Abriss sowjetischer Denkmäler: So nimmt Russland Rache

Sowjetisches Denkmal. Bild: pickpik.com

Moskau setzt baltische Politiker auf Fahndungsliste. Lange Vorgeschichte der Provokationen. Was der juristische Schritt mit dem Kampf um die Geschichte zu tun hat.

Ein neuer Zankapfel für die west-östliche Propaganda: Russland ermittelt gegen baltische Politiker, die 2022 den Abriss sowjetischer Denkmäler befürworteten und durchsetzten. Die estnische Premierministerin Kaja Kallas ist die Prominenteste auf der Fahndungsliste. Auf ihr stehen auch viele lettische Parlamentarier.

Baltische Politiker im Visier Russlands

Die baltische Öffentlichkeit hat keinen Zugriff auf die staatlichen Medien und offiziellen Webportale Russlands, die als Mittel hybrider Kriegsführung erachtet werden. Deshalb beziehen sich lettische Artikel auf das russische Oppositionsportal Mediazona, um über den neuesten Aufreger zu informieren.

Demnach fahndet das Ermittlungskomitee der Russischen Föderation, das von Alexander Bastrykin geleitet wird, gegen ausländische Personen, die der Rehabilitierung des Nazismus oder der Geschichtsverzerrung verdächtigt werden. Bastrykin scheint nicht juristisch, sondern im Sinne Wladimir Putins zu agieren. Die EU verweigert ihm die Einreise.

Prominente Namen auf Russlands Liste

Auf der Fahndungsliste stehen polnische, ukrainische und baltische Minister, Bürgermeister, Abgeordnete und Stadträte, die sich für die Entfernung sowjetischer Monumente einsetzten.

Kaja Kallas ist die erste amtierende Regierungschefin, gegen die Russland auf diese Weise vorgeht. Auf der Liste steht auch ihr Außenminister Taimar Peterkop.

Das Symbol des Widerstands: Ein T-34-Panzer

Die estnischen Politiker befürworteten auch die Beseitigung eines T-34-Panzers, der zum Gedenken an den Sieg der Roten Armee im estnischen Grenzort Narva postiert war.

Kaja Kallas profiliert sich auf internationaler Bühne als entschiedene Russland-Kritikerin. Die estnische Ministerpräsidentin traf sich am 10. Februar 2022 mit ihren beiden baltischen Kollegen und Olaf Scholz im Berliner Kanzleramt.

Die Haltung Estlands zur NATO-Osterweiterung

Vor der Presse lehnte sie damals ab, mit Russland über die erfolgte Nato-Osterweiterung zu verhandeln. Das hatte Wladimir Putin gefordert, als er Soldaten an der Grenze zur Ukraine postieren ließ. Sie mahnte zu Einheit und Entschlossenheit der westlichen Bündnispartner, um Russland abzuschrecken. Zum russischen Verhandlungsangebot meinte sie:

Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass wir keinerlei Zugeständnisse, auch keine kleinen Zugeständnisse machen dürfen, solange man uns das Gewehr an die Brust setzt. Uns geht es vor allem darum, die Ukraine zu unterstützen, Deeskalation, wie zuvor erwähnt, nicht mit vorgehaltener Waffe. Das ist inakzeptabel.

Lettlands entschiedene Unterstützung für die Ukraine

Lettische Politiker reagierten ähnlich; sie solidarisierten sich ebenfalls bedingungslos mit der ukrainischen Regierung und präsentierten sich in der EU und in der NATO als die energischsten Befürworter von Waffenlieferungen und Sanktionen, erregten somit Argwohn auf russischer Seite.

Bastrykins Komitee konzentriert sich beim Thema Denkmalsdemontage auf die mittlere Baltenrepublik; gegen 89 lettische Personen wird in dieser Angelegenheit gefahndet.

Die sowjetischen Denkmäler galten in der lettischen Öffentlichkeit als Ärgernis, weil sie an die jahrzehntelange bolschewistische Besatzung erinnerten. Zu diesen Monumenten zählte das 1986 errichtete "Denkmal für die sowjetischen Befreier Lettlands und Rigas von den deutschen faschistischen Angreifern", eine 79 Meter hohe Betonsäule, die von heroischen Kriegsfiguren umgeben war.

Rolle der russischsprachigen Minderheit

Die Stätte bildete den Mittelpunkt für die Gedenkkultur der russischsprachigen Minderheit des Landes. Am 9. Mai feierte sie hier in Riga-Pardaugava das Ende des Großen Vaterländischen Krieges, der erst 1941 begann und die Zeit des Hitler-Stalin-Pakts ausschloss.

Letten war es ein Dorn im Auge; bereits 1997 versuchten Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppe Perkonkrusts (Donnerkreuz) erfolglos, die Säule zu sprengen, zwei Attentäter starben bei der Explosion. In den vergangenen Jahren scheiterten Bürgerinitiativen, die den Abriss forderten.

Die lettische Regierung verwies auf einen lettisch-russischen Vertrag aus dem Jahr 1994, der Lettland verpflichtet, sowjetische Denkmäler zu pflegen. Doch nach dem 24. Februar 2022 sahen sich lettische Abgeordnete von diesem Abkommen entbunden.

