Angstmache vor Überfremdung wird von Schweizern zurückgewiesen

Die SVP konnte sich mit ihrer Forderung nach einer Veränderung des Einbürgerungsgesetzes nicht durchsetzen

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Trotz der üblichen ausländerfeindlichen und kulturellen Slogans hat sich die rechtskonservative Schweizer Volkspartei bei einem von ihr angestrengten Volksentscheid nicht durchsetzen können. Zwei Drittel der Schweizer lehnen eine weitere Verschärfung des Einbürgerungsgesetzes ab und versetzen damit der Blocher-Partei einen schweren Schlag. Niederlage für die SVP auf der ganzen Linie kommentierte die NZZ. Gleichzeitig schloss die SVP Schweiz die Sektion des Kantons Graubünden mit großer Mehrheit aus, weil sich diese nach der Wahl im letzten Jahr hinter Eveline Widmer-Schlumpf gestellt und sie nach ihrer Wahl als Justizministerin in den Bundesrat aus der Partei auszuschließen. Damit hatte sie Christoph Blocher verdrängt und die Partei in den Nationalrat integriert.

Wie üblich sucht die SVP die Angst vor Überfremdung auszubeuten

Die Schweiz hat ein strenges Einbürgerungsgesetz. Wer Schweizer werden will, muss 12 Jahre im Land gelebt haben, einen Sprach- und Kulturtest machen und dann noch von der jeweiligen Gemeinde akzeptiert werden, die unterschiedliche hohe Hürden stellt. Manchmal stimmt auch das ganze Dorf darüber ab, ob jemand aufgenommen werden soll. Auch wer in der Schweiz geboren wird, ist wie in Deutschland nicht automatisch Schweizer. Daher findet man den höchsten Ausländeranteil unter den Kindern, in Städten liegt er mitunter bei 45 Prozent.

Erst 2003 hatte das Bundesgericht die Möglichkeit unterbunden, dass in Gemeinden mit geheimer Stimmabgabe über die "Qualität" der Bewerber entschieden werden konnte und abgelehnte Bewerber kein Widerspruchsrecht hatten. Das Bundesgericht hatte darauf verwiesen, dass auch bei Einbürgerungen rechtsstaatliche Grundsätze beachtet und insbesondere das Willkürverbot, das Diskriminierungsverbot, der Schutz der Privatsphäre und der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet werden müssen.

Die rechtskonservative, ausländerfeindliche SVP von Milliardär Christoph Blocher, der trotz Gewinnen bei der letzten Wahl durch geschicktes Taktieren der anderen Parteien seinen Posten an die SVP-Abgeordnete Eveline Widmer-Schlumpf verlor (Abwahl eines Populisten), hatte eine Initiative unter dem wohlklingenden Namen Für demokratische Einbürgerungen gestartet, um die Entscheidung über die Einbürgerung ganz den Gemeinden zu überlassen und das Einspruchsrecht abzuschaffen. Blocher hatte nach der Wahl schon erklärt, dass "die Macht in der Schweiz glücklicherweise nicht in erster Linie bei der Regierung" liege, weil über Volksentscheide in dem Land viel bewegt werden kann.

Für den ersten Test, bei dem es neben der Einbürgerung noch um zwei weitere Themen ging, bediente sich die SVP wieder wie gewohnt (Die weißen und die schwarzen Schafe) bei den Ressentiments gegen Ausländer ("Immer mehr Kriminelle und Sozialhilfemissbraucher werden eingebürgert") und der Angst vor einer angeblich drohenden Überfremdung:

Jedes Jahr bürgert die Schweiz rund 50.000 Ausländer ein. Die meisten davon stammen aus dem Balkan und der Türkei. Ein grosser Teil davon sind Moslems, stammen also aus uns fremden Kulturkreisen. Als Eingebürgerte können sie an der Urne über uns bestimmen! Werden sie kriminell oder fallen sie der Sozialhilfe zur Last, können sie nicht mehr ausgewiesen werden. Denn sie haben den Schweizer Pass.

Jetzt ist genug! Die Volksinitiative "Für demokratische Einbürgerungen" verhindert Masseneinbürgerungen. Mit ihr bestimmt das Volk wieder frei über Einbürgerungen. Getroffene Entscheide sind endgültig. Sie können nicht durch endlose und teure Einsprachen vor Gericht angefochten werden.

2007 wurden 45.000 Ausländer eingebürgert, an erster Stelle mit 10.248 Personen Serben, die allerdings keine Moslems sind, gefolgt von 4.759 Italienern und 3.046 Türken. 1992 wurden noch erst 10.000 Einbürgerungen gewährt, 2000 waren es bereits jährlich 30.000, 2006 erfolgte ein Sprung auf 47.000 (zum Vergleich, in Deutschland gab es 2006 mit 124.830 wieder einen leichten Anstieg, nach dem Höchststand 2000 von 186.700 Personen fielen die Einbürgerungen stark ab).

Das Bundesgericht hatte die alleinige und endgültige Entscheidung auf Gemeindeebene durch geheime Stimmabgabe vor allem deswegen untersagt, um die Diskriminierung zu verhindern, also dass nur genehme Menschen aus erwünschten "Kulturkreisen" wie Deutschland oder Italien eingebürgert werden. In der Schweiz leben rund 7,5 Millionen Menschen, 20 Prozent oder 1,5 Millionen haben keinen Schweizer Pass. So dramatisch wie die SVP die Lage darstellt, ist sie freilich nicht. Die größte Gruppe der ausländischen Staatsangehörigen waren im Jahr 2006 mit 18,9 Prozent Italiener, gefolgt von 12,3 Prozent Personen aus Serbien und Montenegro. Und 2004 stammten noch insgesamt "86.5% aller in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländer aus Europa. Rund ein Viertel der ausländischen Staatsangehörigen wurden in der Schweiz geboren."

Gerade noch kurz vor Beginn der EM haben die Schweizer unter Beweis gestellt, dass sie mit den ausländerfeindlichen Tendenzen der Rechtskonservativen nicht einverstanden sind. Obwohl die SVP mit ihrem Begehren nach einer Verschärfung der Einbürgerung an der Mehrheit der Bürger im Volksentscheid gescheitert ist, wollen sie weiter in die Kerne schlagen und wahrscheinlich eine neue Initiative starten. Zur Niederlage schreibt die SVP:

Die SVP nimmt den Volksentscheid zur Einbürgerungsinitiative mit Bedauern zur Kenntnis. Er bestätigt die Entmachtung der Gemeinden und der Stimmbürger auf Kosten von Gerichten und Verwaltung. Mit dem heutigen Entscheid wurde das Recht auf Einbürgerung zementiert. Der Einfluss fremder Kulturen, Mentalitäten und Religionen wird in der Schweiz weiter zunehmen. Ebenso werden die negativen Begleiterscheinungen der Masseneinbürgerungen schlecht integrierter Ausländer (Gewaltkriminalität und Sozialmissbrauch) weiter zunehmen.