einem Schimpansen oder "an extremely adventurous female human" als Leihmutter. Auch der Rest des Spiegel-Interviews im englischen Originals zeigt, dass Church in seiner Argumentation für das wissenschaftlich Machbare durchaus Züge von Frankenstein hat, der vielleicht die Kreation seines Monsters ähnlich gerechtfertigt hätte (sicherheitshalber Zitat im englischen Original):

Wouldn't it be ethically problematic to create a Neanderthal just for the sake of scientific curiosity?
Church: Well, curiosity may be part of it, but it's not the most important driving force. The main goal is to increase diversity. The one thing that is bad for society is low diversity. This is true for culture or evolution, for species and also for whole societies. If you become a monoculture, you are at great risk of perishing. Therefore the recreation of Neanderthals would be mainly a question of societal risk avoidance.

Eine ganze Schar von Neandertalern

George Church träumt vom direkten Austausch mit dem Neandertaler, von Kommunikation mit dem anderen Menschentyp, der möglicherweise intelligenter war als unsere direkten Vorfahren. Er könnte sich auch vorstellen, nur einige Neandertaler-Gene in einen modernen Menschen einzuschleusen - und zu sehen, was sich dadurch wie verändert. Ethische Bedenken artikuliert er nicht, er vertritt nur die Meinung, dass die Gesellschaft vorab das Klonen akzeptieren muss.

Die Leitung des Neanderthal-Museums in Mettmann bezeichnete gegenüber der Rheinischem Post die ganze Klon-Idee als absurd und sinnlos, denn ein heute geborenes Neandertalerkind würde ja am Ende unter lauter Homo sapiens aufwachsen:

Weder die Kultur nur den Lebensraum der Neandertaler gibt es noch. Es werden keine Neandertaler entstehen, sondern heutige Menschen.

Aber auch bezüglich dieser Kritik hat Church ganz eigene Vorstellungen, denn er stellt sich nicht einen Klon, sondern gleich eine ganze Schar von Neandertalern vor:

How do we have to imagine this: You raise Neanderthals in a lab, ask them to solve problems and thereby study how they think?
Church: No, you would certainly have to create a cohort, so they would have some sense of identity. They could maybe even create a new neo-Neanderthal culture and become a political force.

Eine ganz besondere Vision von einer schönen neuen Welt, Mary Shelley wäre sicher fasziniert.