Abrechnung vor Vertrauensfrage: Scholz spricht FDP sittliche Reife ab

Bundeskanzler Scholz sprach in seiner Rede mehrfach von Respekt. Nach Meinung der Linken klang er wie ein Oppositionsführer. Foto: miss.cabul / Shutterstock.com

Schlagabtausch vor Vertrauensfrage im Bundestag. Noch-Kanzler macht Weg für Neuwahlen frei. Was er sich zugutehält und was andere Parteien ihm vorwerfen.

Zu Beginn seiner Rede an diesem Montag hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) klargestellt, dass er die Vertrauensfrage an die Abgeordneten im Bundestag stelle, um vorgezogene Neuwahlen zu ermöglichen, im Grunde aber das Vertrauen der Wahlberechtigten zurückwill.

"Diese Entscheidung ist so grundlegend, dass sie vom Souverän selbst getroffen werden muss, von den Wählerinnen und Wählern", sagte Scholz mit Blick auf Investitionen in Zukunft und Infrastruktur, über die er sich mit FDP als Koalitionspartner wegen deren Haltung zur Schuldenbremse nicht hatte einigen können.

Scholz verteidigt Lindner-Entlassung: Politik sei kein Spiel

In diesem Zusammenhang verteidigte Scholz erneut die Entlassung von FDP-Chef Christian Lindner als Finanzminister und warf dessen Partei sinngemäß vor, den Koalitionsbruch schon lange geplant zu haben.

"Politik ist kein Spiel, liebe Kolleginnen und Kollegen", schrieb er der FDP ins Stammbuch. Um in eine Regierung einzutreten, brauche es "die nötige sittliche Reife", fügte der Kanzler hinzu und löste damit erwartungsgemäß Zwischenrufe und Kopfschütteln bei den Adressaten aus.

Die "wochenlange Sabotage der eigenen Regierung durch die Freien Demokraten" und dieses "Schauspiel" insgesamt hätten nicht nur der Regierung, sondern der Demokratie insgesamt geschadet, betonte Scholz.

Er selbst wolle gesellschaftlichen Zusammenhalt, sichere Renten und Zukunftsinvestitionen in Deutschland sowie die Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg nicht gegeneinander ausspielen, sagte Scholz. In der Frage von Krieg und Frieden warb er dafür, "standhaft" und zugleich "besonnen" zu bleiben.

Vorwurf der Führungsschwäche an Scholz

Er habe die Koalition immer wieder zu Entscheidungen und Kompromissen geführt, hielt sich zugute. "Geführt war da gar nix", ertönte ein Zwischenruf.

Scholz erinnerte zudem ein seinen Wahlkampfslogan "Respekt für Dich" und betonte: "Respekt verdient nicht nur, wer 200.000 Euro im Jahr verdient, sondern auch, wer jeden Tag für den Mindestlohn arbeiten geht."

Linke: Scholz redet wie ein Oppositionsführer

Seine Aussage, Politik müsse "das Leben der ganz normalen Leute besser machen" kommentierte die Linke-Politikerin Kathrin Vogler auf der Plattform X mit den Worten, Scholz habe zwar Recht, halte aber gerade die Rede eines Oppositionsführers: "Was macht er eigentlich beruflich?"

Der CDU, die in den Umfragen stärkste Kraft ist, warf Scholz unter anderem vor, faktisch die Renten kürzen zu wollen, indem sie plane, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln.

In der anschließenden Aussprache erhielt zuerst CDU-Chef Friedrich Merz als Oppositionsführer das Wort, teilte sowohl gegen Scholz als auch gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und die "selbsternannte Fortschrittskoalition" aus und brach eine Lanze für die Kanzler gescholtene FDP: "Sehr respektvoll, was da von Ihnen kommt", befand Merz zunächst ironisch.

Tatsächlich sei dies sei "nicht nur respektlos", sondern "eine blanke Unverschämtheit", so Merz. Außerdem sei es gelogen, dass die CDU Rentenkürzungen plane. Vielmehr wolle sie steuerliche Anreize schaffen, länger zu arbeiten.

Linder wirft Scholz Umverteilungspolitik vor

FDP-Chef und Ex-Finanzminister Lindner erklärte in seine Rede, Scholz habe sich "der notwendigen Neuausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik verweigert" und deshalb "kein Vertrauen mehr verdient". Scholz wolle Milliarden einsetzen, um den Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel zu senken, wovon die Rentnerin genauso profitiere wie der Millionär.

