Adieu, Verschwörungs-Apol(l)ogeten: Das Schweigen der Sowjets
Seite 3: Kalter Krieg in heißer Phase
- Adieu, Verschwörungs-Apol(l)ogeten: Das Schweigen der Sowjets
- Gagarin-Schock
- Kalter Krieg in heißer Phase
- Auf einer Seite lesen
Doch das genaue Studium der Fakten offenbart schnell den ridikülen Kern der beiden Interpretationen und verdeutlicht, wie sehr beide Behauptungen die historische Realität verfehlen. "Dass Gagarin niemals im Weltraum gewesen ist und es einem Deal mit den USA gegeben hat, ist ausgemachter Unsinn, über den es sich nicht lohnt zu reden. Da ist kein Platz mehr für Verschwörungstheorien", so der Zeitzeuge, Chronist und Berliner Wissenschaftsjournalist und Raumfahrtexperte Harro Zimmer.
Der Blick ins Raumfahrtarchiv zeigt in der Tat, wie eng das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Sowjets und den Amerikanern während und nach den Apollo-Missionen um die Vorherrschaft im Orbit und um die erste bemannte Mondlandung gewesen war. Als der Eiserne Vorhang zugezogen wurde, kämpften die Hauptakteure hinter den Kulissen um jeden Zentimeter auf der großen Bühne der Weltpolitik und um jede Requisite, ob diese nun auf der Erde oder im All war.
Während Gagarin Weltgeschichte schrieb, steuerte der Kalte Krieg seiner heißesten Phase entgegen: Die Berlin-Krise war gerade einmal zweieinhalb Jahre alt. Knapp ein Jahr vor dem Wostok-1-Flug belastete der Abschuss des amerikanischen Spionageflugzeugs U-2 über dem Ural durch eine sowjetische Boden-Luft-Rakete die ohnehin schlechten bilateralen Beziehungen weiter. Fünf Tage nach dem Weltraumflug des Kosmonauten scheiterte die von der CIA angezettelte Schweinebucht-Invasion in Kuba. Und die Kuba-Krise, die ohne Zweifel den Höhepunkt des Kalten Krieges symbolisiert und dank Robert Kennedy und Anatoli Fjodorowitsch Dobrynin nicht in einem Dritten Weltkrieg mündete, war nur 18 Monate fern.
In dieser spannungsgeladenen Epoche hatte fürwahr keine Seite auch nur den geringsten Anlass, der anderen auf Kosten einer welthistorischen Lüge einen wie auch immer gearteten Kredit und technischen Vorsprung zu gewähren. Es ging um viel Prestige, um die nationale Ehre und um die Demonstration von Macht. Die USA hätten genauso wenig einen Gagarin-Hoax toleriert wie die Sowjetunion den von den Verschwörungstheoretikern vielbeschworenen Moon-Fake.
Vor dem Hintergrund, dass die UdSSR selbst einen bemannten Mondflug geplant hatte und gerne einen Kosmonauten auf dem Mond gesehen hätte, darf getrost davon ausgegangen werden, dass Moskau das gesamte Apollo-Programm mit Argusaugen studiert hat. Auf Seiten der Sowjetunion war der Neidfaktor so groß, dass der Erfolg der Apollo-11-Mission mit allen Mitteln heruntergespielt wurde.
"Im Kreml wurde bereits in Vorfeld des Fluges darüber diskutiert, wie man mit einem Erfolg der Amerikaner umgehen sollte. Ein Apollo 11-Erfolg sollte medial nur als knappe Meldung auf den hinteren Seiten der Presse erscheinen", erinnert sich Harro Zimmer.
KGB war kein Karnevalsverein
Es liegt zweifelsfrei auf der Hand, dass Washington ohnehin nicht den Hauch einer Chance gehabt hätte, eine Mondlandung vorzutäuschen und diese Lüge über Dekaden hinweg zu vertuschen, ohne dass der sowjetische Geheimdienst davon Wind bekommen hätte. Schließlich verfügten die Sowjets während des Kalten Krieges über ein hervorragend organisiertes Netzwerk von Agenten und Wirtschafts- und Technikspionen. Allein für das "Komitee für Staatssicherheit", den KGB, arbeiteten in den späten 1960er Jahren mehr als 200.000 Menschen und zusätzlich noch rund 300.000 Informanten.
Der KGB war kein Karnevalsverein, wie dies vielleicht viele Moon-Hoax-Fans gerne sähen, sondern eine bestens organisierte Behörde mit hochprofessionellen Mitarbeitern, die für ihren Einfallsreichtum und ihre Improvisationsgabe berüchtigt waren. So konnten Agenten des russischen Geheimdienstes in den 1960er Jahren Wanzen in das britische Königshaus schmuggeln. Selbst die USA-Botschaft in Moskau wurde damals Opfer eines sowjetischen Lauschangriffes, als es den Russen gelang, eine passive Wanze in einem Faksimile des Großen Staatssigels der Vereinigten Staaten zu verstecken.
