Abschiebungen: Straftäter in der Theorie, Genozid-Überlebende in der Praxis?

Jesidische Flüchtlinge 2014

Jesidische Flüchtlinge im Newroz-Camp im August 2014. Foto: DFID - UK Department for International Development / CC-BY-2.0

Scholz will Schwerkriminelle abschieben – wenn möglich auch nach Afghanistan. Dafür gibt es Hindernisse. Dieses Glück haben jesidische IS-Opfer aus dem Irak nicht.

Beim Stichwort "Abschiebung" denken die meisten Menschen in Deutschland eher nicht an jesidische Menschen aus dem Irak, die vor den Massakern der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) ab 2014 unter anderem nach Deutschland geflohen sind.

Seit der Messerattacke des Islamisten vor einer Woche in Mannheim, die für den Polizisten Rouven L. tödlich ausging, wird vor allem über Möglichkeiten diskutiert, Schwerkriminelle auch in Länder wie Syrien und Afghanistan abzuschieben, soweit sie von dort eingewandert sind und keinen deutschen Pass besitzen.

Dies war auch Schwerpunktthema einer Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur aktuellen Sicherheitslage am Donnerstag in Berlin.

Scholz will Abschiebung von Straftätern auch nach Afghanistan

Mit Blick auf die anstehende Fußball-Europameisterschaft der Männer und mögliche Terrorgefahren für Stadien und Fanmeilen sagte Scholz, die Menschen sollten sich die Vorfreude auf dieses Ereignis nicht nehmen lassen; der Sicherheitsapparat bereite sich vor.

Zugleich warnte Scholz vor einem Generalverdacht gegen 20 Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte und dem Missbrauch des Attentats von Mannheim zur Spaltung der Gesellschaft. Es empöre ihn aber, wenn jemand hier "Schutz suche", um dann schwerste Straftaten zu begehen. "Solche Straftäter gehören abgeschoben - auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen", sagte Scholz.

Ähnlich äußerte sich FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Unionsfraktionschef Friedrich Merz forderte von Scholz und der Ampel-Koalition mehr Entschlossenheit und konkretes Handeln.

Grüne: Abschiebeabkommen mit Taliban-Regime schwierig

Die Grünen verweisen jedoch auf Probleme in der praktischen Umsetzung: Der Täter von Mannheim, ein abgelehnter Asylbewerber, stammt Afghanistan – einem islamistisch regierten Land, mit dem die Bundesrepublik seit 2021 keine Beziehungen mehr unterhält.

"Wie soll man das machen?", fragte die Fraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann am Donnerstag im Bundestag. Es sei zwar klar: "Menschen, die schwere Straftaten begehen, müssen nach Verbüßung der Strafe abgeschoben werden." Fraglich sei nur, ob man mit dem islamistischen Taliban-Regime in Afghanistan über ein Abschiebeabkommen verhandelt werden könne.

"Auch wird zu klären sein und zu prüfen sein, für welches Drittland es attraktiv sein soll, Terroristen oder schwere Straftäter aufzunehmen", sagte Haßelmann. Einfache Antworten gebe es jedenfalls nicht.

Abschiebungen in den Irak sind jederzeit möglich

Für Geflüchtete aus dem Irak sieht es anders aus – auch wenn sie keinerlei Straftaten begangen haben und, wie Angehörige der jesidischen Minderheit, explizit vor islamistischem Terror geflohen sind. Im Irak herrscht zwar kein Taliban-Regime – besiegt ist der IS dort aber auch nicht.

"Obwohl viele Täter des Genozids weiterhin unbehelligt im Irak leben und der IS wieder aktiv ist, werden Jesiden in diesen Tagen abgeschoben", kritisierte die Autorin Ronya Othmann kürzlich in der FAZ-Kolumne "Import Export".

Nach Informationen des Berliner Linken-Politikers Ferat Kocak werden die Betroffenen teilweise arglos zu Terminen im Ausländeramt gelockt – unter dem Vorwand, ihre Duldung zu verlängern – und dann festgenommen und zum Flughafen gebracht.

IS-Terror: Islamistische Massaker als Genozid anerkannt

Der Bundestag hat die IS-Massaker an der jesidischen Minderheit im vergangenen Jahr als Genozid anerkannt. Noch im Frühjahr 2023 hatte die Bundesregierung Abschiebungen jesidischer Menschen in den Irak als "unzumutbar" bezeichnet. Ende des Jahres wurden sie aber nach Recherchen des ARD-Magazins Monitor immer häufiger.

Mit einer nachhaltigen Verbesserung der Sicherheitslage dort ist das nicht zu erklären. Der Innenminister der Autonomen Region Kurdistan m Nordirak, Reber Ahemd Khalid, warnte sogar Ende Mai im Gespräch mit einem Reporter der Funke Mediengruppe, der IS sei "aktuell viel stärker als 2014".

Scharfe Kritik am Umgang mit Traumatisierten

"Der IS ist aktuell aufgrund der Militäroperationen der Türkei in Nordsyrien und Irak wieder auf dem Vormarsch", betonte der Berliner Linken-Politiker Kocak am Donnerstag. Die geflohenen Jesidinnen und Jesiden seien nach wie vor traumatisiert und schutzbedürftig. "Menschen in das Land des Traumas abzuschieben, ist abgründig."