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Seite 2: Rückkehrer, die es satt haben, "in einem Schuhkarton zu leben"

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"Die Abwanderung ist gestoppt, es kehren sogar einige wieder zurück!", berichtet Susan, Versicherungsmaklerin, die seit drei Jahren wieder in ihrer Geburtsstadt Cleveland ansässig ist.

"Irgendwann hatte ich es in New York City nicht mehr ausgehalten und wollte mehr, als nur in einem Schuhkarton in Manhattan zu leben. In Cleveland kann man noch recht günstig Wohnungen kaufen, das Leben ist entspannter, die Menschen hier im Mittleren Westen sind freundlicher, nicht nur auf der Jagd nach dem schnellen Dollar wie an der Ostküste", fährt die junge Frau fort.

"Fly-Over-States"

Susan nimmt an einer Führung durch die Market Garden Brewery teil - einer Brauerei, die angeblich das schmackhafteste Bier der Region herstellt. "Sehen Sie", ruft Susan aus und deutet auf einen Flyer, der verkündet, dass die Brauerei der offizielle Sponsor des diesjährigen Gay Pride Festivals ist: "So etwas wäre früher undenkbar gewesen. Der Mittlere Westen ist nicht mehr die Heimat der Hinterwälder und Rednecks, wie die Leute an den Küsten glauben, die uns ja auch Fly-Over-States nennen, die ständig urteilen über uns, ohne mal vorbeizuschauen!"

Zum Beweis schießt sie ein Foto mit ihrem Smartphone - um dieses ihren Freunden in New York zu senden.

Nur wenige Gehminuten entfernt befindet sich der West Side Market, eine 1840 eröffnete Markthalle, an deren Ständen sich noch immer die Einwanderungsgeschichte der Stadt ablesen lässt. "Wir leben seit 1989 in den Staaten!", berichtet Nour, die im Libanon geboren wurde und mit ihrem Mann levantinische Lebensmittel anbietet. "Cleveland ist OK, die Menschen sind nett, aber irgendwie ist man hier doch weiter weg von der Welt, als zum Beispiel an der Ostküste", gibt sie zu bedenken. Von Islamfeindlichkeit hat sie nichts zu spüren bekommen, auch wenn Donald Trump im Sommer des vergangenen Jahres in Cleveland zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gekürt wurde.

Foto: Ramon Schack

"Oh Boy", da war was los in Cleveland, erzählt Mike, Soziologie-Student und linker Aktivist, der am Stand eines ungarischen Metzgers jobbt. "Cleveland war immer eine demokratische Hochburg, aber überall im Mittleren Westen hat Trump die meisten Stimmen erhalten. Nicht weil hier alle Rassisten wären, sondern weil man uns in Washington, New York und LA vergessen hat", führt er aus, während er Salami sortiert. "Der Turbo-Kapitalismus hat Trump geschaffen. Aber, weißt Du was? Jetzt will niemand mehr Trump gewählt haben, die Leute schämen sich."

Ein junger Lieferant im Blaumann behauptet, auf Trump angesprochen, der amerikanische Traum würde nicht mehr existieren. Er sei noch in einer "guten, weißen Nachbarschaft" aufgewachsen, sein Vater besaß drei Autos, er selbst könne sich nur noch einen Wagen leisten. Ob er Trump gewählt habe, darauf gibt er keine Antwort.

"New American City"

Ende der 1990er Jahre, während des sogenannten Clinton-Booms, wurde Cleveland mit dem Titel "New American City" geschmückt - basierend auf einem Investitionsprogramm, welches die geschundene Stadt in einen Hotspot des High-Tech-Zeitalters verwandeln sollte. Ob dieses gelang, ist fraglich. Aber aus jener Zeit stammen Bauten und Einrichtungen, von denen Cleveland heute noch profitiert, vor allem im Bereich Tourismus. Die Rock and Roll Hall of Fame beispielsweise, für knapp 100 Millionen Dollar an den Ufern des Lake Erie errichtet, in Form einer gläsernen Pyramide, die im Wasser zu schwimmen scheint.

Der Standort Cleveland wurde deshalb gewählt, weil der Begriff "Rock ’n’ Roll" 1951 von dem aus Cleveland stammenden Discjockey Alan Freed erfunden wurde, in dessen berühmter nächtlicher Radiosendung The Moondog Rock & Roll House Party. Es lohnt ein Besuch dieser Weihestätte der westlichen Jugendkultur, in der man nicht nur Artefakte und Videos präsentiert bekommt, sondern auch eine ansehnliche Darstellung der Entwicklungsgeschichte dieser Subkultur - inklusive Ausstellungsbereichen, die sich den Themengebieten "New Journalism" widmen.