75 Jahre Nato: Warum das kein Grund zum Feiern ist
- 75 Jahre Nato: Warum das kein Grund zum Feiern ist
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In Europa hängt man sich an die Militärallianz. Dabei wird unterstellt, dass die Nato Frieden und Sicherheit garantiert. Das ist aber keineswegs so, im Gegenteil. Eine Einordnung.
Gestern wurde in westlichen Medien feierlich an 75 Jahre Nato erinnert. Tagesschau.de titelte: "Nato feiert Jubiläum: Alles andere als ‚hirntot'".
Eine Anspielung an eine Äußerung vom französischen Präsident Emmanuel Macron, der die Militärallianz 2019 noch als "hirntot" bezeichnete. Heute sieht er das anders und fordert robustes Engagement, sprich westliche Truppen in der Ukraine.
Das Friedensbündnis
Vor fünfundsiebzig Jahren – am 4. April 1949 – schlossen die Außenminister der Vereinigten Staaten, Kanadas und zehn westeuropäischer Länder den Vertrag von Washington und gründeten damit die spätere Nordatlantikvertrags-Organisation, kurz Nato.
Die Bundesrepublik kam am 9. Mai 1955 dazu. Heute sind es 32 sogenannte Mitgliedsstaaten, die der Nato angehören. Vor allem nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, dem Ende des Warschauer Pakts und dem Zerfall von Jugoslawien kamen neue Mitglieder aus Ost- und Südosteuropa hinzu.
Von Politikern und in Medien im Westen wird dabei immer wieder erklärt, dass die Nato ein Friedens- und Verteidigungsbündnis sei – und nicht nur aus diesem Grund geschaffen wurde, sondern gemäß diesem Prinzip auch in den letzten Jahrzehnten agiert habe.
Trump erschreckt Europäer
US-Präsident Harry S. Truman habe das bei der Vertragsunterzeichnung 1949 stellvertretend so formuliert:
Die Nationen, die das Dokument unterzeichnen, verpflichten sich den friedlichen Prinzipien der Vereinten Nationen, sie pflegen freundschaftliche Beziehungen und wirtschaftliche Kooperation, und wenn das Gebiet oder die Unabhängigkeit von einem bedroht ist, kommen sie ihm zur Hilfe.
Alle für einen, das sei laut Beistandsklausel die Leitlinie der Nato, bis heute. Umso mehr erschreckt zeigt man sich in Europa, dass 75 Jahre nach der Gründung, ein ehemaliger US-Präsident und Präsidentschaftskandidat, Donald Trump, die Allianz infrage stelle.
So erklärte Trump, er würde Nato-Staaten nicht zur Hilfe kommen, wenn die nicht die geforderten zwei Prozent des BIP an Militärausgaben erreichen.
Warum hängt Europa so an der Nato?
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat die Nato eine starke Aufwertung in den EU-Ländern erfahren. Ihr Ansehen und ihre Strahlkraft dringen heute selbst in gesellschaftliche Schichten vor, in denen "militärische Lösungen" und Aufrüstung früher strikt abgelehnt wurden. Insofern funktioniert der Ukraine-Krieg wie ein intellektueller Durchlauferhitzer: Das Militärische, die Nato stehen heute hoch im Kurs.
Warum aber schätzen die Europäer, zumindest die Meinungsmacher:innen, die Nato so sehr, warum hängen sie derart an der von den USA angeführten und garantierten Militärallianz? Gibt es wirklich, 75 Jahre später, Grund zum Feiern?
Russland: Militärischer Koloss oder "Papiertiger"?
Man sollte sich dabei die Annahmen anschauen, auf denen die Wertschätzung des Bündnisses ruht. Eine Kernprämisse, mit der die Existenz der Nato, ihr Sinn, gerechtfertigt wird, ist, wie schon gesagt, dass das atlantische Bündnis für Sicherheit und Verteidigung steht und sie garantiert.
Doch die Frage ist: Gegen wen benötigen die EU-Staaten, der reichste Kontinent der Welt und wehrhaft, den Schutz von den USA? Wer würde sich trauen, sie anzugreifen?
Russland hat es nicht einmal geschafft, das an der eigenen Grenze gelegene Kiew unter Kontrolle zu bringen. Im Vergleich zu den Nato-Staaten ist das Land eher "Papiertiger" als der heraufbeschworene militärische Koloss, der den Westen abräumen kann. In Europa gibt es Atomwaffen. Und so weiter.
Nato ist kein Verteidigungsbündnis
Wir brauchen die Nato nicht, um sicher in Europa zu leben. Die Militärallianz ist auch kein Verteidigungsbündnis, das auf die Sicherheit der Bevölkerungen in Europa ausgerichtet ist.
Sie wurde deswegen nicht gegründet und betrieben. Das wurde den Menschen zwar über Jahrzehnte erzählt. Aber dadurch wird es nicht wahrer.
Offiziell hieß es nach dem Zweiten Weltkrieg, die USA wollten damit der Gefahr aus der Sowjetunion begegnen.
Doch erst die Wiederbewaffnung der BRD innerhalb der Nato führte zur Gegenreaktion, dem Warschauer Pakt. Die Russen und Osteuropäer konnten sich nämlich noch gut an die Zeit zwischen 1933 und 1945 erinnern.
Als die UdSSR der Nato beitreten wollten
Zuvor hatte die UdSSR versucht, der Nato beizutreten, da man eine erneute Militarisierung Deutschlands befürchtete. Auf der sogenannten Berlin-Konferenz im Februar 1954 hatte der russische Außenminister Molotow zudem eine Alternative vorgeschlagen: eine pan-europäische, kollektive Sicherheitsarchitektur.
Zugleich sollte dabei Deutschland wiedervereinigt und neutralisiert werden.
Der französische Präsident Charles de Gaulles sollte einen ähnlichen Vorschlag machen, eine gemeinsame Sicherheitszone vom Atlantik bis zum Ural. Putin schloss vor der Ukraine-Krise immer wieder im Sinne der KSZE daran an, um ebenfalls eine pan-europäische Lösung politisch zu forcieren.
Es gab vor- und nachher weitere Vorschläge vonseiten Moskaus, eine unabhängige europäische Lösung zu finden. Die USA lehnten alle ab, weil sie davon ausgeschlossen worden wären.