Anatomie einer Liquiditätsblase
Kurzer Überblick über die wichtigsten Charakteristika der gegenwärtigen globalen Finanzmarktexzesse
Der jüngste Krisenschub scheint auch die hartnäckigsten Gesundbeter der kapitalistischen Marktwirtschaft, die "Wirtschaftsexperten" in Deutschlands Pressestuben, ratlos und desorientiert zurückzulassen. Der Kapitalismus "enttäuscht seine Jünger", gestand der ehemalige Kapitalismusanhänger und Chefredakteur des Manager Magazins, Henrik Müller, in seiner Kolumne.
Die kapitalistische "Geldumwälzpumpe" habe sich "im Leerlauf überhitzt", klagte der "Wirtschaftsexperte", der vor rund einem Jahr den Kapitalismus noch auf dem Wege der Genesung sah. Man habe es mit einer "grundlegenden Vertrauenskrise zu tun", so Müller, da die Wirtschaft "immer weniger in neue Anlagen und Produkte" investierte, während zugleich die stattlichen Gewinne der Unternehmen dazu genutzt würden, "um gigantische Summen an die Aktionäre auszuschütten - in Form von Dividenden und durch den Rückkauf eigener Aktien".
Der Weltwirtschaft gehen die "Konjunkturlokomotiven" aus
Auch Wolfgang Münchau, ehemaliger Chefredakteur der dahingeschiedenen Financial Times Deutschland, musste in seiner SPON-Kolumne konstatieren, dass "etwas grundfalsch im globalen Kapitalismus" laufe. Die krisenbedingten lokalen "Einschläge" folgten immer schneller aufeinander, so Münchau, der den jüngsten Krisenschub in China als "das Ende der dritten Großblase unserer globalen Finanzkrise" bezeichnete.
Zuvor wurde das Weltfinanzsystem durch die Immobilien- und Kreditkrise in den USA, sowie die Folgen der Eurokrise erschüttert. Deswegen setzten sich zunehmend stagnative Tendenzen durch, da kaum noch eine Region in der Lage sei, nennenswerte konjunkturelle Impulse auf globaler Ebene zu generieren:
Da alle großen Wirtschaftsregionen der Welt - USA, Euroraum, Russland, China, Japan und Südostasien - ihre Mega-Krisen in den letzten zwei Jahrzehnten hatten, gibt es auch keinen Unversehrten mehr, der die Rolle einer weltwirtschaftlichen Lokomotive übernehmen könnte. Das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsamt sich somit stetig.
Immerhin scheint dieser "Wirtschaftsexperte" schon mal zu ahnen, dass die genannten lokalen Finanzkrisen nur Momente eines globalen Krisenprozesses darstellen. Denn selbstverständlich handelte es sich bei den "Mega-Krisen" der vergangenen zwei Dekaden, die nahezu alle wichtigen Wirtschaftsräume heimgesucht haben, letztendlich um Schuldenkrisen, die zumeist mit wilden Spekulationsexzessen, mit einer finanzmarktgetriebenen Blasenbildung, einhergingen.
Die Rolle einer "weltwirtschaftlichen Lokomotive" konnten somit in den vergangenen zwei Dekaden nur diejenigen Wirtschaftsräume einnehmen, die solche Blasenbildung samt Verschuldungsexzessen ausbildeten oder von ihr - vermittels Handelsüberschüssen - profitierten. Da sich alle größeren Wirtschaftsräume über die Maßen verschuldeten, sind nun der Weltwirtschaft nun die "Konjunkturlokomotiven" ausgegangen.
Die Abfolge der Spekulationsblasen
Im Endeffekt kann die Wirtschaftsgeschichte der vergangenen zwei Dekaden als eine Abfolge einander ablösender, an Umfang und Dynamik gewinnender Spekulationsblasen begriffen werden. Den lokalen Krisen am Ende des 20. Jahrhunderts - der Asienkrise 1997 und dem Finanzkrach in Russland 1998 - folgte die große Spekulationsblase mit Hightechaktien in den USA und Europa, die sogenannte Dotcom-Blase, die im März 2000 platzte.
Die Niedrigzinspolitik der US-Notenbank, mit der die negativen wirtschaftlichen Folgen dieser kollabierenden Spekulationsdynamik an den Aktienmärkten abgefedert wurden, schuf beste Voraussetzungen für das Aufkommen der nächsten, noch größeren Blasenbildung: Der 2007/2008 platzenden Immobilienblasen, die große Teile Europas und der USA wirtschaftlich verheerten.
Ähnliches gilt auch für die jüngsten Verwerfungen an den Finanzmärkten, die China, viele Schwellenländer, wie auch die Märkte in den westlichen Zentren erfassten. Diese scheinbar disparaten und "lokalen" Krisen lassen sich sehr wohl auf einen globalen Nenner, auf einen gemeinsamen Begriff bringen: auf den der Liquiditätsblase.
Letztendlich stellen auch die jüngsten Verwerfungen die systemische Konsequenz all der Maßnahmen dar, mit denen die kapitalistische Krisenpolitik den Fallout der Finanz- und Weltwirtschaftskrise von 2007/2008 einzudämmen versuchte. Als die Immobilienblasen in den USA und Europa zu platzen begannen, die Weltwirtschaft in den Sturzflug überging und die Finanzmärkte nach der Pleite von Lehman Brothers in Schockstarre übergingen, tat die Politik das - systemimmanent - einzig Richtige.
Die Regierungen der meisten kapitalistischen Kernländer legten massive Konjunkturprogramme auf, die 2009 laut dem Kieler Institut 4,7 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung umfassten, und die Notenbanken gingen zu einer historisch einmaligen expansiven Geldpolitik über, bei der Nullzinspolitik mit massiver Gelddruckerei ("Quantitative Lockerung") gekoppelt wurde.