Affäre Kerviel vor Gericht

Von der Risikobereitschaft der französischen Großbank Société Générale

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Das Symbol kam genau zur rechten Zeit. Oder genau zur unrechten. Je nach Sichtweise. Am Montag dieser Woche fand, den ganzen Tag über, vor den Pariser Untersuchungsrichtern Renaud Van Ruymbeke und Françoise Desset, die Anhörung gewichtiger Zeugen im prominentesten französischen Finanzskandal der letzten Jahrzehnte statt. Es handelt sich um die so genannte „Kerviel-Affäre“, die im Januar dieses Jahres aufflog (siehe Solo bei der Société Générale?) und der französischen Geschäftsbank Société Générale binnen kürzester Zeit einen Verlust in Höhe von 4,9 Milliarden Euro eintrug. Der Skandal ist zum Symbol für die Va-banque-Politik führender französischer Finanzinstitute geworden. Er wirft auch die Frage nach der Schuld oder Mitschuld führender Manager bei riskanten Spekulationsgeschäften auf, die nun - im internationalen Zusammenspiel - eine Lawine ausgelöst haben.

Am Montag von 9 bis 18 Uhr wurden nun die Repräsentanten der Finanzaufsicht, in Gestalt der beiden Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Young sowie Deloitte, vernommen. Es ging darum, die Frage zu klären, ob der spektakuläre Absturz - der noch weitaus schlimmer für die Bank hätte ausfallen können, wäre es ihr nicht gelungen, den dramatischen Geldverlust drei Tage lang zu verbergen, um in dieser Zeit alle riskanten Posten abzustoßen - auch hätte vermieden werden können.

Währenddessen fand, just zur selben Zeit, eine Dringlichkeitssitzung des französischen Kabinetts statt. Die „normalen“ Tagungen des Ministerrats finden üblicherweise am Mittwoch Vormittag statt. Bei der Sondersitzung zu Wochenanfang ging es - im aktuellen Kontext nicht verwunderlich - um ein Rettungspaket für die angeschlagenen oder durch die internationale Finanzkrise bedrohten, französischen Banken (siehe Billionen werden für Rettungspakete ausgeschüttet).

Die Öffentlichkeit und die Medien des Landes verfolgten in diesem Kontext besonders intensiv die Justizaktivitäten rund um die „Kerviel-Affäre“. Aber worum ging es dabei genau?

Ein Rückblick auf den Finanzskandal des Jahrzehnts

Der 31jährige Trader Jérôme Kerviel hatte zu Beginn dieses Jahres insgesamt 50 Milliarden Euro im Namen der drittgrößten französischen Bank - der Société Générale, für die er arbeitete - aufs Spiel gesetzt. Bei riskanten Börsenoperationen spielte er für „seine“ Bank mit einem so hohen Einsatz, dass letzterer das Eigenkapital des Kreditinstituts, das ihn beschäftigte, bei weitem überstieg. Letzteres betrug, je nach Angaben, 24 respektive knapp 31 Milliarden Euro.

Er habe darauf gehofft, dass nach dem damaligen ersten Börseneinbruch - der in den ersten Wochen dieses Jahres durch die Ausläufer der aus den USA herüber schwappenden „Subprime-Krise“ verursacht wurde - damit zu rechnen sei, dass die Märkte schnell wieder anzögen und er daraus Gewinn schlagen könne. Dies erklärte Jérôme Kerviel den Ermittlern, die ihn Mitte Januar vorübergehend festnahmen und nach dreitägigem Verhör unter Justizauflagen wieder auf freien Fuß ließen. Zunächst wurde dabei die Frage aufgeworfen, inwiefern Jérômé Kerviel - der laut ersten Angaben „glaubte, sich beweisen zu müssen“, und seine Fähigkeiten unter Beweis stellen wollte - dabei ohne Wissen seiner Vorgesetzten handelte. Seitens der Bank wurde zunächst eine Version ausgestreut, wonach Kerviel beinahe an den internen Aufsichts- und Kontrollmechanismen gescheitert wäre, diese jedoch auf geschickte Art und Weise habe umgehen können: Dank intensiver persönlicher Kontakte, die er zu Arbeits- und früheren Studienkollegen im Back Office habe knüpfen können, sei es ihm gelungen, sich ständig die neuen Passwörter für die Computer der Bank - nach ihrer am laufenden Band erfolgenden Veränderung - zu besorgen. Auf diese Weise schaffte er es, im Rücken von Vorstand und Kontrollbeauftragten zu agieren.

