Alle gut gelaunt, nur die Schwarzen nicht

Reaktionen auf Rostock

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Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Was wohl Thomas Bernhard, der alte Meister des öffentlichen Theaters dazu gesagt hätte? Das Stück ist bekannt, der Ausgang auch und doch regen sich am Ende alle wahnsinnig darüber auf. Fröhlich, bunt und friedlich beginnen alle Demonstrationen für den Frieden, so auch in Rostock. Doch, wo sich schwarze und grüne Gruppen gegenüber stehen, gibt es seit Jahrzehnten einem ungeschriebenen Ritual zufolge „chaotische gewalttätige Auseinandersetzungen“. Wo bleibt der Erkenntniswert des Spektakels? Spurensuche in den Äußerungen zum Krawall in Rostock.

Abfall für alle, der von wenigen aufgeräumt wird: 30 Kubikmeter Müll waren am Morgen nach der Demonstration wegzuschaffen, davon zehn Kubikmeter Straßenbelag, „der von den Randalierern für Wurfgeschosse genutzt worden war“.

Die genaue Höhe der Sachschäden ist noch unklar, sie belaufen sich, wie üblich, „auf Millionenhöhe“. Dagegen werden die Zahlen der Verletzten ziemlich präzise mit 433 Polizisten und 520 Demonstranten angegeben. An Verletzungen werden vor allem Knochenbrüche, darunter auch offene, genannt. Zum Glück scheint niemand lebensgefährlich verletzt.

Laut dem Kommentator der FAZ ist dies eindeutig der Preis für die „Deeskalationsstrategie“ der Polizei, „die offensichtlich auch darin bestand, möglichst wenig martialisch aufzutreten....Sie darf ihren Beamten eine solche Taktik nicht ein zweites Mal zumuten.“

In dasselbe Horn stößt auch der bayerische Innenminister Beckstein, der die Gewalttäter unter den Demonstranten in einem Interview mit dem bayerischen Rundfunk als „Gangster“ bezeichnete (für Bundesinnenminister Schäuble sind sie „Verbrecher“) und härteres Vorgehen forderte:

Wer zum Beispiel Tränengas in der Tasche hat, muss bis zum Ende des G-8-Gipfels in Unterbindungs-Gewahrsam genommen werden.

Der Krawall war seiner Einschätzung nach sorgfältig vorbereitet. Die geringe Zahl der Festnahmen ist laut Beckstein "äußert unbefriedigend".

Die Polizei sprach von 125 Festnahmen, der anwaltliche Notdienst, der sich um Protest-Teilnehmer kümmert, von mindestens 165. An den Krawallen waren nach Erkenntnissen der Polizei viele Ausländer beteiligt. Unter den festgenommenen Autonomen seien Bulgaren gewesen, Österreicher, Japaner, Schweden, Spanier, Franzosen und Russen. Es sei darüber hinaus auffällig, dass bei den Aufräumungsarbeiten leere Reiz- und Tränengaspatronen mit kyrillischer Aufschrift gefunden wurden. Insgesamt seien 2000 gewaltbereite Autonome angereist.

Financial Times Deutschland

Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei, rechnet für weitere Demonstrationen mit dem Schlimmsten - "Das ist eine Spirale der Gewalt" – und fordert ebenfalls eine härtere Gangart gegen Gewalttäter:

Es müssen Vor-Kontrollen dort stattfinden, wo sich die Chaoten treffen. Wer Steine, Messer oder Knüppel dabei hat, muss sofort in den Polizei-Gewahrsam.

Während auch Wolfgang Speck, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, Kritik an der Deeskalationsstrategie der Polizei übt, will der Koordinator des Rostocker Anti-G8-Bündnisses, Monty Schädel, naturgemäß keine derartige Strategie der Polizei am Werke gesehen haben, welche diesen Namen verdiente:

Die Polizei hat nicht zur Deeskalation beigetragen... Die Polizei ist (..) stümperhaft und unprofessionell vorgangen... Von den im Vorfeld viel gepriesenen Deeskalations-Teams war nichts zu sehen.

Für den Münchner Polizeipsychologen Georg Sieber, Protagonist der „Münchner Linie“ (vgl. hier), die auf Deeskalation und Gespräche setzt, lag der Fehler der Polizei vor allem im „geschlossenen Einsatz“ (vgl. Polizeipsychologe Sieber spricht von "einsatztechnischer Dummheit"):

Das wird seit den 70er Jahren als einsatztechnische Dummheit bezeichnet. D.h. relativ viele junge Polizisten aus der Bereitschaftspolizei werden nicht einzeln, sondern als Kette oder im Stoßtrupp eingesetzt... „In Rostock ist das alles lehrbuchmäßig gemacht worden, wie es nicht sein soll. Die Polizeibeamten lernen das doch an der Polizeiakademie, dass man es so nicht macht. Deswegen war dieser Einsatz von vorne herein daneben.