Fast in allen westlichen Regierungsparteien fasste irgendein Spitzel Fuß oder konnte von aus Moskau rekrutiert werden. Mal als Journalist, Diplomat oder Wissenschaftler getarnt, erlangten sowjetische Spione Zugang zu hochsensiblen Daten. Vor allem während des Kalten Krieges waren die Agenten des Warschauer Paktes hochaktiv und auf dem Bereich der Technikspionage führend. Historiker vermuten, dass bis zum Beginn der 1980er Jahre ungefähr 70 Prozent der eigenen Waffensysteme auf westlichem Know-how beruhten. Viele Experten gehen davon aus, dass KGB-Spezialisten inzwischen summa summarum 152 Geheimcodes von 72 westlichen Ländern dechiffrieren können.
Bei alledem verfügten die Russen seit Sputnik über ein gut funktionierendes Radarsystem und effektive Radioteleskope. Eine im Orbit kreisende Apollo-Kapsel, die laut den Verschwörungs-Aposteln während einer Mondmission dort bis zur "realen" Landung geparkt wurde, hätten die Sowjets detektieren können. Die UdSSR hätte im ureigenstem Interesse Hinweise oder Indizien für solch ein perfides globales Täuschungsmanöver gefunden. "Der KGB und die anderen Nachrichtendienste waren über die Entwicklungen der US-Raumfahrt jederzeit sehr gut informiert", erklärt Matthias Uhl vom Deutschen Historischen Institut Moskau. Für den Spezialisten für Osteuropäische Geschichte und Experten für sowjetische Geheim- und Nachrichtendienste im Kalten Krieg war die UdSSR vor allem über die amerikanischen Weltraumprojekte bestens unterrichtet:
Die Ausrüstung des KGB, aber auch insbesondere die der sogenannten kosmischen Truppen der Sowjetunion ermöglichten eine effektive Überwachung der amerikanischen Aktivitäten im Weltraum. So wurden die gesamten Gespräche der Apollo-11-Mission abgefangen, aufgezeichnet und für das Politbüro übersetzt.
Harro Zimmer, der für den RIAS BERLIN alle Apollo-Missionen vom Start bis zur Landung live kommentierte, bestätigt Uhls Ausführungen:
Zum Zeitpunkt der Apollo-Flüge war die UdSSR sehr wohl in der Lage, den Funkverkehr und die Landungen zu verfolgen. Seit den sechziger Jahren war in Yevpatoria auf der Krim ein großer Antennen-Komplex für die interplanetare Kommunikation in Betrieb.
Prawda und die Wahrheit
Keine Frage, im Zeitalter des Space Race herrschte zwischen den beiden Großmächten eine gnadenlose gegenseitige Kontrolle und Observation, ein harter Wettkampf, der keinen Raum für erfundene Raumfahrtabenteuer bot. Schließlich galt es, den politischen Klassenfeind mit allen Mitteln auszubooten, ihn mit militärischen oder Weltraummissionen die Grenzen des eigenen Systems vor Augen zu führen und aufzuzeigen, wer in technisch-wissenschaftlicher, aber auch in politischer Hinsicht schlichtweg der Überlegenere war.
Da die Führungsriege der Sowjetunion den amerikanischen Erfolg damals bekanntlich nur mit Murren zur Kenntnis nahm, hätte sie im Wissen um eine inszenierte Mondlandung nicht gezögert, alle Fakten auf den Tisch zu legen und den angeblichen historischen Triumph des politischen Feindes mit Freuden zu diskreditieren. "Ich halte es daher für unwahrscheinlich, dass die UdSSR einen Trumpf wie eine 'gefakte Mondlandung' im Wettstreit der Systeme nicht ausgenutzt hätte", resümiert Matthias Uhl.
In diesem Fall hätte das Sprachrohr des Systems, die größte und allgegenwärtige Tageszeitung Prawda ("Wahrheit"), mit Sicherheit ihrem Namen gerne alle Ehre gemacht. Doch sie schwieg, ebenso wie die TASS und alle anderen sowjetischen Gazetten sowie Medien. Alle schwiegen - auch die sowjetischen und russischen Regierungen, die nach dem Ende des Apollo-Raumfahrtprogramms und nach Glasnost und Perestroika noch folgen sollten.
Dieses Schweigen spricht eine deutliche Sprache. Es ist ein lautes Schweigen, das bis heute nachhallt. Eines, das alle Mondverschwörungs-Apol(l)ogeten nicht überhören können. Eines, das sie nachdenklich, sehr nachdenklich stimmen sollte.
Youtube-Video Aufbruch ins All - Der Wettlauf der Supermächte (Dokumentation ZDF-Produktion 2009)