Altruistisches Strafen

Schweizer Ökonomen betonen die Rolle der Emotionen bei der Entstehung kooperativen Verhaltens

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Die Entstehung von Kooperation unter Menschen, die nicht miteinander verwandt sind, wird häufig mit dem Nutzen erklärt, den der Einzelne aus dieser Zusammenarbeit zieht. Dieser Nutzen stellt sich jedoch in der Regel erst nach wiederholtem Zusammenwirken und dem dabei aufgebauten Vertrauen ein. Aber auch in zufällig und nur einmalig zusammengesetzten Gruppen kooperieren Menschen miteinander. Wie lässt sich das erklären?

Die Schweizer Ökonomen Ernst Fehr und Simon Gächter schlagen in der aktuellen Ausgabe von Nature vor, bei der Untersuchung der Entwicklung kooperativen Verhaltens einen stärkeren Augenmerk auf das "altruistische Bestrafen" von "Trittbrettfahrern" zu legen. In einem Experiment, das sie mit 240 Studenten der Universität Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule durchführten, zeigte sich, dass der Grad der Kooperation höher war, wenn es die Möglichkeit gab, diejenigen zu bestrafen, die von der Zusammenarbeit profitierten, ohne selbst dazu beizutragen.

In dem Experiment ging es darum, Investitionsentscheidungen zu treffen. Jeweils vier Studenten wurden zu einer Gruppe zusammengetan, wobei jeder Einzelne über 20 Schweizer Franken verfügte. Von diesem Geld konnten sie eine beliebige Summe in ein "Gruppenprojekt" investieren. Für jeden investierten Franken erhielt jedes Gruppenmitglied 0,4 Franken - auch diejenigen, die selber nichts investierten. Wenn alle ihr gesamtes Budget von 20 Franken in den Topf gaben, konnten sie daher jeweils 32 Franken verdienen. Wenn niemand etwas investierte, blieb es bei den 20 Franken pro Kopf.

Alle Interaktionen fanden anonym statt. Das Investitionsspiel wurde insgesamt zwölfmal hintereinander gespielt, wobei zudem die Gruppenzusammensetzungen jedes Mal wechselten, sodass keine Möglichkeit bestand, sich auf das Verhalten einzelner Individuen einzustellen. Bei sechs dieser Spiele (den ersten oder den letzten sechs) bestand zudem die Möglichkeit, nicht-kooperierende Spieler zu bestrafen. Der bestrafende Spieler konnte dem Trittbrettfahrer bis zu zehn Strafpunkte verordnen. Jeder einzelne Punkt kostete den Bestraften drei Franken und den Strafenden einen Franken.

Es zeigte sich, dass die Kooperation bei den Spielen mit Strafmöglichkeit über den Zyklus von sechs Spielen kontinuierlich zunahm, während sie bei den Spielen ohne Strafe ebenso kontinuierlich abnahm. Während dieses Ergebnis noch im Bereich der Erwartungen gelegen haben mag, wunderten sich die Forscher jedoch über die Bereitschaft der Spieler zum Strafen. Schließlich kostete sie das etwas und brachte ihnen keinen unmittelbaren Nutzen, jedenfalls keinen materiellen.

Die Motivation zum Strafen liegt nach Ansicht der Forscher eher im emotionalen Bereich. Eine Befragung der Teilnehmer des Experiments ergab, dass die Gefühle gegenüber den Trittbrettfahrern umso negativer waren, je stärker sie von den durchschnittlichen Investitionen der jeweiligen Gruppe nach unten abwichen. Umgekehrt rechneten die nicht-kooperierenden Teilnehmer mit eben diesen negativen Reaktionen.

Einen unbedarften Leser, der täglich ein mehr oder weniger breites Spektrum an Emotionen durchlebt, mag das alles nicht sonderlich beeindrucken. Für eine Wirtschaftstheorie, die immer noch von einem rational kalkulierenden, seinen Eigennutzen verfolgenden Individuum ausgeht, ist die Berücksichtigung emotionaler Faktoren dagegen eine große Herausforderung (Wie du mir, so ich dir).

Für die teilnehmenden Studenten (die zu 31 Prozent Studentinnen waren, was für die Auswertung jedoch keine weitere Rolle spielte) hat sich das Experiment übrigens zumindest finanziell gelohnt: Für die etwa 60 Minuten dauernden Sitzungen bekamen sie durchschnittlich 39,70 Franken.