An einem einsamen Ort: Der American Dream zwischen Humphrey Bogart und Donald Trump
Seite 6: Apolo schaut in die Mikroben
Inhaltlich gehört In a Lonely Place zu einem kleinen Zyklus amerikanischer Nachkriegskrimis, in denen die Heldin nicht die vom Film noir gewohnte, für Männer brandgefährliche Femme fatale ist, sondern ihrerseits an einen Helden gerät, der ein irrer Killer sein könnte. Die Vermutung liegt nahe, dass da sehr reale, gesellschaftlich tabuisierte Ängste reflektiert wurden. Viele Frauen hatten in einem Überschwang romantischer Gefühle geheiratet, um dann festzustellen, dass ein Mann aus dem Krieg zurückkehrte, der ihnen fremd (oder fremd geworden) und nicht selten traumatisiert war.
Der Prototyp für diese Art von Film entstand vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg: Hitchcocks Rebecca, nach dem Roman von Daphne du Maurier. Fritz Lang drehte 1947 mit dem unterschätzten Secret Beyond the Door eine eigenwillige, die Verbindung zu Blaubart herstellende Variation der Geschichte. In a Lonely Place erkennt das Vorbild an, indem er Mildred Atkinson die Handlung von Althea Bruce nacherzählen lässt. Die fiktive Autorin des ebenso fiktiven Romans hat Elemente aus Rebecca verquirlt und an den Hauptfiguren eine Geschlechtsumwandlung vorgenommen.
Aus dem Witwer Maxim de Winter, der sich in eine deutlich jüngere Frau verliebt, ist eine Witwe geworden, die sich in einen deutlich jüngeren Mann verliebt. Bei beiden steht der Verdacht im Raum, dass sie Mörder sind. Die erste Mrs. de Winter ist mit ihrem Segelboot untergegangen. Altheas Gatte ist aus der Segelyacht gefallen und ertrunken (ob die Yacht wohl Santana heißt wie die von Humphrey Bogart und seine nach ihr benannte Produktionsfirma?). Die Polizei ermittelt, während sich die Witwe von wechselnden Galanen in Nobelclubs wie das "El Morocco" ausführen lässt (wo Bogart seit einem seiner Wutanfälle als Gast nicht mehr erwünscht war).
Manderley, das Herrenhaus in Rebecca, steht in Cornwall (jetzt okkupiert vom ZDF und seinen Rosamunde-Pilcher-Filmen). Althea Bruce verpflanzt es nach Long Island. Dort schaut die schöne Witwe eines Tages aus dem Fenster, sieht den Rettungsschwimmer Channing und verliebt sich. Althea will, dass Channing ihr Luxusleben teilt. Channing aber möchte Bakteriologe werden und sein Studium an der Columbia University beenden (wo sonst, in einem in den Columbia-Ateliers gedrehten Film?). Am Schluss schwimmt Althea hinaus aufs Meer und findet ein nasses Grab an der Seite ihres Gatten, weil Channing ihre Hilfeschreie zu spät hört, um sie noch retten zu können.
Mildred erzählt das mit zunehmender Begeisterung und in der Sprache der Ungebildeten. Ein "bachelortorologist" (Bakteriologe) ist für sie einer, der in die Mikroben ("into the microbes") schaut statt in sein Mikroskop. Channing sieht aus wie ein "bronze Apolo" (ein bronzener Apollo). Althea wird bei Mildred zu "Alethea". Vielleicht denkt sie dabei an Aleta, Queen of the Misty Isles in den sonntäglich erscheinenden Prinz-Eisenherz-Comics von Hal Foster. Als Drehbuchautor nimmt Dixon Steele sicher gern zur Kenntnis, was Mildred gelernt hat, seit sie im "Paul’s" Garderobiere ist: Filmstars erfinden ihre Dialoge gar nicht selbst! Sie werden extra für sie geschrieben.
Man muss schon eine unbedarfte und kulturferne Person wie diese Mildred sein, sagt der Film, um einen Schmachtfetzen wie Althea Bruce gut zu finden. Das klingt denunziatorischer als es ist. Ray mildert die Publikumsbeschimpfung ab, indem er Martha Stewart Gelegenheit gibt, ihr komisches Talent voll auszuspielen. Unterstützt wird sie durch Humphrey Bogart, der ihr die Bühne überlässt und die Rolle des halb amüsierten, halb entsetzten Zuhörers übernimmt. Diese angenehme, der Partnerin und dem Film zugute kommende Fähigkeit zur Zurückhaltung war nicht jedem Star gegeben.