Chefetage war informiert

Diese Darstellung hat sich längst als völlig unhaltbar erwiesen. Inzwischen ist bekannt, in welch hohem Ausmaß die Führung der Geschäftsbank, über Monate hinweg, im Detail über das Agieren ihres Angestellten informiert war. Seit April 2007 hatten nämlich mehrfach Krisensitzungen stattgefunden und waren E-Mails gewechselt worden, auf denen respektive in denen ausführlich von den fiktiven Operationen Kerviels die Rede war. Und davon, dass sie die Bank im Falle, dass es schief ginge, teuer zu stehen kommen könnten. Nur Jérôme Kerviel wusste nicht, dass seine Vorgesetzten wussten, was er trieb, und dies ziemlich genau. Doch die Bankführung hatte sich damals - mehrheitlich - dazu durchgedrungen, nicht gegen die riskanten Spekulationsgeschäfte zu unternehmen, die ihren Angestellten zu Schwindel erregenden Höhenflügen trieben. So lange es gut ging, so die dahinter stehende Philosophie, konnten die Gewinne zugunsten der Bank verbucht werden. Denn Kerviel ging es kaum darum, sich persönlich finanziell zu bereichern, abgesehen vielleicht von steigenden Bonuszahlungen für seine „außerordentlichen Leistungen“ - doch die Spekulationsgewinne steckte er keineswegs in die Tasche, sondern sie wurden der Société Générale zugeschrieben.

Kerviel, der mutmaßlich aufgrund seiner Herkunft Minderwertigkeitskomplexe gegenüber den übrigen Tradern der Bank hegte, wollte wohl wirklich hauptsächlich seine „ungeahnten Fähigkeiten“ unter Beweis stellten. Aber wäre es schief gegangen, so lautete jedenfalls die Erwartung, dann ließ sich Alles ihm allein in die Schuhe schieben. Es ist nun schief gegangen, und zwar gründlich. Im Januar konnte die Société Générale gleich 7 Milliarden Verlust auf einmal schreiben: 4,9 Milliarden an roten Zahlen rührten aus den Spekulationsverlusten Jérôme Kerviels. Und mit weiteren 2,2 Milliarden Euro Verlust trug damals bereits das „Herüberschwappen“ der so genannten Subprimes-Krise über den Atlantik zu Buche.

Banken wieder flüssig machen?

Die „Kerviel-Affäre“ ist in Frankreich nun zum sinnfälligen Symbol für die Skrupellosigkeit, aber auch übertriebene Risikofreude der Privatbanken bei Spekulationsgeschäften geworden. Vor diesem Hintergrund verspürte das Publikum zunächst eine gewisse Unlust, die in Bedrängnis geratenen Bankinstitute wieder flüssig zu machen.

Doch nachdem die Ausmaße der Krise nun vielen Französinnen und Franzosen bedrohlich zu erscheinen beginnen, hat sich nun doch ein Sinneswandel eingestellt. Denn die drohende Verknappung des Kredits, für Privatkunden wie für Unternehmen, sorgt für eine Verlangsamung der „ökonomischen Maschinerie“. Und seit Anfang Oktober dieses Jahres hat die Regierung erstmals eingeräumt, dass Frankreich inzwischen in die Rezension eingetreten, was von der gängigen Definition her bedeutet, dass das Land in mindestens zwei Trimestern hintereinander ein negatives Wirtschaftswachstum verzeichnet.

Nachdem für das laufende Vierteljahr zunächst ein Wachstum in Höhe von 0,8 % vorausgesagt worden war, räumte das Nationale Statistikamt INSEE vor kurzem ein, dass es bei höchstens Null oder darunter liege werde - und dies zum zweiten Mal in Folge. Damit ist Frankreich im engeren Sinne in die Rezension eingetreten, wie die konservative Regierung nunmehr am 3. Oktober erstmals auch - widerwillig zwar - einräumte.

Auch wenn der amtierende rechtskonservative Haushaltsminister, Eric Woerth, vor den Kameras dank einer feinsinnigen Wortwahl hinzusetzte, es handele sich um eine „technische Rezession“, als ob dies einen Unterschied ausmachen würde.