Afghanistan: Wir brauchen eine politisch-diplomatische Offensive für zivile Evakuierungen

Hält den militärischen Ansatz in Afghanistan für gescheitert: Linken-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen. Bild: privat

Die Nato-Interventionspolitik ist am Hindukusch gescheitert. Nun braucht es eine politische Lösung, um gefährdeten Menschen zu helfen. Ein Gastkommentar

Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Bundesregierung tragen mit Verantwortung für das Desaster des 20 Jahre langen Krieges in Afghanistan. Zehntausende getötete afghanische Zivilisten, Millionen Flüchtlinge, 59 tote Bundeswehrsoldaten und allein auf deutscher Seite 12,5 Milliarden Euro an Kriegskosten.

Und am Ende wurden auch noch die Ortskräfte im Stich gelassen und eine zivile Evakuierung verhindert. Die Forderung der Fraktion DIE LINKE nach einer schnellen, unbürokratischen Evakuierung der Ortskräfte parallel zum Abzug der Bundeswehr wurde am 24. Juli im Bundestag niedergestimmt, zu einem Zeitpunkt als diese noch wesentlich gefahrloser möglich war.

Nicht um Menschenrechte und Demokratie ging es beim Nato-Krieg in Afghanistan, sondern immer nur um finstere Geopolitik. Das Mandat zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan" dient nichts anderem als dem Versuch, den Bundestag für die katastrophale Interventionspolitik der Bundesregierung am Hindukusch in Mithaftung zu nehmen.

Der Bundestag stimmte heute mehrheitlich einem Kampfeinsatz zu, der mit dem beschlossenen Abzug der US-Truppen unmittelbar vor seinem Ende steht. Tausende Ortskräfte und ihre Familien bleiben zurück.

Mit dem Militäreinsatz der Bundeswehr wird der Öffentlichkeit militärische Handlungsfähigkeit simuliert, während die Bundesregierung zugleich bis ins Detail die Evakuierung mit den Taliban abspricht.

Die laufende Rettungsmission läuft mit Erlaubnis und Absicherung der Taliban, wie die Bundesregierung selbst einräumt, wie auch, dass die islamistische Terrormiliz bisher alle diesbezüglichen Zusagen eingehalten hätten.

Nur militärische Evakuierung nicht möglich

Wer also meint, die Evakuierung aus Afghanistan sei "nur" militärisch möglich, verkennt die Realität. Nach dieser Sicht wird es ab morgen oder Freitag keine Evakuierungen mehr geben können, wenn die Bundeswehr in Kabul eingepackt hat.

Tausende Afghanen, die selbst nach Definition der Bundesregierung noch evakuierungsberechtigt sind, müssten vor Ort verbleiben, wenn man dieser falschen militärischen Logik folgt.

Durch die ausschließlich militärische Evakuierung unter dem Dach der US-Streitkräfte war und ist die Evakuierung zeitlich massiv begrenzt worden. Und gegenüber dem vorherigen Afghanistan-Mandat wurde im neuen auch noch die Gruppe der zu Evakuierenden in schändlicher Weise eingeschränkt.

Ortskräfte und besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen sollen demnach nur noch "im Rahmen verfügbarer Kapazitäten" in Sicherheit gebracht werden - das ist nicht nur verlogen, sondern für Tausende von Menschen lebensgefährlich.

Dieses Mandat für einen neuen Kampfeinsatz der Bundeswehr muss man ablehnen - auch mit Blick auf das Erfurter Programm und das Wahlprogramm der Partei DIE LINKE zur Bundestagswahl am 26. September.

Notwendig ist jetzt eine politisch-diplomatische Offensive für eine zivile Evakuierung aus ganz Afghanistan in Verhandlungen mit den Taliban und eine konsequente Beendigung der Nato-Interventionspolitik.

Statt hier Nebelkerzen zu zünden und mantragleich von Verantwortung zu schwafeln, muss die Bundesregierung endlich Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass sich das Desaster nicht auch noch in Mali im Westen Afrikas wiederholt.

Wer wirklich Verantwortung zeigen will, der organisiert jetzt die zivile Evakuierung und beendet endlich die Nato-Interventionspolitik. Beides will die Bundesregierung nicht und damit ist die nächste Katastrophe programmiert.

Hilfe aus Pakistan für die Taliban

Der erneute Siegeszug der islamistischen Terrormilizen der Taliban nach 20 Jahren Militärpräsenz der Nato in Afghanistan ist ohne Unterstützung durch Pakistan nicht denkbar. Die Bundesregierung hat die finsteren Taliban-Helfer in Islamabad in der 19. Wahlperiode Rüstungsexporte im Wert von fast 300 Millionen Euro genehmigt.

Im Rahmen ihrer Machtübernahme ist den Taliban das Waffenarsenal der afghanischen Sicherheitskräfte in die Hände gefallen, darunter neben den von den USA gelieferten wohl auch die seit 2001 aus Deutschland ausgeführten Rüstungsgüter.

Die Bundesregierung hat allein in der zu Ende gehenden Legislatur Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter an Afghanistan im Gesamtwert von rund 30 Millionen Euro erteilt.

Seit Beginn des Nato-Militäreinsatzes in Afghanistan 2001 hat die Bundesregierung den Export von Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern für mehr als 400 Millionen Euro in das Land genehmigt. Die Bundeswehr hat den afghanischen Sicherheitskräften unter anderem 10.000 Pistolen vom Typ Walther P1 geschenkt.

Es ist bezeichnend für die Heuchelei dieser Tage, dass die Forderung nach einem Rüstungsexportstopp in die Region, insbesondere nach Pakistan, von den Kriegsparteien im Bundestag selbst heute wieder keine Zustimmung gefunden hat.

Sevim Dagdelen ist Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.