An einem einsamen Ort: Der American Dream zwischen Humphrey Bogart und Donald Trump
Seite 3: An der roten Ampel
In der ersten Einstellung sehen wir Dix’ nervöse Augen im Rückspiegel seines Wagens, begleitet von der raffinierten, auf eine trügerische Weise schmalzigen Musik des Avantgarde-Komponisten George Antheil. Eine fragmentierte, in der Luft hängende Augenpartie, überblendet auf eine nächtliche Straße, dazu die Namen der beiden Hauptdarsteller, Humphrey Bogart und Gloria Grahame, dazwischen der Titel des Films, In a Lonely Place, und immer mitgedacht wir als Zuschauer, deren Blick durch die gespiegelten Augen zurückgeworfen wird. Man darf diesen Anfang wohl verstörend nennen.
In Einstellung 2 scheinen wir auf der Rückbank des Autos von Dixon Steele/Humphrey Bogart zu sitzen, der durch das nächtliche Los Angeles fährt oder wenigstens so tut als ob, während er (oder sein body double), im Columbia-Atelier, in einem Cabrio-Imitat vor einer Rückprojektion sitzt und uns womöglich im Spiegel mustert, obwohl es die stillschweigende Übereinkunft gibt, dass wir das unsichtbare Publikum sind und die Stars auf der Leinwand die Objekte unserer Blicke. So erklären sich die unsteten Augen der ersten Einstellung. Man weiß nie, ob man gerade beobachtet wird, wenn ja von wem und mit welcher Absicht.
Sehen und gesehen werden sind genauso wichtig in diesem Film wie die Kraft der Phantasie. Der hypersensible Dix fragt sich andauernd, welches Bild er in den Augen anderer Leute abgibt, beantwortet die Frage selbst und reagiert auf diese Antwort. Dadurch entsteht eine Atmosphäre der latenten Bedrohung, unterstützt durch Rays Inszenierung und die Montage. Der Film wurde gedreht, als die von den McCarthyisten betriebene Hexenjagd auf linke oder als links wahrgenommene Künstler Fahrt aufnahm. Obwohl nie direkt thematisiert, spielt das immer mit.
Bei einer roten Ampel hält ein Auto mit einem etwas ungleichen Paar neben Dix. Die Frau auf dem Beifahrersitz spricht ihn an. Sie hat in einem seiner Filme mitgewirkt. Dix erklärt, die Frau nicht zu kennen und sich nie einen Film anzusehen, für den er das Drehbuch geschrieben hat. Der Fahrer des anderen Autos interpretiert die Situation ganz falsch und fordert Dix auf, seine Frau nicht zu belästigen. Dix wird beleidigend. "Das hättest du nicht tun sollen, Süße", sagt er, "ganz egal, wie viel Geld das Schwein da hat." Der Mann scheint einem Wortgefecht nicht abgeneigt, fährt aber schnell weg, als er merkt, dass Dix sich mit ihm prügeln will.
Mir fällt dazu Gloria Grahame ein, die vor dem Scheidungsrichter sagte, dass Nick sie ohne Provokation geschlagen habe. Auch bei Dix braucht es nicht viel, damit er auf andere Leute einprügelt. Bei der nächsten nächtlichen Autofahrt werden wir diese Aggressivität in ihrer ganzen Brutalität und Hässlichkeit erleben. Sollten wir geneigt sein, die Gewalttätigkeit zu romantisieren, wird das gründlich unterlaufen. Es ehrt den Regisseur, dass er nichts beschönigt. Ray hat auch einen Film über die eigene Angst davor gedreht, dass seine Ausraster nicht wieder gutzumachende Konsequenzen haben könnten.
Just another movie
Die ersten zehn Minuten sind Exposition, stellen uns Dixon Steele vor und den Ort, an dem er lebt. Skizziert wird eine Welt, in der die Oberflächlichkeit regiert, der schlechte Geschmack und das Geld. Dix ist auf dem Weg zum "Paul’s", einem Szenelokal in Beverly Hills, wo er mit seinem Agenten Mel Lippman und dem Regisseur Lloyd Barnes verabredet ist. Vor der Tür des Lokals muss er an Kindern vorbei, die da als präpotente Autogrammjäger postiert sind und dann an zwei Filmfans in Gestalt feister Damen, die Souvenirs wollen und keine Filmkunst.
An der Bar sitzt schon sein Freund Charlie Waterman, ein Leinwandidol der Stummfilmära, aus dem eine Shakespeare zitierende Witzfigur mit einem Alkoholproblem geworden ist. Das Vorbild für Charlie ist leicht auszumachen: John Barrymore, der einst als größter Hamlet-Darsteller seiner Generation galt, sein Talent vergeudete und am Ende seiner Laufbahn nur noch Parodien seiner selbst spielte. Wer sich in Hollywood zu lange aufhält hat entweder eine kaputte Leber oder kann nur noch Milch trinken wie Mel, der Agent mit dem multiplen Magengeschwür.
