An einem einsamen Ort: Der American Dream zwischen Humphrey Bogart und Donald Trump

Seite 4: Mörder und Produzenten

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Als Solt mit dem Drehbuch fertig war traf er sich mit Ray, Lord und Bogart in dessen Haus. Anwesend war auch Lauren Bacall. Mag sein, dass Bogart damals noch hoffte, sie bei den Warner Bros. loseisen zu können. Solt las sein Manuskript vor. "This is it", sagte Bogart. Das Drehbuch gefiel ihm so gut, dass er Anweisung gab, nichts mehr daran zu ändern. Zumindest hat Solt es später so erzählt. Ray habe dann nur noch einige Vorschläge gemacht und das Manuskript genau so verfilmt, wie er, Solt, es sich vorgestellt hatte. Das war derselbe Nick Ray, der ständig in Streit mit Produzenten geriet, weil er gern improvisierte und Drehbücher so änderte, wie er es für richtig hielt.

51813_81.jpgAndrew Solt

Bogart wusste genau, wie Ray tickte, seit sie zusammen Knock on Any Door gemacht hatten. Weil er ihn schätzte lieh er ihn auch für In a Lonely Place von der RKO aus, statt einen pflegeleichteren Regisseur zu engagieren. Rays Biograph Bernard Eisenschitz hat das am 18. Oktober 1949 fertiggestellte Buch mit dem Film verglichen. Am 25. Oktober war Drehbeginn. Von 140 Seiten blieben vier unverändert. Die Revisionen, meint Eisenschitz, waren das Resultat der engen Zusammenarbeit Rays mit seinen Hauptdarstellern. Solt durfte das Atelier nicht mehr betreten, weil Bogart sich über ihn geärgert hatte.

In a Lonely Place

Was macht man als Drehbuchautor, wenn man erleben muss, wie das eigene Werk von Regisseuren, Produzenten und Schauspielern umgeschrieben wird? Solt flüchtete sich in "alternative Fakten" und erzählte die Geschichte so, wie er sie gern gehabt hätte. Dix Steele zieht es vor, sich die Filme gar nicht erst anzuschauen, für die er das Drehbuch verfasst hat. Dem Frustabbau dient das erkennbar nicht. Dix ist angewidert von sich selbst und trägt das nach außen, wenn er in der ersten Szene der Schauspielerin vorwirft, sie habe sich an den Mann neben ihr verkauft - so wie er sich und seine Kunst an den Kommerz.

Bert Brodie, der Produzent von Althea Bruce, bleibt uns erspart. Er scheint ein so übler Typ zu sein, dass die Filmemacher ein Leinwandverbot über ihn verhängt haben. Ihre Meinung über den Berufsstand tun sie dadurch kund, dass der Mörder denselben Namen trägt wie der Mann, der bei In a Lonely Place als ausführender Produzent tätig war. Wikipedia geht einen Schritt weiter und gibt an, dass der Produzent den Mörder spielt. Die Schwarmintelligenz folgt der vom Film vorgegebenen Stoßrichtung, hat das Detail aber falsch abgeschrieben. Den Mörder und Namensvetter des Produzenten spielt der meistens als Regieassistent tätige Jack Reynolds, der Gatte von Marjorie (die Flüchtlingshelferin in Fritz Langs Ministry of Fear).

Schwiegersohnunwesen

Als Ersatz für Brodie stürmt Junior ins "Paul’s", um lautstark den Erfolg "seines" neuen Films zu verkünden. Charlie hat Juniors Schwiegervater einst Millionen eingebracht, als er noch ein Leinwandidol war. Junior will ihm nicht einmal die Hand geben, weil er ein Star von gestern ist. Wer keinen Erfolg mehr hat in Hollywood wird behandelt, als habe er eine ansteckende Krankheit. Junior trompetet seine Geringschätzung durch das Lokal, als müsse er sich öffentlich von den Erfolglosen distanzieren. Die Situation ist so demütigend, dass es schmerzt, das mitzuerleben.

In a Lonely Place

Charlie hat die richtige Antwort parat. "Du hast das Schwiegersohnwesen um 50 Jahre zurückgeworfen", sagt er. Das hätte einen Applaus verdient, geht aber leider unter, weil sein Freund nicht so souverän ist wie der vom Alkohol umnebelte Charlie. Dix kriegt einen seiner Wutanfälle, schlägt Junior und löst einen Tumult aus. Dabei könnte man fast übersehen, dass der Produzent zuvor seine Zigarrenasche in Charlies Cognacglas getippt hat, als Zeichen der Verachtung. Dix’ Wutausbrüche sind schlimm, sagt Ray durch die Inszenierung. Doch es gibt auch andere Formen der Gewaltausübung. Sie fallen nur nicht so auf.

In a Lonely Place

Junior ist eine Karikatur von David O. Selznick, der sich 1948 von der Tochter des MGM-Moguls Louis B. Mayer hatte scheiden lassen (um Jennifer Jones zu heiraten). Selznick nervte sein Umfeld mit wie unter einer Zwangsstörung verfassten Memos und war der immer wieder gern genommene Kandidat für solche Fälle, seit er sich durch sein autokratisches Gehabe bei Gone With the Wind als Prototyp des "kreativen Produzenten" etabliert hatte, der davon überzeugt ist, selbst alles am besten zu können, aber keine Zeit hat, sich um jede Einzelheit zu kümmern und deshalb Aufgaben an mindere Geister delegieren muss, die Regie zum Beispiel.

