Absolutistisches Saudi-Arabien: Viel schlechter als sein Ruf

Seite 2: "Nur der Regierung ist die Freiheit gestattet, sich die saudische Gesellschaft neu vorzustellen"

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Sie werden maßgeblich von einer Einheit verantwortet, die direkt dem Kronprinzen untersteht. Berichterstatter sind überrascht, da darunter bekannte Frauen sind, die sich gegen das Frauenfahrverbot ausgesprochen haben und es doch die große Reformmeldung aus Saudi-Arabien im vergangenen Jahr gab, wonach das Frauen-Fahrverbot im Sommer des laufenden Jahres aufgehoben werden würde. Warum also dieser polizeiliche Akt gegen bekannte Befürworterinnen der Reform?

Die offizielle Begründung des Innenministeriums lautet, dass den verhafteten Frauen und Männern sowie Anwälten "Kontakte zu verdächtigen ausländischen Vereinigungen" vorgeworfen werden, dass sie vorgehabt hätten, eine NGO zu gründen. Als publizistische Begleitmusik dieses Vorwurfes tauchten dann in Medienberichten wie auf sozialen Netzwerken, die in Saudi-Arabiens Öffentlichkeit sehr wichtig sind, entsprechende Stichwörter auf wie "Verräter" und ähnliches.

Das wiederum zeige, dass die Sache dem Führungszirkel um Mohammed bin Salman politisch sehr wichtig ist, schreibt die Organisation Pomed (Project on Middle East Democracy) in dem lesenswerten Bericht "Kein Land für mutige Frauen" zur Lage in Saudi-Arabien, wie sie sich anhand der Festnahmen präsentiert.

Keine Toleranz gegenüber unabhängigen Aktivismus

Die Festnahmen sind nicht auf kurze Zeit beschränkt, so der Bericht. Sie machen deutlich, dass es unter Mohammed bin Salman keine Toleranz gegenüber unabhängigen Aktivismus im Zusammenhang mit dem Status von Frauen und ihren Rechten geben wird. Die Verhafteten plädieren für einen freieren Status von Frauen, die in Saudi-Arabien noch immer von Rechten gegängelt werden, die eine männliche Vormundschaft in vielen Belangen fordern.

"Nur der Regierung und ausgewählten Vertretern ist die Freiheit gestattet, sich die saudische Gesellschaft neu zu imaginieren oder gar das Verhältnis zwischen Herrscher und Beherrschten neu zu definieren", heißt es in der Situationsbeschreibung. Interessant ist auch die Beobachtung, dass die Verhaftung sehr laut vonstattenging, mit großer Medienaufmerksamkeit und den bereits genannten "Verräter"-Stichwörtern. Die Medienberichterstattung wird in Saudi-Arabien nicht dem Zufall überlassen.

Die Auffassung, wonach die saudi-arabischen Führer gegen die Aktivisten vorgehen, weil sie befürchten, dass es zu einer konservativen Gegenreaktion gegen Frauen am Steuer kommen könnte - was von Verteidigern der Regierung vorgebracht wird -, wird von der Grimmigkeit und dem öffentlichen Charakter der Denunzierungen in Abrede gestellt, die die jüngsten Verhaftungen begleiten. Es wäre möglich gewesen, sie still festzuhalten, bis der Medienfokus auf die Reform des Fahrverbots mit dem 24. Juni vorbeigeht. Dass man sie verhaftet, in dem man sie laut als "Extremisten" und "Verräter" bezeichnet, ist eine völlig andere Sache.

Pomed

Das Gesetz des neuen Saudi-Arabien unter der Ägide des Kronprinzen unterscheidet sich nicht sehr vom alten: Die Linien zieht der absolute Herrscher. Wer ohne Erlaubnis Kritik übt oder auch nur im Verdacht stehen könnte, dass sie oder er Kritik ohne Absprache mit den Verantwortlichen üben könnte, wird vom öffentlichen Gelände entfernt, kommt ins Gefängnis oder, wenn es glimpflich abläuft, in den Hausarrest oder ins Exil. Oder sie verschwinden spurlos.