An einem einsamen Ort: Der American Dream zwischen Humphrey Bogart und Donald Trump

Seite 2: Zwei Hochzeiten, mehrere Scheidungen und eine Schwangerschaft

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Ray behauptete später, dass ursprünglich Ginger Rogers für die weibliche Hauptrolle vorgesehen gewesen sei. Das habe er verhindert und dann, als Lauren Bacall nicht zur Verfügung stand, Gloria Grahame vorgeschlagen, die wie er selbst einen Vertrag mit der RKO hatte (die Santana lieh ihn für In a Lonely Place nur aus, wie zuvor schon für Knock on Any Door, ihre erste Produktion). Mehrheitseigner der RKO war seit 1948 Howard Hughes, der erratische, Exzentrik mit Paranoia kombinierende Multimillionär. Die Santana wiederum kooperierte mit dem Autokraten Harry Cohn, Boss der Columbia, deren Ateliers und Verleihorganisation sie nutzte.

Überliefert sind mehrere Versionen der von Ray erzählten Anekdote, in der sich Cohn um Mitternacht konspirativ mit Hughes an einer Tankstelle treffen muss, dann von Überwachungsängsten überschattete Verhandlungen führt und schließlich Hughes’ Einverständnis erhält, Gloria Grahame zu besetzen. Belege für die Geschichte gibt es nicht. Vielleicht ist sie nur gut erfunden. Wie dem auch sei: Gloria Grahame machte die Rolle so sehr zu der ihren, dass man sich den Film ohne sie nicht mehr vorstellen kann. Die Idee, dass Ginger Rogers Laurel Gray hätte spielen können, wirkt absurd.

Als In a Lonely Place gedreht wurde steckte Gloria Grahame in einer Ehekrise, von der die Öffentlichkeit nichts merken sollte. Ihr Gatte hieß Nicholas Ray. Die beiden waren sich bei der RKO-Produktion A Woman’s Secret begegnet, die Ray Anfang 1948 eher uninspiriert in Szene setzte und danach der Gruppe jener Filme zuordnete, die nur entstehen, weil irgendetwas hergestellt werden muss, um der Buchhaltung gegenüber die Ausgaben für das beim Studio unter Vertrag stehende Personal zu rechtfertigen. Jay C. Flippen ermittelt als Polizist, wie es dazu kam, dass Maureen O’Hara auf Gloria Grahame schoss. Weder die Kritiker noch das Publikum riss das vom Hocker.

A Woman’s Secret

Spannender gestaltete sich das Privatleben von Nick und Gloria, die nach den Dreharbeiten zu A Woman’s Secret schwanger war. Mitte April flog sie zur Überraschung der Klatschreporter plötzlich nach Las Vegas. Das ist auch das Ziel von Dix Steele, der Laurel Gray am Vormittag einen Antrag macht und schnellstens nach Nevada will, um sie möglichst noch in der Nacht zu heiraten. Gloria hatte das 1948 schon einmal durchgespielt, wobei sie Scheidung und Hochzeit kombinierte, in dieser Reihenfolge.

Im April 1948 war sie mit Stanley Clements verheiratet, mit dem sie eine "atavistische" Beziehung verband, wie ihr Biograph Vincent Curcio in Suicide Blonde schreibt. In Las Vegas lässt sich so etwas ohne größere Formalitäten beenden, sofern sich die Partner einig sind, einer von ihnen seit mindestens sechs Wochen in Nevada seinen Wohnsitz hat und außerdem versichert, hinterher dort bleiben zu wollen. Nach Ablauf der sechs Wochen, am 1. Juni mittags um halb zwei, wurde Gloria von Stanley geschieden. Abends um halb acht heiratete sie Nick Ray.

Damit das wie geplant über die Bühne gehen konnte musste Jay C. Flippen, der nun nicht mehr als Inspektor, sondern als Trauzeuge agierte, den Bräutigam aus dem Casino holen. Ray hatte den Nachmittag im "El Rancho" verbracht, wo er sich betrank und sein Geld verspielte. Als Dummkopf aus dem Mittleren Westen, erklärte er Jahre danach, habe er sich verpflichtet gefühlt, ein gegebenes Eheversprechen einzulösen, vorher aber noch dafür gesorgt, dass er völlig abgebrannt war, weil das berechnende Frauenzimmer, das er nur heiratete, weil sie schwanger war, nichts von ihm kriegen sollte.

Nicholas Ray wäre nicht Nicholas Ray gewesen, wenn es ihm nicht gelungen wäre, diese Mischung aus Selbsthass und Rachsucht mit einem Schuss Romantik anzureichern. Mit Gloria, erzählte er, wollte er ein völlig neues Leben beginnen. In dieser Version von der Geschichte sorgt Rays Spielsucht für den (finanziellen) Nullpunkt, der dafür erforderlich war. In der weniger romantischen Variante zahlte Gloria regelmäßig Nicks Spielschulden ab, vor und nach der Eheschließung. Mit dem Nullpunkt war das ohnehin so eine Sache. Die Presseabteilung der RKO hatte nach der Hochzeit viel zu tun.