Beide Auseinandersetzungen der ersten Viertelstunde, das Wortgefecht mit dem Mann der Schauspielerin im Auto an der Kreuzung und die Prügelei mit Junior, fügte Nicholas Ray in das Drehbuch ein. Die Gewalt wird dadurch mit Hollywood verbunden, und mit den Frustrationen, die Dix Steele dort erfährt. Andrew Solt hätte solche Szenen nie geschrieben, oder höchstens auf Anweisung der Produzenten. Seine Stärke war mehr das Affirmative als das kritisch Hinterfragende.

Solt stammte aus Budapest und kam vor dem Krieg nach Hollywood, nachdem er die Rechte an einem Theaterstück an eines der Studios verkauft hatte. Dort erlag er dem Zauber der Traumfabrik. Ray stand Hollywood viel distanzierter gegenüber als der Autor des Drehbuchs, das er zu verfilmen hatte. Die Spannung, die sich daraus ergab, trug zur Qualität von In a Lonely Place bei. Solt hätte sich einen anderen, weniger untergründigen Film gewünscht. Andererseits wäre In a Lonely Place ohne sein Drehbuch, an dem sich der Regisseur reiben konnte, nicht so geworden, wie er jetzt ist.

Mekka von Hollywood

Das Autobiographische, das der Film in Fiktion übersetzt, lauert an jeder Ecke. Bogart ist als Dix Steele so überzeugend, weil dessen Wut die seine war. Er haderte jahrelang mit den oft stereotypen, alte Erfolge kopierenden Rollen, die er spielen musste. Zwischendurch verschaffte er sich durch Rüpeleien Luft, die selten in der Presse auftauchten, weil die Warner Bros. eine sehr professionelle Imagepflege betrieben. Ein paar Wochen vor Drehbeginn zu In a Lonely Place erklärte der New Yorker Nachtclub "El Morocco" Bogart, der nun sein eigener Chef war, zur unerwünschten Person. Nach einem seiner Wutanfälle hatte das Management genug von ihm.

Heute würde man vermuten, dass so etwas inszeniert ist, um den neuen Film des Stars zu bewerben. In den 1950ern war es noch schädlich. Eine kurze Notiz über den Vorfall erschien im Branchenblatt Variety (28.9.1949). Bogart hatte sich über ein aufdringliches Model geärgert, die junge Frau zu Boden gestoßen und offenbar verletzt. Er hatte auch schon Hausverbot im "Stork Club" (beide Etablissements werden im Dialog des Films erwähnt). Paul, sein Personal und die anderen Gäste reagieren so routiniert auf die Rauferei mit Junior, weil sie darin bereits Übung haben. Steeles erster Ausraster ist das nicht, auch nicht sein letzter.

Romanoff’s

Vorbild für das "Paul’s" war das "Romanoff’s" am Rodeo Drive in Beverly Hills, damals das angesagteste Lokal der Stadt. Der Besitzer, als Hochstapler und Trickbetrüger aktenkundig, stammte aus Litauen und kam nach New York, als er noch Hershel Geguzin hieß. Als britischer Adeliger nannte er sich William Gladstone oder auch mal William Wellington. In Los Angeles verwandelte er sich in den Fürsten Michael Dimitri Alexandrovich Obolensky-Romanoff. Er war nun ein Neffe des letzten russischen Zaren. Als solcher wurde er von den Studios als technischer Berater engagiert, wenn ein Russlandfilm zu drehen war.

Den falschen Oxford-Akzent, den er sich zugelegt hatte, als er noch der Sohn des britischen Premierministers oder ein Verwandter des Herzogs von Wellington war, behielt er bei. Als russischer Großfürst überzeugte er nicht wirklich, doch in Hollywood musste das kein Nachteil sein. Romanoff war nicht der einzige, der sich neu erfunden hatte. Den besten Kommentar dazu gibt Hellzapoppin’ (1941), das verrückteste aller Musicals. Mischa Auer spielt einen echten russischen Prinzen, der so tut, als wäre er ein Hochstapler, weil die reichen Amis, von denen er lebt, sonst das Interesse an ihm verlieren würden. Ein falscher Fürst ist origineller als ein echter.

Das Restaurant, das Geguzin alias Romanoff 1941 eröffnete, wurde zum Treffpunkt der Stars. Dort ging man hin, um gesehen zu werden und zu dokumentieren, dass man dazugehörte. Bogart war Stammgast. Wenn er nicht gerade drehte kam er beinahe jeden Tag und bestellte sein Lieblingsgericht, Ham and Eggs (so wie Dix nach der Prügelei mit Junior). Sein Stammplatz war die zweite Nische links vom Eingang. Das hatte etwas von Hybris. Wenn Bogart sich belästigt fühlte fielen harte Worte und er wurde auch mal handgreiflich. Gleichzeitig sorgte er dafür, dass man ihn nicht lange suchen musste.

In a Lonely Place

Andrew Solt war enttäuscht, als er sah, was im Film aus dem Szenelokal geworden war. Der Glamour, der ihn so faszinierte, war nicht mehr da: "Das ‚Romanoff’s’ war das Mekka von Hollywood, aber hier spürte man, dass alles billig war, die Kulissen waren billig, es gab nicht genug elegante Leute da drin." Nicht anders hätte Ray es haben wollen. Ins "Paul’s" geht man, um in billigen Kulissen alte Liebschaften aufzuwärmen, andere mit Gift zu bespritzen, Geschäfte anzubahnen oder wenigstens ein Streichholzbriefchen mit dem Schriftzug des Besitzers zu ergattern, wenn man zu den Fans gehört, die ihre Stars nur ansehen und nicht berühren dürfen. Ein Hauch von Prostitution liegt in der Luft.

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