Amerika im Aufstand

Seite 2: Neoliberaler Pyrrhussieg über Sanders

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bei CNN erklärte der schwarze Bürgerrechtler und Akademiker Cornel West, er danke Gott dafür, dass die "Menschen auf den Straßen" seien. Dabei machte West klar, dass der gegenwärtige Aufstand nicht nur von Polizeibrutalität, Rassismus und dem "neofaschistischen Gangster" im Weißen Haus angetrieben werde, sondern auch von der Unreformierbarkeit des kapitalistischen Systems, das immer größere Bevölkerungsteile in Verzweiflung und Armut vegetieren lasse.

Das System könne sich nicht selbst reformieren, so West. Dabei stehe die Nation vor der Wahl zwischen einer "gewaltlosen Revolution" oder dem Festhalten am Bestehenden, was aber zu einer "Explosion der Gewalt" führen werde.

West, einer der prominenten Unterstützer des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders, griff dabei insbesondere den "neoliberalen Flügel" der Demokratischen Partei scharf an. Dieses Establishment habe zwar Sanders erfolgreich verhindert und sitze jetzt "am Steuer", doch wüssten diese Kräfte nun nicht, "was sie tun sollen". Die Massen von armen und prekarisierten Lohnabhängigen, ob sie nun "schwarz, braun, rot, gelb oder welcher Farbe auch immer" seien, sie seien diejenigen, die "ausgeschlossen" seien, und fühlten sich "zutiefst kraftlos, hilflos und hoffnungslos", warnte West. Das sei die Konstellation, in der "du dann Rebellionen hast".

Selbst die New York Times bemerkte angesichts des Aufstandes plötzlich, dass breite Bevölkerungsschichten der USA angesichts des gegenwärtigen Krisenschubs im Elend versinken, dass es für sie "kaum Hilfe, keine Führung, keine Klarheit über den weiteren Weg" gebe, was zu "Ärger, Wut, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit" führe.

Weite Teile der US-Bevölkerung haben buchstäblich kaum etwas zu verlieren in der gegenwärtigen Revolte. Die schleichende Pauperisierung der deindustrialisierten US-Gesellschaft, in deren Verlauf die Mittelklasse von dem rasch wachsenden Heer prekär beschäftigter arbeitender Armer als die zahlenmäßig größte Bevölkerungsschicht abgelöst zu werden drohte, ist mit dem aktuellen Krisenschub in einen sozioökonomischen Absturz übergegangen, in dessen Verlauf 40 Millionen US-Bürger die Arbeit verloren und Verelendung, Mangelernährung oder Hunger wieder um sich greifen.

Hinzu kommt mit dem von der Oligarchie des Landes nicht nur politisch mühsam am Leben gehaltenen Politzombie Joe Biden ein hoffnungsloser demokratischer Präsidentschaftskandidat, der sich jüngst für seine rassistischen Ausfälle entschuldigen musste.

Die dominanten neoliberalen Kreise in der Demokratischen Partei hofften, mit dem schmutzigen Sieg über den Sozialisten Sanders wieder die Kontrolle über den politischen Prozess zu erlangen, um zum neoliberalen Business as usual zurückkehren zu können. Doch dies ist angesichts der jetzt im manifest werdenden Systemkrise des Kapitals nicht mehr möglich.

Der krampfhafte neoliberale Versuch, an dem morschen Spätkapitalmus festzuhalten, der aufgrund innerer Widersprüche unwiderruflich im Fallen begriffen ist, zeitigt die entsprechenden sozialen Verwerfungen und Aufstände, die den weiteren Krisenverlauf in den USA zwischen Faschismus und Revolution oszillieren lassen dürften.

Der Sieg der neoliberalen Demokraten samt ihrer oligarchischen Förderer gegen Sanders hat alle diesbezüglichen Optionen auf eine einigermaßen geordnet verlaufende Systemtransformation des maroden Spätkapitalismus in den USA zerstört.