Das Studio behauptete, dass Gloria Nick erst nach ihrer Trennung von Stanley Clements kennengelernt habe und dass es für Nick die erste Ehe sei, obwohl er bereits einmal geschieden war und von seiner ersten Frau einen 1937 geborenen Sohn hatte, Tony. Als Gloria im September 1948 in Mutterschaftsurlaub ging ließ sich das von ihrem Arbeitgeber leicht vertuschen. Schwieriger wurde es, als sie am 12. November ein Kind zur Welt brachte. Da es meistens nicht bei einer Lüge bleibt musste die RKO nun verbreiten, dass es sich bei Baby Timothy um eine Frühgeburt handele (geboren fast vier Monate vor einer angeblich zu erwartenden Entbindung im März 1949, neun Monate nach der Hochzeit).

Prügel von Nick und Sex mit Tony

Man muss nur wenig vom Leben des Nick Ray wissen um zu ahnen, dass sich in der Figur des Dix Steele der Regisseur und sein Hauptdarsteller begegneten. Beide, Ray und Bogart, hatten einen Hang zu Gewalt und Destruktivität, der sich entweder gegen sie selbst oder gegen andere richtete. Küchenpsychologen werden sagen, dass das Selbstzerstörerische und die andere Leute in Mitleidenschaft ziehenden Wutausbrüche der Ausdruck schwer zu unterdrückender Frustrationen war, und wahrscheinlich ist das nicht einmal so falsch. Bei der Hochzeit in Las Vegas schadete Ray sowohl sich selbst wie seiner Braut, die er nach dem Ja-Wort gleich wieder verließ, um im Casino noch mehr Geld zu verlieren und noch mehr Whisky zu trinken.

Nicholas Ray und Gloria Grahame

Romantiker dürfen die Frustration durch den Weltschmerz ersetzen, das Leiden an der eigenen Person und an der Gesellschaft. Es war wohl so, dass sich Gloria wegen seiner künstlerischen (Hyper-)Sensibilität genauso zu Nick hingezogen fühlte wie wegen seiner Neigung zu extremem Verhalten, im Guten wie im Bösen. Bei Laurel und Dix ist das nicht viel anders. Wie sich die Beziehung zwischen den Filmfiguren entwickelt werden wir noch sehen. Die von Gloria und Nick war von dauernden Zerwürfnissen und Versöhnungen geprägt und unwiderruflich vorbei, als Nick - Vincent Curcio zufolge - entdeckte, dass Gloria mit Tony schlief, seinem damals 13-jährigen Sohn aus erster Ehe.

In a Lonely Place

Am 15. August 1952 wurden Gloria Grahame und Nicholas Ray geschieden. Gloria brauchte zwei Sätze, um vor dem Richter zu begründen, warum sie nicht länger Nicks Frau sein konnte. "Mein Gatte hat mich zweimal geschlagen", gab sie zu Protokoll. "Einmal bei einer Party ohne Provokation, einmal bei uns zu Hause, als ich meine Schlafzimmertür absperrte." Nick sagte später, das Ganze sei "eine sehr teure Erfahrung" für ihn gewesen. Das wurde so interpretiert, dass er von Gloria ausgenommen wurde, weil es so schön ins Klischee passte. Tatsächlich wurden ihr monatlich 300 Dollar Unterhalt für den gemeinsamen Sohn zugesprochen. Für sich selbst hatte sie nichts verlangt.

In a Lonely Place

Nick und Gloria ließen vieles weg, was sie auch noch über das Scheitern ihrer Ehe hätten vortragen können. Andererseits hat niemand je behauptet, dass Gloria vor Gericht die Unwahrheit sagte. Varianten der von ihr erwähnten Szenen männlicher Gewalt, mit abgesperrter Schlafzimmertür und Würgen statt Prügeln, finden sich in In a Lonely Place. Gloria erzählte vor Gericht nicht etwa frei erfundene Filmszenen nach, weil ohne Angabe von Gründen keine Scheidung stattfinden konnte. Der Film In a Lonely Place rekapitulierte - dramatisch verdichtet - die Wirklichkeit.

In a Lonely Place

Durch ein Scheidungsverfahren wie das von Ray und Grahame, begleitet von auf Schadensminimierung bedachten PR-Beratern, erfährt man eine Menge über die amerikanische Gesellschaft der Nachkriegsjahre. Vertuscht werden musste nicht nur der Sex mit dem 13-jährigen Stiefsohn. Auch Untreue unter Erwachsenen, Geschlechtsverkehr vor der Hochzeit und die außereheliche Zeugung eines Kindes hätten die weitere Karriere der Protagonisten massiv gefährdet. Ein Mann hingegen, der seine Frau schlägt, war zwar nicht das, was man sich wünschte, aber doch etwas, das für den Täter ohne größere Konsequenzen blieb.

Wäre dem nicht so gewesen, hätten sich die hinter den Kulissen tätigen Vertreter des Paares auf einen anderen Scheidungsgrund verständigt. Häusliche Gewalt war offenbar okay, solange sie im gesellschaftlich akzeptierten Rahmen blieb und nicht außer Kontrolle geriet wie im Film. Die üblichen Rechtfertigungen sind bekannt und weit verbreitet - besonders dann, wenn es um vermeintlich außergewöhnliche Persönlichkeiten geht, um große Männer, die Großes leisten und denen man es deshalb nachsehen muss, wenn sie mal über die Stränge schlagen, weil das zu ihrem Charakter gehört und Teil des Gesamtpakets ist, wie man heute sagt.

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