Härter im Nehmen ist Lloyd Barnes. Als seine hervorstechende Eigenschaft wird angegeben, dass er vor Jahren ein Vermögen verdient hat und jetzt stinkreich ist, weil es damals noch keine Einkommenssteuer gab. Barnes soll für den Produzenten Bert Brodie den Bestseller Althea Bruce verfilmen, Dix das Drehbuch schreiben. Eine begeisterte Leserin des Romans ist Mildred Atkinson, Pauls Garderobiere. Für Mildred hat der Wälzer das Zeug zum Leinwandepos. "Sie wissen schon", sagt sie zu Dix, "ein Film, der richtig lang ist und in dem eine Menge Sachen passieren."
Barnes ist es ganz egal, wo er Regie führt, wenn nur die Gage stimmt. Sein Motto lautet: "It’s just another movie!". Dix bringt das auf die Palme. Er wirft Barnes vor, ein Popcornverkäufer zu sein, der seit 20 Jahren Remakes des immer gleichen Films dreht. Stimmt, sagt Barnes. Was uns beide unterscheidet ist nur, dass ich nicht dagegen ankämpfe. Mel versucht, die Wogen zu glätten und Dix zu überreden, den Auftrag anzunehmen, um nach mehreren Kassenflops in die Erfolgsspur zurückzukehren. Ohne Erfolg ist man in Hollywood ein Niemand.
Ray zeigt uns dazu die Gäste an den Tischen im Lokal. Sie sind offenbar nur gekommen, um zu beobachten, was vor sich geht und auch, um selbst gesehen zu werden. Im "Paul’s" sitzt man auf dem Präsentierteller. Ray führt uns dort in eine zynische Celebrity-Kultur ein, in der ein Mensch danach taxiert wird, was sein Autogramm auf der Sammlerbörse einbringt. Das lernen schon die Kinder. Die Klatschpresse lesen sie scheinbar nicht, weshalb sie Dixon Steele nicht kennen. Dix hat seit seiner Glanzzeit vor dem Krieg kein gutes Drehbuch mehr geschrieben, war aber bis vor kurzem mit einer Filmschauspielerin liiert und macht durch seine Ausraster auf sich aufmerksam. Sein Promi-Status ist dadurch gesichert.
Bald werden wir erfahren, dass er in einem Apartmentkomplex wohnt, dessen Verwalterin stolz darauf ist, jemanden wie ihn als Mieter zu haben, weil er ein Prominenter ist. Das hilft dabei, die anderen Wohnungen zu vermieten, und vermutlich nimmt die Dame von den anderen im Haus mehr Geld, weil sie die Nachbarn des berühmten Dixon Steele sein dürfen. Donald Trump ist das Endprodukt (hofft man wenigstens) dieser Kultur der Oberfläche. Er hat demonstriert, wie man es als Held trashiger TV-Formate mit Sozialdarwinismus-Appeal, in denen Schwächere vorgeführt und erniedrigt werden, zum Twitter-Präsidenten bringt.
Die Szenen im "Paul’s" könnten der Anfang einer galligen Satire über eine von Geldzählern dominierte Unterhaltungsindustrie sein, mit Promikult und schönem Schein, der davon ablenkt, was für Schrott diese Industrie gebiert. In a Lonely Place ist aber viel mehr als das. Dem Zynismus steht die Hoffnung gegenüber, an diesem Ort Filme machen zu können, ohne dafür die eigene künstlerische Integrität verkaufen zu müssen. Nicholas Ray gab diese Hoffnung niemals auf, so wenig wie Dix Steele. In a Lonely Place selbst ist der beste Beweis dafür, dass sie sich erfüllen konnte.
Werktreue in Hollywood
Weniger die Kunst als den Kommerz und reibungslose Abläufe im Produktionsprozess hat Mel Lippman im Auge, wenn er Dix gut zuredet: "Alles, was du tun musst, ist dich an das Buch halten." Das verlange der Produzent. Dix, um das vorwegzunehmen, wird Althea Bruce nie lesen. Als Ausgangspunkt für sein Drehbuch genügt ihm eine ungefähre Vorstellung vom Plot des Romans. Mehr braucht er nicht. Brodie ist begeistert. Dana Polan, der für das BFI ein Büchlein über den Film geschrieben und den Audiokommentar zur bei Criterion erschienenen DVD gesprochen hat, ist deshalb perplex.
