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Seite 3: "Die Menschen zögern heute, ihre politische Meinung zu äußern"

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Vor der "Rock and Roll Hall of Fame" blättert Wachmann Michael während seiner Mittagspause in der Tageszeitung USA Today. "Wie denkt man in eigentlich in Europa über Trump?", fragt der 43-Jährige interessiert, nachdem sich sein Gesprächspartner als Besucher aus Deutschland vorgestellt hat. Dann sagt er, bevor er wieder seinen Dienst antritt:

Weißt Du, irgendetwas ist anders. Als Afroamerikaner war ich von Obama enttäuscht und die Clinton ging gar nicht. Wenn Du mich fragst, Obama hat nichts getan, wir Schwarze haben es heute genauso schwer wie vor seinem Amtsantritt. Was aber mit Trump passiert, ich sage Dir eines, die Menschen zögern heute, ihre politische Meinung zu äußern. Ich weiß nicht, ob es Angst ist, vielleicht nur Verunsicherung. Wie dem auch sei, hier in Cleveland bist Du am richtigen Ort, am Puls Amerikas, hier spürst Du, wie das Land tickt, nicht am Rodeo Drive in LA oder am Times Square in New York City. Cleveland hat Geschichte geschrieben, amerikanische Geschichte.

Foto: Ramon Schack

Ein Spaziergang an den Ufern des Lake Erie, dessen Fläche größer ist, als die mancher Staaten in Europas. Sicherlich wäre es vermessen, in diesem Sommer 2017 Betrachtungen über Aufstieg und Niedergang, über den "rise and decline" des amerikanischen Imperiums anzustellen. Bis vor wenigen Jahrzehnten lebte die Neue Welt noch in der Erfüllung einer Voraussage von Alexis de Tocquevilles, jenes französischen Historikers und Diplomaten, der vor 180 Jahren die Demokratie in Amerika analysierte und das Hochkommen neuer Führungsmächte - USA und Russland - angekündigt hatte.

Mit dem Untergang der Sowjetunion war diese Bipolarität Geschichte. Andere Machtzentren melden ihre historischen Ansprüche an. Ein Reisebus entlädt seine Fahrgäste, Tagestouristen aus dem ländlichen Ohio, Mennoniten, wie am Kleidungsstil zu erkennen, die über die Weiten des Gewässers blicken, in Richtung Norden, in Richtung Kanada.

"Die Menschen in den USA können sich im politischen und im persönlichen Leben nur so frei bewegen, weil sie so intensiv in ihre Religiosität eingebunden sind", schrieb der schon zitierte Tocqueville 1835, nachdem er sich zuvor beeindruckt über die ungehemmte Entfaltung des Individuums in Amerika geäußert hatte. Die Tagestouristen haben sich inzwischen zu einem Gruppenfoto versammelt, vor der Skyline von Cleveland - und stimmen dann die Hymne an: "God bless America!"