Dies sei "eine unfreiwillige Offenbarung", wofür Scholz die Schuldenbremse aufheben wolle: Um mehr verteilen zu können, nicht für Investitionen. Die Zechen würden "die Kinder" zahlen, sagte Lindner mit Blick auf die Staatsverschuldung. Nötig sei unter anderem eine Kürzung der Regelsätze beim Bürgergeld, betonte Lindner.

"Neid schafft keinen Arbeitsplatz, Neid schafft keinen Aufschwung", so der Ex-Finanzminister, dessen Luxus-Hochzeit auf Sylt unter anderem auf einem Stern-Titel mit der Überschrift "Die Abgehobenen" kritisiert worden war.

Robert Habeck, der sich neben Scholz, Merz und der AfD-Politikerin Alice Weidel selbst um das Kanzleramt bewirbt, kündigte an, seine Fraktion werde sich bei der Vertrauensfrage von enthalten.

Die Ansage "Wählt uns, wählt mich, und ihr bekommt eine neue Wirklichkeit", werde schiefgehen, gab er seinen Mitbewerbern zu bedenken, nachdem ihn Merz als "Gesicht der Wirtschaftskrise in Deutschland" bezeichnet hatte.

Patriotismus-Streit zwischen AfD und Union

AfD-Kanzlerkandidatin Weidel warf Scholz eine Zeit "des Schönredens und der Realitätsverweigerung" vor und leitete damit einen Rundumschlag gegen die Wirtschafts-, Energie-, Außen- und Migrationspolitik der geplatzten Ampel-Koalition ein, warnte aber auch ausdrücklich vor der Wahl der Unionsparteien, da Merz mit der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine eine Ausweitung des Krieges riskiere.

Scholz zerrede aktuell "Rückkehroptionen" für syrische Flüchtlinge, während islamistische Gesänge auf Weihnachtsmärkten ertönten; und wer Merz wähle, wähle sowohl "den Krieg" als auch Robert Habeck als wahrscheinlichen Koalitionspartner, so Weidel.

CSU-Politiker nennt Scholz-Rede selbstgerecht

Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt warf Scholz "eine verdammt selbstgerechte Rede" vor, nannte aber zunächst Weidels Aussagen "unterstes Niveau". Die Unionsparteien stünden seit Jahrzehnten für den Frieden und die Nato für die Sicherheit Deutschlands. Wer wie Weidel den Austritt aus der Nato propagiere, sei in Wahrheit "kein deutscher Patriot", so Dobrindt.

Scholz war für Dobrindts Geschmack auch zu wenig auf das Thema "illegale Migration" eingegangen. Der Kanzler habe sein Versprechen nicht eingelöst, straffällige Asylbewerber zurückzuführen, so Dobrindt.

Kanzler am Nasenring durch die Manege gezogen?

Der Linke-Politiker Sören Pellmann warf Scholz, der SPD-Fraktion und den Grünen mit Blick auf die FDP vor, sie hätten sich viel zu lange "von einer kleinen Klientel-Partei der Bessergestellten am Nasenring durch die Manege ziehen lassen".

Die Ex-Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht (BSW) befand in der Aussprache, Scholz habe "hier eine 25-minütige Wahlkampfrede abgespult", statt sich bei den Menschen zu entschuldigen, die wegen der Politik seiner Koalition unter Existenzangst litten.

Zum Schluss erhielten noch alle fraktionslosen Abgeordneten Rederecht, davon mehrere Ex-AfD-Politiker, die unterschiedlich einschätzten, ob man Scholz als "kleinerem Übel" das Vertrauen aussprechen müsse, weil er durch sein "Nein" zur Taurus-Lieferung einen Krieg von Deutschland abwende. Scholz selbst wolle die Abstimmung ja gar nicht "gewinnen", monierte der inzwischen parteilose Ex-AfDler Dirk Spaniel.

Ja-Stimmen für Scholz entsprechen SPD-Fraktionsgröße

Letztendlich verlor Scholz erwartungs- und wunschgemäß. Die erforderliche Mehrheit sei nicht erreicht worden, gab Bundestagspräsidentin Bärbel Bas um 16.32 Uhr bekannt. Statt der nötigen 367 Abgeordneten sprachen Scholz nur 207 ihr Vertrauen aus. 116 enthielten sich und 394 stimmten gegen ihn.

Die 207 Ja-Stimmen entsprechen exakt der Fraktionsgröße der SPD. Allerdings erklärte im Anschluss die AfD-Frau Christina Baum, auch sie habe "schweren Herzens" Scholz ihr Vertrauen ausgesprochen, wegen der Frage von Krieg und Frieden, obwohl dessen Regierung aus ihrer Sicht Deutschland anderweitig schwer geschadet habe.