Amri: Bundesregierung blockiert Aufklärung

Seite 2: "Korrekturbitten" oder "Drohbriefe" an die Presse?

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Dann erfuhr man, dass das Maaßen-Amt ebenfalls Anfang 2017 unter Einsatz von Rechtsanwälten versuchte, gegenüber Medien Einfluss auf die Berichterstattung bezüglich eines möglichen V-Mannes im Falle Amri zu nehmen. "Korrekturbitten" nannte das Maaßen. Der "Tagesspiegel" spricht von "Drohbriefen an die Presse":https://www.tagesspiegel.de/politik/geheimdienst-affaeren-verfassungsschutz-praesident-liess-berichte-zu-amri-spitzel-unterdruecken/22999444.html. Aber auch das funktionierte wohl bei verschiedenen Medien.

Souveränität sieht anders aus. Offensichtlich leiden der Bundesverfassungsschutz und sein Chef unter Kontrollverlust. Die Praxis der Verschleierung der zahllosen Widersprüche zunächst im NSU-Komplex und nun im Amri-Komplex scheint nicht mehr so reibungslos zu funktionieren wie in der Vergangenheit.

Ausschussmitglieder vor allem von FPD, Linken und Bündnisgrünen wollen den V-Mann-Führer der BfV-Quelle in der ehemaligen Fussilet-Moschee vorladen und befragen. Die Moschee wurde nach dem Anschlag von Amts wegen geschlossen. Ob für die Quelle heute eine unmittelbare Gefahr besteht, ist deshalb mehr als fraglich.

Dennoch macht das Bundesinnenministerium genau das geltend: Durch die Vernehmung des Quellenführers könnte das Vertrauensverhältnis zur Quelle gestört und laufende Operationen gefährdet werden. Eine Argumentation, unüberprüfbar und wie ein Joker jederzeit gegen Aufklärungsbemühungen einsetzbar.

Damit wäre der Untersuchungsausschuss Schachmatt gesetzt. Vor allem die drei Fraktionen FDP, Linke und Grüne überlegen deshalb, auch in diesem Falle vor den Bundesgerichtshof zu ziehen. Das umso mehr, als die Bundesregierung nicht nur den V-Mann-Führer der Fussilet-Moschee-Quelle nicht vom Ausschuss befragen lassen will, sondern, so die Abgeordnete Martina Renner (Linke), auch in Frage stelle, dass ein BfV-Referatsleiter als Zeuge gehört werden könne. "Das gab es noch nie", sagte Renner gegenüber der Presse, "das ist ein Novum und kam weder im NSU-Komplex noch in anderen Untersuchungsausschüssen vor."

Die Befragung der BfV-Zeugin mit dem Arbeitsnamen "Lia Freimuth"

In der Schärfe des Konfliktes kann man zugleich ein Zeichen sehen für die Wahrheit, die sich dahinter verbergen muss. Das wurde schließlich auch in der Ausschusssitzung bei der Befragung der BfV-Zeugin mit dem Arbeitsnamen "Lia Freimuth" deutlich. Die 33-Jährige arbeitet seit zehn Jahren im Bundesamt. Sie ist nicht mit der Führung von Quellen betraut, sondern mit der Analyse und Auswertung eingehender Informationen von Quellen, die im militant-islamistischen Bereich Personen bespitzeln.

Darunter eben auch den Tunesier Anis Amri, der mutmaßliche Attentäter vom Breitscheidplatz. Im Januar 2016 habe sie sich erstmals mit Amri beschäftigt, so die BfV-Auswerterin. In der Folge führte sie sowohl eine Personenakte als auch eine Sachakte zu ihm. Sämtliche Informationen zu Amri landeten auf ihrem Schreibtisch. Sie bestätigte auch, dass sie - mindestens vier - Aufträge zur Informationsbeschaffung über Amri an die Beschaffungsabteilung, die die Quellen führt, gegeben habe. Damit widersprach sie der Amtsauskunft vom Mai 2017 gegenüber dem Berliner Sonderermittler Bruno Jost, "das BfV habe vor dem Anschlag keine eigenen Informationen zu Amri besessen und auch keine Informationsbeschaffung zu Amri betrieben" (siehe oben).

Interessant wäre gewesen zu erfahren, ob diese Auskunft damals selber von ihrem Schreibtisch ausgegangen war. Möglich ist es, denn bei der Erstellung von Antworten des Amtes auf parlamentarische Anfragen zum Fall Amri, war sie maßgeblich beteiligt, wie sich im Laufe der mehrstündigen Befragung ergab. Also auch bei den Antworten auf die Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion.