Das Ende einer Ära: Lettlands Gesetz gegen Denkmäler

Am 12. Mai 2022 annullierte das lettische Parlament die Verpflichtung, sowjetische Denkmäler zu bewahren; am 23. Juni 2022 trat das Gesetz "Über das Verbot der Ausstellung sowjetischer und nazistischer Regime rühmender Objekte und deren Demontage auf dem Territorium der Republik Lettland" in Kraft.

Neben der Entfernung des Rigaer Denkmals empfahl eine Expertenkommission die Beseitigung weiterer 69 sowjetischer Monumente in allen Regionen des Landes. Proteste gegen den Abriss wurden untersagt. Innenministerin Marija Golubeva trat zurück, weil ihr vorgeworfen wurde, am 9. Mai 2022 die Versammlung von Abrissgegnern am Rigaer Denkmal nicht polizeilich verhindert zu haben.

In den nächsten Monaten erfolgte eine landesweite Abrisswelle gegen die sowjetische Erinnerungskultur, der sich politische Vertreter der russischsprachigen Minderheit wie Andrijs Eksnins, Bürgermeister von Daugavpils, vergeblich widersetzten.

Russland reagiert auf lettische Denkmalspolitik

Bastrykins Komitee setzte nun alle 59 lettische Abgeordnete, die für die Annullierung des lettisch-russischen Abkommens gestimmt hatten, auf die Fahndungsliste, dazu jene 15 Stadträte Rigas, die den Abriss des örtlichen Mahnmals befürworteten, der im August 2022 stattfand. Zudem fahndet Russland nach den damaligen Ministern Armands Krauze, Inese Libina-Egnere und Marija Golubeva sowie weiteren Verantwortlichen.

Einerseits ist der Argwohn der Balten gegen sowjetische Denkmäler nachvollziehbar, denn sie wurden als Symbole der bolschewistischen Besatzung wahrgenommen, die mit willkürlichen Deportationen in die Gulag-Lager und schweren stalinistischen Menschenrechtsverletzungen verbunden war.

Andererseits bot der russische Einmarsch in die Ukraine einen Vorwand, sich des antifaschistischen Gedenkens zu entledigen. Der Begriff "Antifaschismus" hat in der lettischen Öffentlichkeit den Stellenwert russischen Rowdytums.

Umstrittene Erinnerungskultur in Lettland

Eine Auseinandersetzung mit der Nazi-Kollaboration lettischer Akteure ist in der lettischen Öffentlichkeit unerwünscht. Nationalkonservative Politiker, die bis vor wenigen Monaten an der Regierung beteiligt waren, schafften es in den vergangenen Jahrzehnten, den Diskurs der Erinnerungskultur zu bestimmen.

SS-Legionäre gelten als antibolschewistische Widerstandskämpfer. Obwohl sich das Gesetz auch gegen das Rühmen von Denkmälern des Nazi-Regimes richtet, blieb etwa der Gedenkstein von More bei Sigulda unangetastet, der an eine siegreiche Schlacht der 19. Division von SS-Legionären gegen die Rote Armee erinnert.

Die Kontroverse um lettische SS-Legionäre

Russische Aktivisten fordern, solche Erinnerungen ebenfalls zu entfernen und geraten ins Visier lettischer Behörden. Für die meisten Letten gelten SS-Legionäre, nicht Rotarmisten, als Befreier ihres Landes und sie sehen keine Verbindung zu den Nazi-Verbrechen.

Diese historische Einseitigkeit führte sogar dazu, dass in der flandrischen Gemeinde Zedelgem 2018 ein Denkmal für 12.000 lettische SS-Legionäre errichtet wurde, die nach Kriegsende hier bis zu zwei Jahren in einem Gefangenenlager der Siegermächte zubringen mussten.

Bienenstock für die Freiheit: Ein umstrittenes Denkmal

Für sie errichtete Künstler Kristaps Gulbis einen "Bienenstock für die Freiheit", der zur Hälfte von der Gemeinde Zedelgem und vom lettischen Okkupationsmuseum finanziert wurde. Nach Protesten belgischer Sozialdemokraten und der Einberufung einer Historikerkommission wurde das Denkmal im Juni 2022 wieder beseitigt.

Edgars Rinkevics, damaliger lettischer Außenminister und heutiger Staatspräsident, schrieb damals an die flandrische Regionalregierung einen Protestbrief. Er vermutete, dass die Gemeinde Zedelgem örtlicher und internationaler Desinformation ausgesetzt sei, als Folge der Desinformationskampagnen undemokratischer Regime, die sich gegen Europas demokratische Nationen richteten, um bösartige geopolitische Ziele zu verfolgen.

Zudem könne man die Diskussion über das Denkmal nicht führen, ohne den von Russland begonnenen Krieg in der Ukraine und die bereits zuvor aktiv gegen das Denkmal gerichtete russische Propaganda in Betracht zu ziehen.

Globale Kritik am lettischen Erinnerungsdenkmal

Doch Kritik kam nicht nur von russischer Seite. Das Simon-Wiesenthal-Center in Jerusalem betrachtete den Bienenstock als "unerträglich" und als eine Beleidigung für die Opfer des Hitler-Regimes, zudem ermutige das Denkmal zum Revisionismus.

Letten hätten die Möglichkeit gehabt, statt in der Legion zu kämpfen, Zwangsarbeit zu verrichten oder vor der Einberufung zu fliehen. Schließlich erinnerte das Zentrum an den Massenmord, der zwei Jahre vor Bildung der lettischen SS-Legion von den deutschen Besatzern mit lettischer Beteiligung an den Juden verübt worden war.

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