Für die nächsten Tage brauche es nun eine große politische Geste, um eine Eskalation zu vermeiden, etwa „den Zaun und die ganzen demonstrativen Aggressionssymbole verschwinden zu lassen“.

Aber das wird nicht möglich sein. Ich denke, die Situation ist wirklich verfahren.

Anscheinend auch zwischen den Blöcken der G8-Gegner:

"Aber es sind sicher tausend Leute aus der Umweltbewegung, auch andere Gruppen außer uns, die gestern mit demonstriert haben", so Karsten Smid von Greenpeace gegenüber dem Spiegel.

Da sind ja auch viele Leute gewesen, mit denen man nicht reden kann.

Karsten Smid ist freilich nicht der einzige, der "zwei Gesichter des Protests“ sieht, diese Pauschal-Wahrnehmung findet sich in beinahe allen Berichten, neu sind vielleicht die Details, die von mitlaufenden Reportern unter den Kapuzen erkannt werden:

Eigentlich ist es ein buntes Volk, das da marschiert. Vorne "Gerechtigkeit jetzt", und hinten die Kommunisten von der DKP, von der man gar nicht wusste, dass es sie noch gibt. Dazwischen sind Türken, Schotten, Portugiesen, Italiener, Koreaner, der Göttinger Friedensblock, die Anhänger kleinbäuerlicher Landwirtschaft, gut gelaunt, entspannt, lässig - nur die einen nicht, und das sind die Schwarzen. Blasse Gesichter unter Kapuzen und hinter Sonnenbrillen. Manche halten in den Händen kleine, schwarze Fähnchen, und wenn eines von denen hochgeht, dann ist das ein Zeichen für die anderen. Diese Jungs schlendern nicht, die kommen kompakt daher, auf schnellen Beinen. Banner und Transparente haben sie um ihren Block drapiert wie eine Sichtblende. Auf einem steht: "Bekämpft G8 mit allen Mitteln." Das alles atmet Aggressivität.

Stefan Klein, Süddeutsche Zeitung

Doch die Unentspannten sind die einzigen, die genau wissen, was sie wollen, stellt der Kommentar zur Demo fest:

Die Autonomen, die als einzige, gut organisierte Gruppe genau wissen, was sie wollen, werden als militanter Flügel der weltweiten Protestbewegung akzeptiert, egal, welchen politischen Unsinn sie von sich geben. Dann marschieren sie zunächst brav mit, neuerdings - womöglich klimabedingt - mit uniformen Sonnenbrillen, und gegen Ende oder kurz nach Abschluss der Demonstration beginnt dann zuverlässig die Randale.

Michael Bauchmüller, Süddeutsche Zeitung

Und die Erkenntnis am Ende: „Es ist das alte symbiotische Verhältnis zwischen Krawallmachern und Polizei: Die einen wollten Putz, und nun bekommen sie ihn.“

In aller Deutlichkeit wird das Ritual von einem Blogger entzaubert:

Nun hat ein Riot, der am seitens der Polizei erwarteten Ort zum erwarteteten Zeitpunkt von den erwarteten Leuten her stattfindet nichts subversives mehr an sich, sondern verkommt zum Ritual. Die Handelnden haben nicht das Spielbrett in der Hand, sondern sind Schachfiguren und damit nicht auto- sondern heteronom. Ein Schwarzer Block liefert genau die Bilder, die der Staatsapparat braucht, um seine monströsen Sicherheitsmaßnahmen zu rechtfertigen. Somit erfüllen auch Autonome (die, wie wir gesehen haben, hier gar nicht autonom handelten) eine Planstelle in der spektakulären Ökonomie und sind Bestandteil des kulturindustriellen Orchesters.

Für einen anderen bedeutet Rostock wenigstens das Ende einer fürchterlichen Parole:

Eines ist klar, die Krawalle in Rostock waren das definitive Ende einer Parole, die vermutlich ohnehin in Vergessenheit geraten war, mir allerdings immer noch als eine worst of-Parole, als Triumph der Peinlichkeit in Erinnerung blieb: “Wo, wo, wo wart ihr in Rostock?” schall es jahrelang reichlich sinnfrei und grammatikalisch gewagt deutschen Polizisten entgegen- der empörte Verweis darauf, dass die Staatsmacht im August 1992 den rassistischen Mob tagelang in Lichtenhagen gewähren ließ. Jetzt hat die Parole ausgedient, denn mit Rostock sind Riot Bilder verbunden. Man ist stolz darauf, sich aufs Heftigste mit der Staatsmacht gebalgt zu haben und darauf, für ein bis zwei Tage durch das kollektive Entzünden von Kleinwagen und Mülltonnen Thema in der internationalen Presse zu sein. Stolz darauf, dem archimedischen Punkt der “Bewegung”, den Auseinandersetzungen in Genua, nahe gekommen zu sein.