Gemeinsame Sicherheit: Experten zu Perspektiven des Friedens in Europa

Gorbatschow, Bush Sr,

Gorbatschow, Bush Sr, 1990. Bild: mark reinstein, Shutterstock.com

Wäre der Krieg im Osten Europas vermeidbar gewesen? Ja, sagen Petra Erler und Günter Verheugen heute im Telepolis-Podcast – aber nur bis zum Jahr 1994.

In einer Zeit, in der jede Erwähnung von Verständigung und Entspannung im Verhältnis zu Russland oft als Zeichen der Unterstützung für Putin oder als Naivität wahrgenommen wird, wagen Petra Erler und Günther Verheugen heute im neuen Telepolis-Podcast eine differenzierte Sichtweise.

Die beiden Autoren des neu erschienenen Buches "Der lange Weg zum Krieg" werfen maßgeblichen Entscheidern im Westen vor, eine Politik verfolgt zu haben, die auf Entspannung verzichtet und stattdessen einen Krieg in Kauf nimmt – eine Politik, die ihrer Meinung nach eine Mitschuld am Krieg in der Ukraine trägt.

Der Podcast erscheint heute um 12 Uhr in Textform hier und ist dann auf unseren Kanälen auf Youtube, Spotify und Audible ohne Bezahlschranke nachzuhören.

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Petra Erler, Staatssekretärin in der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière, und Günther Verheugen, ehemaliger EU-Kommissar und Staatsminister im Auswärtigen Amt, sind erfahrene Beobachter und Akteure der internationalen Politik. Beide warnen vor einer einseitigen öffentlichen Meinung und setzen sich für eine Rückkehr zur Diplomatie und Verständigung ein.

Im Interview mit Dietmar Ringel im Telepolis-Podcast erklären Erler und Verheugen ihre Motivation, das Buch zu schreiben. Verheugen:

Mein Hauptmotiv war, nicht hinzunehmen, dass in unserem Land eine Mauer des Schweigens errichtet wird. Ich habe es in meinem langen politischen Leben noch nicht erlebt, dass öffentliche Meinung so einseitig gesteuert wird, wie das im Fall des Ukrainekrieges geschieht.

Erler betont die Notwendigkeit einer Debatte darüber, wie Europa zusammenleben will – in einer dauerhaften Eiszeit oder durch eine Politik der Verständigung, die in der Vergangenheit erfolgreich war:

Als es 1990 die Option gab, eine gemeinsame Sicherheitsstruktur zu schaffen, war das noch die Politik vom alten Präsidenten Bush senior. Aber schon in den Spätzügen seiner Präsidentschaft gab es Leute, die (…) den Zerfall der Sowjetunion gerne zum Ausgangspunkt genommen hätten, auch Russland zu erledigen. (…) 1994 war es vollständig klar, dass die Amerikaner in Europa bleiben wollten und Russland intern als neuen Hauptgegner definiert hatten.

Verheugen betont in dem ausführlichen Gespräch, kein Krieg sei voraussetzungslos – und die aktuelle Situation habe eine lange Vorgeschichte, die oft ignoriert werde.

Trotz der schweren Vorwürfe gegen den Westen erkennen Erler und Verheugen auch die Mitverantwortung Russlands an, insbesondere durch die Annexion der Krim 2014 und den Angriff auf die Ukraine 2022. Sie betonen jedoch, dass die westliche Darstellung einer imperialen russischen Aggression nicht der gesamten historischen Realität entspricht.

Wenig Chancen auf Diplomatie

Angesichts der aktuellen Eskalation sehen beide Autoren wenig Chancen für Diplomatie, plädieren aber dennoch für eine Rückkehr zur Entspannungspolitik.

Verheugen erinnert an die erfolgreichen Verhandlungen der 1970er-Jahre, die zu einer langfristigen Entspannung führten. Eine ähnliche Herangehensweise sei auch heute möglich, um die Sicherheitsinteressen aller beteiligten Parteien zu berücksichtigen und eine friedliche Lösung zu finden.

Petra Erler und Günther Verheugen fordern eine realistischere und ausgewogenere Sichtweise auf die internationalen Beziehungen und warnen vor den Gefahren einer fortgesetzten Konfrontation.