Grab her by the pussy
Nach der Ankunft in der Wohnung verschwindet Steele im Schlafzimmer, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Er zieht Schuhe und Jackett aus und kommt im Bademantel wieder. Das mache er beim Arbeiten immer so, behauptet er, weil er dann besser denken könne. Eben. Was sollte er sonst im Sinn haben, wenn er sich so weit auszieht, wie vom Production Code erlaubt? Dix lässt die Schlafzimmertür offen, sein Bett werden wir noch mehrfach sehen. In a Lonely Place war der fünfte Film, bei dem Nicholas Ray Regie führte. Er hatte längst gelernt, wie der Moralkodex durch die Kraft der Assoziation zu überwinden war.
Die Komik der Situation ergibt sich daraus, dass Dix die junge Frau mitgenommen hat, um sie in sein Bett zu kriegen (nackt wie die Statue im Innenhof, weil man hier so kultiviert ist wie im Roman mit dem bronzenen Apollo). Jetzt muss er sich aber ein Kitschepos anhören, das auf ihn wirkt wie ein Anti-Aphrodisiakum. Mildred identifiziert sich so sehr mit der schmalzigen Romanhandlung, dass der Film und sein Held nur noch auf Distanz gehen wollen.
Ray lässt Martha Stewart direkt in die Kamera sprechen, was gegen die Konventionen des kommerziellen Erzählkinos verstößt und als "unrealistisch" gilt, weil der Blick des als unsichtbarer Beobachter im Vorführsaal sitzenden Zuschauers reflektiert wird (wie bei der einleitenden Autofahrt durch Beverly Hills). Die Kamera weicht erschrocken zurück wie vor dem Monster im Horrorfilm. Mildred folgt ihr, kommt immer näher. Auch als Zuschauer ist man da unangenehm berührt.
Ray hat eine an sich konventionelle und doch freche Schuss-Gegenschuss-Konstruktion gewählt, schneidet zwischen Mildred und Dix hin und her. Im Rahmen der von Hollywood vorgegebenen Montageregeln müsste Dix im Gegenschuss in die Kamera schauen wie Mildred, weil das die Illusion erzeugen würde, dass er sie ansieht wie sie (vermutlich) ihn. Dix blickt aber an der Kamera (und Mildred) vorbei. Das ist desorientierend, weil es unsere Sehgewohnheiten unterläuft. Cutter der alten Schule hätten gegen solche Schnittfolgen revoltiert. Für sie war so etwas schlechtes Handwerk und deshalb schädlich für ihren Ruf.
Für den Schnitt von In a Lonely Place zeichnet Viola Lawrence verantwortlich, nach heutigem Wissensstand die zweite Frau überhaupt, die in Hollywood als Cutterin arbeitete. Für die Freunde von Orson Welles ist ihr Name ein rotes Tuch. Lawrence soll den Columbia-Boss Harry Cohn gewarnt haben, dass das von Welles gedrehte Material für The Lady from Shanghai ein fürchterliches Durcheinander sei, worauf Welles gezwungen wurde, neue Einstellungen zu drehen. Später kürzte sie auf Cohns Anweisung den Film und schnitt ihn um, um ihn hollywoodkompatibel zu machen. Damit, so die Version der Wellesianer, verstümmelte sie ein Meisterwerk.
Mag sein, dass Viola Lawrence durch die Erfahrung mit Welles ihren Horizont erweiterte; sie wäre nicht die einzige gewesen, die durch ihn dazulernte. Vielleicht fand Ray beim Produzenten Humphrey Bogart die Unterstützung, die Welles gefehlt hatte. Eisenschitz meint, dass Ray wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit tun konnte, was er wollte. Am 25. Oktober wurde in den Columbia-Ateliers die erste Einstellung gedreht. Ende November gab es einen Tag für Außenaufnahmen. Dann war Ray schon wieder weg. Ändern konnte er nichts mehr, weil er bei der RKO Anfang Dezember den nächsten Film beginnen musste (On Dangerous Ground, eine weitere Studie über Männer und ihr Verhältnis zur Gewalt).
In seinen unorthodoxen Momenten (davon gibt es einige) sieht In a Lonely Place jedenfalls nicht so aus, als sei er von einer Dogmatikerin der reinen Hollywood-Lehre geschnitten worden. Der doppelte Regelverstoß (Blick in die Kamera, "falscher" Anschluss beim Gegenschuss) zeugt auch nicht von handwerklichem Unvermögen sondern ist eine bewusste ästhetische Entscheidung. Während Mildred mit viel Herzblut die Schmonzette nacherzählt, als wäre sie die Wirklichkeit, reißt uns die nicht regelkonforme Schuss-Gegenschuss-Konstruktion aus der Fiktion heraus, stellt also abrupt die Distanz wieder her, die Mildred abhanden gekommen ist. Der Film will ein kritisches, kein naives Publikum.