Und bereits in das Behördenzeugnis des BfV über Amri vom Januar 2016 war die Auswerterin "Lia Freimuth" involviert. Der erste Entwurf sei durch sie erfolgt. Außerdem räumte sie ein, dass BfV-Präsident Maaßen sich nach dem Anschlag mündlich von ihr hat briefen lassen. Überall, wo Maaßen nach dem Anschlag offiziell Rede und Antwort stehen musste, war die Auswerterin beteiligt: Bei dessen Auftritt im Innenausschuss des Bundestages, wie in der nachrichtendienstlichen Lagebesprechung im Bundeskanzleramt. Eine ganz zentrale BfV-Mitarbeiterin und Zeugin also. Auch, als das Gemeinsame Terrorismus-Abwehr-Zentrum (GTAZ) sich mit Amri beschäftigte, war sie dabei - insgesamt fünf Mal.

Die Antworten mussten der Verfassungsschützerin meist regelrecht abgerungen werden. Die Vertreter des Bundesinnenministeriums, die im Untersuchungsausschuss sitzen, intervenierten gut 40 Mal gegen Fragen von Abgeordneten. In vielen Fällen wurden die Antworten in der öffentlichen Sitzung verweigert. Sie sollten später in eingestufter Runde unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen.

Darunter die, wie viele Quellen das BfV im extremistisch-islamistischen Bereich führt. Die Auswerterin "Freimuth" hat es, wie sich ergab, mit etwa 500 Zielpersonen auf diesem Feld zu tun. Eine überraschende Dimension, die auch einen Eindruck von der möglichen Anzahl von Spitzeln geben kann. Mit einer Handvoll ist es da sicher nicht getan. Unter den 500 vom BfV beobachteten Personen wiederum sind welche, mit denen Anis Amri in Kontakt stand. Die Namen zu nennen, wurde in der öffentlichen Sitzung verweigert.

Dann wollte die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic wissen: "Wurde Anis Amri vom BfV mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht?"

Antwort BfV-Zeugin "Lia Freimuth": "Das ist nicht von meiner Aussagegenehmigung gedeckt."

Mihalic/UA: "Das ist eine grundsätzliche Frage: Wurden nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt?"

Widerspruch von der Regierungsbank, die Frage dürfe nicht beantwortet werden.

Mihalic/UA: "Das ist eine geschlossene Frage: Wurde Amri mit nachrichtendienstlichen Mitteln vom BfV überwacht - ja oder nein?"

BfV-Zeugin: "Das ist nicht von der Aussagegenehmigung gedeckt."

Armin Schuster, Ausschussvorsitzender, CDU: "Wollen Sie es gar nicht beantworten oder nur in diesem Format, öffentlich, nicht?"

BfV-Zeugin: "In diesem Format nicht."

Einwurf Regierungsbank: "Die Zeugin kann mit Ja oder Nein antworten."

BfV-Zeugin: "Dann: ja!"

Im Klartext: Überwachung mit nachrichtendienstlichen Mitteln könnte eine Telefonüberwachung, aber auch der Einsatz von Spitzeln gewesen sein.

"Ich habe das Aufregerecht"

Zeugenaussagen, die das bisherige Auskunftsverhalten einer Bundesbehörde im Falle eines terroristischen Anschlages mit zwölf Toten Lügen strafen. Dazu zählt auch die übrige Informationspolitik des BfV. Denn dass das Amt, das mit dem Fall Amri nichts zu tun gehabt haben will, tatsächlich Sach- und Personenakten zu dem späteren Attentäter führte, verwundert einige Abgeordneten.

Irene Mihalic/UA: "Es gibt also eine Personenakte zu Amri im BfV: Haben wir die bekommen?"

Vertreterin Bundesinnenministerium: "Selbstverständlich haben sie die."

Mihalic/UA: "Ich kenne die Akte nicht."

Vertreter BMI: "Wir haben sie noch vorzulegen."

Mihalic/UA: "Also haben wir sie noch nicht."

Konstantin von Notz, Grüne: "Warum ist sie noch nicht da?"

BMI-Vertreter: "Weil wir noch nicht liefern müssen. Sie haben auf unser Schreiben nicht reagiert."

Von Notz/UA: "Ich bitte um Mäßigung im Ton. Wenn ich zu liefern habe und habe nicht geliefert, wäre ich als Regierung im Haus des Parlamentes zurückhaltender!"

Martina Renner, Linke: "Der Beweisbeschluss hätte bis Ende April 2018 erfüllt sein müssen. Warum ist die Akte nicht da?"

Von Notz/UA: "Sie sind verfristet!"

Armin Schuster, Ausschussvorsitzender, CDU: "Herr Notz, Sie haben nicht das Rederecht!"

Von Notz/UA: "Ich habe das Aufregerecht!"