Polan treibt in Wort wie Schrift die Frage um, wie es sein kann, dass der Produzent begeistert ist, wenn er doch eine originalgetreue Adaption in Auftrag gab? Die Antwort ist ganz einfach. Auch Brodie hat Althea Bruce nie gelesen (so wie wir diesen Produzenten nie sehen werden). Ihm reicht es völlig aus, wenn der Titel und ein paar Figurennamen erhalten bleiben, was die Käufer des Romans dazu bringen wird, eine Kinokarte zu erwerben. Das ist das übliche Kalkül in diesem Gewerbe und eine der selbstironischen Wendungen, mit denen der Film das eigene Verfahren kommentiert.
Der Roman, aus dem schließlich die Santana-Produktion In a Lonely Place wurde, stammt von der famosen Dorothy B. Hughes, die sehr zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Der Grund dafür dürfte sein, dass sie als Frau, die in den 1940ern Hardboiled-Krimis schrieb, in eine damals noch den männlichen Autoren vorbehaltene Domäne eindrang, wofür sie durchaus Lob erhielt, aber auch als seltsames Unikum behandelt wurde. Wer in keine Schublade passt wird leicht übersehen, wenn der erste Erfolg vorbei ist.
Zwei von Hughes’ Krimis, The Fallen Sparrow und Ride the Pink Horse, waren bereits verfilmt worden, als Bogart und sein Partner Robert Lord die Rechte an In a Lonely Place kauften. Der Dixon Steele des sehr beunruhigenden Romans ist ein Frauen mordender Soziopath, der nach Los Angeles übersiedelt und sich dort als Drehbuchautor ausgibt, obwohl er eigentlich nur eine Schreibmaschine besitzt (Serienkiller ist keine gesellschaftlich akzeptierte Berufsbezeichnung). Edmund H. North, dem jetzt im Vorspann die Adaption von Hughes’ "Story" zugeschlagen wird, sollte daraus ein Drehbuch machen.
Der Dix Steele des Romans ist deutlich jünger als der des Films. Ursprünglich war die Rolle John Derek zugedacht, den Lord als Star aufbauen wollte. In Knock on Any Door hatte Derek den jugendlichen Straftäter Nick Romano gespielt, an der Seite von Humphrey Bogart (er ist sein Verteidiger), und einen Dialogsatz gesprochen, der zum tausendfach wiederholten Motto der rebellischen Jugend wurde: "Live fast, die young, and have a good-looking corpse." Eines von Rays Meisterwerken ist das sozial engagierte und ziemlich dröge Drama aber eher nicht.
North hatte soeben das Drehbuch für Raoul Walshs Colorado Territory geschrieben, ein Remake des Kriminalfilms High Sierra als Western (mit Joel McCrea in der Bogart-Rolle). Etwas in der Art hätte sich auch aus In a Lonely Place machen lassen, ohne allzu sehr von der Romanhandlung abweichen zu müssen. Dann entschloss sich Bogart, die Rolle des Dixon Steele selbst zu spielen. John Derek war damit außen vor, und der Plot des Romans ebenso. Den größten Star von Hollywood als Serienmörder auftreten zu lassen war undenkbar. Die Production Code Administration, die Selbstzensureinrichtung der Filmindustrie, hätte das niemals erlaubt.
Andrew Solt erhielt nun den Auftrag, das Drehbuch für Humphrey Bogart umzuschreiben. Von der Romanvorlage und der North-Fassung war danach nicht mehr viel übrig, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Geblieben sind der Titel, der Schauplatz, die Namen einiger Charaktere und ein paar Handlungselemente. Dem Krimi von Dorothy B. Hughes scheint es ergangen zu sein wie Althea Bruce, dem fiktiven Bestseller im Film. Hellhörig wird man, wenn man Dread Journey gelesen hat, einen Hughes-Roman von 1945. Althea heißt da die tote Frau eines über Leichen gehenden Hollywoodmoguls.
Das ist der Hinweis darauf, dass sich der Film zwar vom Plot des Romans entfernt, nicht aber von dessen Themen, die er auf eine subtile Weise mit dem Milieu von Dread Journey kombiniert. Die Produzenten, Schauspieler und Drehbuchautoren, die Hughes da in einen von Los Angeles nach New York fahrenden Zug setzt, holt der Film In a Lonely Place zurück nach Hollywood, während das Filmmilieu im gleichnamigen Roman keine Rolle spielt. Das Gefühl von Paranoia, das Ray auf die Leinwand bringt, die Gewalt, die Männer gegenüber Frauen ausüben, das Entwerfen einer sich über die Wirklichkeit legenden Scheinwelt findet man so auch bei Dorothy B. Hughes.
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