Fenster zum Hof
Wenn Steele auf ein sexuelles Abenteuer aus war, als er die junge Garderobiere mit nach Hause nahm, hat er sie nach der Schuss-Gegenschuss-Montage da, wo er sie haben wollte. Mildred sitzt vor dem Sofa (seiner privaten Besetzungscouch?), auf dem er es sich bequem gemacht hat. Nichts an ihrem bisherigen Verhalten lässt vermuten, dass sie ihm widerstehen könnte (man beachte im Hintergrund die Skulptur einer nackten Frau und die beiden Photos von Fran, Dix’ Ex-Geliebter, die ihm früher "vorgelesen" hat). Jetzt noch die Andeutung, dass Mildred eine Rolle in der Verfilmung von Althea Bruce spielen könnte, und es wäre um sie geschehen.
Ironischerweise führt aber das Nacherzählen der Romanhandlung nicht zum Geschlechtsverkehr, sondern wird zum Schutzschild für die in sexuelle Gefahr geratene Jungfrau. Althea Bruce schlägt den Ladykiller in die Flucht. Statt Mildred an sich zu ziehen steht Dix plötzlich auf und rettet sich ins Schlafzimmer. Dieses Buch, sagt er, werde er nicht lesen (in des Wortes doppelter Bedeutung). Das ist zunächst einmal sehr komisch. Mildred läuft Dix nicht hinterher, doch ihre lauter werdende Stimme folgt ihm und kommt nun zu der Stelle in der Handlung, wo "Alethea" und ihr Rettungsschwimmer traumhafte Wochen des Glücks genießen.
Dix ringt die Hände und fasst sich an die Stirn, während die Beziehung der Liebenden im Roman in die unvermeidliche Krise gerät. Channing will nicht das Luxusleben der Witwe teilen, sondern sein Studium fortsetzen und sich weiter mit Bakterien beschäftigen. Althea weiß, dass Channing sie durch ein Fenster mit seinem Fernglas beobachten kann. An diesem Fenster fällt sie einem Rechtsanwalt in die Arme, um den Rettungsschwimmer eifersüchtig zu machen. Dix hat inzwischen die Läden des Schlafzimmerfensters geöffnet und schaut hinüber zu Laurel Gray, die im Neglige auf den Balkon ihrer Wohnung tritt.
Die Wirklichkeit (der Kinofiktion) korrespondiert hier mit der Romanhandlung. Channing kann durch ein Fenster in das Haus von Althea sehen wie Laurel in das Apartment von Dix Steele. Einen Moment lang treffen sich die Blicke der beiden Nachbarn, und zwei Arten von Geschichten: das Kitschepos mit schöner Witwe aus dem amerikanischen Geldadel, Rettungsschwimmer und Herrenhaus auf Long Island (aus dem Off hören wir weiter die Stimme von Mildred Atkinson, die von Althea Bruce berichtet) und die auf schmerzliche Weise dem echten Leben nachempfundene Liebesgeschichte zwischen Dix Steele und Laurel Gray, die der Film uns jetzt erzählen wird.
Blicke etablieren in Rays Filmen Loyalitäten. Erst schaut Dix an Mildred vorbei, dann sehen er und Laurel sich über den Innenhof hinweg direkt an (interessant wäre ein Vergleich mit Rear Window, wo Hitchcock den Hof nach New York verlegt hat und ebenfalls der McCarthyismus reflektiert wird). Von da an will Dix Mildred, die prospektive Bettgefährtin, nur noch loswerden und auch von Schnulzen wie Althea Bruce nichts mehr wissen. Das Buch wirft er achtlos in die Ecke. Damit Mildred nicht genauso behandelt wird wie der Roman wendet Ray die Szene wieder ins Komische, indem er die traditionellen Rollen vertauscht.
Dix setzt eine Leidensmiene auf und fasst sich an den Kopf. Wahrscheinlich hat er jetzt Migräne. Das bewahrt ihn nicht vor der Information, dass Mildred einen langweiligen, sehr durchschnittlichen Verlobten hat, den sie nicht liebt. Einer Beziehung mit einem berühmten Drehbuchautor, das zeigen Dialog und Körpersprache, wäre sie nicht abgeneigt. Was mit Dix als Verführer begann endet mit einem Mann in Bedrängnis. Schließlich fällt ihm ein, dass es schon spät ist und er am nächsten Morgen sehr früh raus muss. Statt Mildred nach Hause zu fahren gibt er ihr Geld fürs Taxi - so wie er einer Prostituierten Geld für geleistete Dienste geben würde.
Am Ende des Mildred-Teils sind wir wieder auf der schäbigen Ebene angelangt, auf der er begonnen hat. Ein alternder, seit längerer Zeit erfolgloser Drehbuchautor hat sich von seiner Geliebten getrennt und lockt die junge und naive Garderobiere seines Stammlokals unter einem Vorwand zu sich nach Hause, weil er mit ihr schlafen will. Dann verliert er das Interesse, steckt ihr ein paar Dollarscheine zu und schickt sie weg. Wie man von da zu Donald Trump kommt klären wir im nächsten Teil:
Freies Unternehmertum, zwei Frauenleichen und ein Blumenträger
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