Allegorien des Faschismus

Seite 2: Als die Studiobosse Diktatoren waren

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In "Mank" erzählt David Fincher nun seine Version dieser Geschichte. Sie ist nicht schmeichelhaft für Welles, dafür um so gnädiger mit Mankiewicz. Darin folgt Fincher der berühmten US-Kritikerin Pauline Kael und deren legendärer Abrechnung mit Welles in ihrem Buch "Raising Kane". Aus Mank's Leben gegriffen setzt sich "Citizen Kane" hier im Hirn des Autors und auf der Leinwand (bzw. dem Bildschirm) vor den Augen der Zuschauer zusammen.

Dazu zitiert Fincher ausgiebig die formalen Mittel von "Citizen Kane": Nahaufnahmen, Unschärfen, Ton-Bild-Scheren, abrupte Szenenwechsel, überhaupt das sehr sprunghafte Erzählen und natürlich die langen Rückblenden, die gewissermaßen das Pferd der Erzählung von hinten aufzäumen. Hier führen sie vor allem ins Hollywood der 1930er Jahre.

Bild: © Netflix / Nikolai Loveikis

Das schiere Handwerk hat David Fincher immer interessiert. Wie haben sie das damals gemacht? Und was waren es für Atmosphären in den 30 goldenen Jahren der Filmindustrie zwischen den frühen 20er und den frühen 50er Jahren, als die Studiobosse Diktatoren waren, denen die Stars "gehörten"?

Einer von ihnen, MGM-Boss Louis B. Mayer bekommt einen schönen Satz in diesem Film. Die Magie des Films, sagt er, sie läge vor allem darin, dass Film die einzige Ware sei, die nach dem Kauf nur in der Erinnerung der Kunden existiert, während sie sich weiter im Besitz des Verkäufers befindet. Allenfalls ein paar Multimillionäre durften hier noch mitspielen, sie waren Geldgeber, finanzierten ein wenig oder halfen bei der Vermarktung - wie der mysteriöse Howard Hughes oder eben William Randolph Hearst, der als Vorbild der "Citizen Kane"-Figur gilt.

Darstellung des Undarstellbaren

Man könnte diesen Film also als rein historische Rekonstruktion, als akademische Film-im-Film-Arbeit und persönliche Liebhaberei eines Regisseurs abtun, der sich diese Laune einfach erlauben kann. Das ist "Mank" aber keineswegs. Ja, diese detaillierten Innenansichten aus der größten Ära Hollywoods sind filmgeschichtlich hochinteressant, der Blick hinter die Kulissen der Traumfabrik und die Dekonstruktion des "Citizen Kane"-Mythos enthüllend.

Aber "Mank" ist mehr: Eine Erinnerung an das Schaffen und die Bedeutung der oft vergessenen Drehbuchautoren, vor allem aber eine Ode auf den kreativen Prozeß als solchen, der Versuch, dem Undarstellbaren visuelle Gestalt zu geben: Der Beziehung zwischen Schwerstarbeit und Genie, zwischen den Einflüssen der Fakten und der sogenannten Wirklichkeit einerseits zur Inspiration andererseits, die diese zu etwas Neuem, Überrealem veredelt. Fincher hat dies auf gewisse Weise auch schon in seinen sensiblen Darstellungen des Ermittlungshandwerks in "Seven" und "Zodiac" geleistet - aber hier geht es nun um Künstler. Insofern ist dies auch Finchers bisher persönlichster Film.

Gary Oldman (der einmal mit der gleichen Frau verheiratet war wie Fincher) spielt Mankiewicz, und auch sonst ist die Besetzung interessant und ungewöhnlich: Lily Collins seine Assistentin Rita Alexander, Newcomerin Tuppence Middleton seine Frau, Amanda Seyfried die Hollywood-Diva Marion Davies, die auch die Lebensgefährtin des Medienmagnaten William Randolph Hearst (Charles Dance) war, der als das Vorbild der Kane-Figur gilt. Tom Burke spielt Welles.

Panorama des Trumpismus

Zugleich erscheint "Mank" überaus aktuell in seinem Bild einer USA, in der die Exzesse der Oberschicht mit der Korruption einer ganzen Gesellschaft und dem Größenwahnsinn einzelner Superreicher einhergehen. Hollywood lieferte dazu Pomp und Glamour - um so schlimmer, wenn es wie in diesem Fall dann nicht spurte wie gewünscht und gar einen seiner reichen Gönner direkt anging.

So wie William Randolph Hearst einst den Schriftsteller Upton Sinclair in einer Medienkampagne politisch nahezu ruinierte, so versuchte er auch die Karriere von Mankiewicz, der ihm nicht gehorchen wollte, zu zerstören und den Film "Citizen Kane" zu verhindern.

Im Jahr 2020 muss man in alldem, wie in der grundsätzlichen politischen Paranoia, die der Film schildert, ein Spiegelbild des Trumpismus sehen. Im Hollywood der 1930er Jahre findet Fincher eine Welt, in der sich Unterhaltung und Politik gefährlich durchdringen. Dabei bewahrt er sich und seinem Publikum zugleich immer den Sinn für die Größe der alten Filmindustrie, für ihre Magie über allen Abgründen.

Dies ist Finchers erste Kinoarbeit seit "Gone Girl" vor über sechs Jahren. Ein Herzensprojekt bereits seit über 20 Jahren. Doch auch 1997, direkt nach "Seven" und "The Game" und im Ruf, das größte Jung-Genie seiner Generation zu sein, erlaubte man ihm keinen Schwarzweißfilm. Es musste erst Netflix kommen, um diese anspruchsvolle Feier künstlerischer Kreativität, die mehr ist, als nostalgische Beschwörung alten Hollywood-Zaubers und Nerd-Kult für Cinephile, doch noch möglich zu machen.