AfD, Union und "Ungeziefer": Natürlich ist das Bürgertum

Wie es in ihm denkt, wollte er dann doch nicht autorisiert haben: Peter Ramsauer. Foto: Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0

Faschismus wird gerne als Gesinnung des Pöbels und der Ungebildeten dargestellt. Die sind aber für Rechtspopulisten nur Schwungmasse. Wie pseudolinker Klassenhass von oben ihnen nützt.

Zuletzt war es der CSU-Politiker und Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer, der das gern als bürgerlich bezeichnete politische Lager mit einem "Ungeziefer"-Zitat im Zusammenhang mit Armutsmigration blamierte. Die Linke sprach von "lupenreiner Volksverhetzung" und forderte Ramsauer auf, sein Bundestagsmandat abzugeben.

Dabei war dieser Teil seiner Gedankenwelt eigentlich nicht zur Veröffentlichung gedacht und wurde inzwischen aus dem Interview mit dem Magazin Mittelstand Digital entfernt, wie er an diesem Dienstag betonte.

Deng Xiao Ping hat einmal gesagt: "Wenn man die Fenster zu weit aufmacht, kommt auch viel Ungeziefer mit rein." Das heißt übertragen auf die Einwanderungsproblematik, dass wir aufpassen müssen, dass wir neben den Fachkräften nicht auch x-beliebige Wirtschaftsflüchtlinge mit ins Land holen.

Peter Ramsauer (CSU) laut Bericht der Berliner Zeitung in der ursprünglichen Fassung des Interviews

Viele sahen dadurch die Grenzen bürgerlicher Wohlanständigkeit verletzt – nicht nur, weil das Zitat laut Ramsauer von dem formell kommunistischen früheren chinesischen Staatschef Deng Xiao Ping stammt, sondern auch, weil es an rassistische Ausfälle von AfD-Rechtsaußenpolitikern erinnert. Letztere dürften dem CSU-Mann auch wirtschaftspolitisch näherstehen – denn er ist eben nach wie vor bürgerlich.

Das Bürgertum verroht schon länger

Soziologisch gehört die politische Klasse zum Bürgertum, auch wenn beispielsweise Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD zur Europawahl 2024 sich ganz klar als rechts bezeichnet – nicht als bürgerlich, wie Rüdiger Suchsland hier vor wenigen Tagen betonte. Beides ist kein Widerspruch. Krah ist Anwalt und Master of Business Administration, er hat ein Millionenvermögen für die Piusbruderschaft gemanagt und dem erzreaktionären Zusammenschluss geholfen, Steuern zu sparen. Ein strammer Rechter – aber keineswegs ein rechter "Proll", sondern durch und durch Teil des Bürgertums.

Schon 2010 – drei Jahre vor der Gründung der AfD – stellten die Bielefelder Soziologen um Wilhelm Heitmeyer in der Studie "Deutsche Zustände" eine Verrohung des Bürgertums fest.

Persilschein für das Bürgerliche

Ein anderer Sprachgebrauch hält sich aber in Deutschland hartnäckig: Die AfD habe "die Chance verpasst, eine bürgerliche Partei zu werden", meinte Anfang dieses Jahres der Focus. Stattdessen sei sie ein "Sammelbecken von Rechtspopulisten". Das Bürgertum ist demnach nicht nur sozioökonomisch bessergestellt als die "Prolls", es ist auch moralisch etwas Besseres. Niemals würde es letztere populistisch instrumentalisieren, spalten oder gegen Schwächere aufhetzen. Oder etwa doch?

Personen mit klassisch bürgerlichem Hintergrund, die das bedenkenlos tun, wird die Bürgerlichkeit abgesprochen, damit das Bürgertum als solches sauber bleiben kann. Als sei das größte Problem am heutigen AfD-Chef Tino Chrupalla, dass er im Gegensatz zu seiner Ko-Vorsitzenden Alice Weidel nicht studiert, sondern Malermeister gelernt hat, bevor er Teil dieser politischen Klasse wurde. Ob ihn der proletarische Beruf tatsächlich mehr geprägt hat als ein Vierteljahrhundert im Umfeld der CDU, sei dahingestellt.

Weidel soll ihr Volks- und Betriebswirtschaftsstudium als eine der Jahrgangsbesten abgeschlossen haben – und der Thüringer AfD-Rechtaußenpolitiker Björn Höcke weiß als ausgebildeter Geschichtslehrer sicher genau, bei wem er Anleihen nimmt, wenn er von Wölfen und Schafen spricht.

Nach wie vor gibt es auch Professoren in der AfD – dennoch betonte der linksliberale Kraftklub-Sänger Felix Kummer schon 2019: "Das ist keine Professoren-Partei mehr, das sind keine intellektuellen Euro-Kritiker mehr, da sind stramme Faschos in dieser Partei."

Auch das seit rund 30 Jahren in der Antifa-Szene beliebte Ärzte-Lied mit dem Refrain "Arschloch" ignoriert die Nadelstreifen-Fraktion und bedient das Klischee vom dummen, kleinen, ungebildeten Stiefelnazi, der "einfach gar nichts weiß". Mittlerweile, seit das Internet Massenmedium ist, sind das die, über deren schlechte deutsche Rechtschreibung beherzt gelacht wird.

So verständlich das in manchen Fällen ist, so leicht kann es doch zum Alibi für Klassenhass von oben werden. Schließlich ist er dann endlich mal politisch korrekt; und die eigenen bildungsbürgerlichen Privilegien sind dann endlich mal kein Grund, sich schlecht zu fühlen. Und überhaupt: Der Faschismus war doch eine Bewegung des Pöbels, oder?