Abschiebung nach Tunesien: "Nicht der Mülleimer für Deutschland"
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In Tunis gibt es Proteste aus Angst vor rückkehrenden Dschihadisten. In die Aufregung mischen sich auch Ängste vor abgeschobenen Flüchtlingen aus Deutschland
Auch die tunesische Öffentlichkeit wird durch Meldungen irritiert, die nicht frei vom Verdacht sind, fake news zu verbreiten. So meldete der private Fernsehsender Nessma TV am 29. Dezember, dass ein Flugzeug aus Frankfurt mit 30 Terrorverdächtigen an Bord auf dem Flughafen Enfidha gelandet sei. Die Tunesier seien gewaltsam aus Deutschland abgeschoben worden; die Informationen seien streng vertraulich, die Quelle verlässlich.
In der französischen Übersetzung der Meldung, welche die tunesische Webseite Nawaat.org veröffentlicht, werden die Passagiere als "abgeschobene Terroristen" bezeichnet. Das tunesische Innenministerium reagierte schnell: Eine Bestätigung dafür gebe es nicht, die Medien sollten solche Informationen besser überprüfen. Eine richtig handfeste Gegendarstellung ist dies allerdings nicht.
In Tunesien kocht seit Anfang Januar eine Diskussion hoch, die auch deutsche Interessen berührt. Es geht um die Aufnahme von Dschihadisten tunesischer Staatsbürgerschaft, die aus eigenen Stücken ins Land zurück wollen oder dorthin abgeschoben werden. Die Diskussion verläuft nicht gerade nüchtern. Wie gesehen, bietet auch die Informationslage nicht unbedingt einen soliden Boden, Ängste, Zorn und Verzerrungen spielen mithinein.
Katrin Göring-Eckard: de Maizière hat schlecht verhandelt
Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hält de Maizière in einem Gespräch mit der Welt vor, dass der Innenminister nicht gut mit der tunesischen Regierung verhandelt habe. Hätte er das, so Göring-Eckardt, "könnte man zehn Prozent der Gefährder sofort ausweisen, und Anis Amri wäre gar nicht mehr in Deutschland gewesen".
Der Hintergrund ist, dass sich die Grünen-Fraktionschefin gegen eine Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten ausspricht. Man sei aber für "schnelle und faire Asylverfahren binnen weniger Tage" gibt sie zu verstehen, de Maizière müsse besser verhandeln.
Mit der tunesischen Regierung wird das derzeit nicht einfach sein. Die Regierung steht unter starkem Druck. Gestern protestierten im Zentrum der Hauptstadt Tunis einige Tausend Mitglieder der Zivilgesellschaft - "Aktivisten, Künstler, Oppositionsabgeordnete, Geschäftsleute, Schriftsteller, Journalisten" - gegen die Regierung, der sie vorwerfen, zu lax gegen Islamisten zu sein. Die Frage, wie mit den Dschihad-Heimkehrer und Radikalen, die ins Land zurückgeführt werden, umzugehen ist, war ebenfalls Thema.
"Tunesien ist nicht die abfall von Deutschland"
"Die Kinder von Ghannouchi sind nicht die unseren", lautete die Parole, die auf der Demonstration skandiert wurde, wie das tunesische Portal Kapitalis berichtet und Die Welt zitiert den Text eines Demo-Transparents in deutscher Sprache: "Tunesien ist nicht die abfall(!) von Deutschland."
Das Transparent in deutscher Sprache wie die eingangs zitierte Meldung von Nessma sind, unabhängig von ihrer faktischen Grundlage, Signale dafür, dass das Thema Rückkehrer in Tunesien in der Öffentlichkeit mit dem Problem des Dschihadismus verknüpft wird.
Vorwürfe gegen die Regierungspartei Ennahda
Die zornigen Vorwürfe richten sich besonders gegen Rachid al-Ghannouchi, den Vorsitzenden der islamistischen Ennhada-Partei, die seit 2011 mitregiert. Ob man sie, wie zum Beispiel Wikipedia, als "gemäßigt" bezeichnen will, ist Anschauungssache. Unstrittig ist allerdings, dass sie in den Jahren 2012 und 2013 eine Politik betrieben hat, die, um es gemäßigt zu formulieren, salafistischen Predigern mit wahabitischen Hintergrund nicht gerade Hindernisse in den Weg gestellt hat.
Sie konnten frei durchs Land ziehen und Anhänger um sich scharen. Auch gegen gewalttätige Proteste von Salafisten etwa anlässlich der Ausstrahlung von Persepolis durch Nessma TV zeigte die Regierung keine Entschlossenheit, die dem Wirken der Salafisten deutliche Grenzen aufgezeigt hätte. Ähnliches passierte bei Kunstausstellungen, die von Salafisten als unislamisch dargestellt wurden. Kurz: Der Vorwurf der Laxheit gegen radikale Strömungen im Land, der an Ennahda gerichtet wird, ist nicht grundlos.
"I will come to Tunesia this summer"
Seit Anfang Dezember sind größere Teile der Öffentlichkeit über Ankündigungen beunruhigt, dass das militärische Vorgehen gegen den IS in Syrien und im benachbarten Libyen, die tunesischen IS-Milizenkämpfer dazu veranlassen, wieder zurückzukehren. Das geht mit Drohungen einher, wie bei der Chronologie der seither stattfindenden "Polemik" von nawat.org ersichtlich wird: "I will come to Tunesia this summer."
Aus den Statements von führenden tunesischen Politikern, die in der Chronologie wiedergegeben werden, lässt sich eine nicht ungewöhnliche Schlussfolgerung ziehen: Keiner weiß, wie man sich diesem Problem stellen soll. Auch Ghannouchi ist nicht eindeutig. Die Demonstranten werfen ihm vor, dass er die "dschihadistischen Salafisten" (es gibt auch quietistische) als "unsere Kinder" bezeichnet hat, "die versucht haben, eine neue Kultur zu verbreiten" und die "den zornigen Islam vertreten". Müßig zu betonen, dass diese Aussage enormen politischen Zündstoff hat.
Die Rückkehrer aus dem Dschihad in Syrien oder in Libyen betreffend, veröffentlichte Ghannouchi aber auch andere Statements. Nawat.org zitiert ihn mit einer Aussage vom 25. Dezember, wonach er der Auffassung ist, dass man "die Terroristen nicht anderen Ländern aufdrängen kann". Die Justiz, die Polizei, die Psychologen und die Medien müssten diese Krankheit ernst nehmen. Manchmal benötige eine Krankheit eine psychologische Behandlung, manchmal einen chirurgischen Eingriff".