Anormales Europaparlament konstituiert sich
Tausende Katalanen und Unterstützer demonstrieren dagegen, dass die Vertreter von fast zwei Millionen Katalanen ausgeschlossen werden
Erneut haben sich viele Katalanen auf einen weiten Weg gemacht, um für ihre Rechte fern ihrer Heimat zu demonstrieren. Vor dem Europaparlament in Straßburg demonstrieren tausende Katalanen seit dem frühen Morgen auch an einem Werktag dagegen, dass drei ins Europaparlament gewählte Parlamentarier ausgeschlossen werden. Schon im Dezember 2017 wurde Brüssel mit katalanischen Fahnen geflutet, noch deutlich mehr Menschen hatten im März in der spanischen Hauptstadt Madrid für das Selbstbestimmungsrecht und gegen die spanische Repression demonstriert.
Im Parlament protestierten derweil Parlamentarier wie der Ire Matt Carthy für die Linksfraktion dagegen, dass drei Katalanen ausgeschlossen wurden. Das Mitglied der Sinn Fein-Partei ergriff das Wort für die Fraktion, um das Vorgehen des umstrittenen Parlamentspräsidenten Antonio Tajani scharf zu kritisieren. "Die Stimme der Katalanen muss zu hören sein", erklärte Carthy, während eine Kollegin neben ihm ein Bild des Exilpräsidenten Carles Puigdemont hochgehalten hat, der ins Parlament gewählt wurde. Der Noch-Präsident, über dessen Nachfolger weiter gestritten wird, "hat die Glaubwürdigkeit des Parlaments untergraben", sagte der Ire, "statt für Demokratie und die Menschenrechte einzutreten."
Einen Tag vor der konstituierenden Sitzung gab es am Montag eine kleine kalte Dusche, denn am Gericht der Europäischen Union (EuG) wurde vom Gerichtspräsident Marc Jaeger ein Eilverfahren abgewiesen. Über eine einstweilige Anordnung wollten die Exilpolitiker Carles Puigdemont und Toni Comín erreichen, dass sie vorsorglich ihre Sitze einnehmen, bis eine endgültige Entscheidung gefällt ist. Damit bleiben die Vertreter des Wahlsiegers in Katalonien zunächst ausgesperrt. Jaeger argumentierte, das Europaparlament hätte nicht nachprüfen können, ob Abgeordnete einen legitimen Anspruch auf ihr Mandat haben. Denn sie tauchen auf der nationalen Liste nicht auf, die Spanien ans Europaparlament geschickt habe.
Dabei wäre es einfach für das Gericht gewesen, sich das spanische Gesetzesblatt im Internet anzuschauen. Neben Puigdemont und Comín wurde auch der inhaftierte Chef der Republikanischen Linken (ERC) eindeutig als gewählter Parlamentarier aufgeführt, womit das rechtskräftig ist. Im Fall von Puigdemont und Comín wurde aus Spanien angeführt, sie hätten den Amtseid in Madrid nicht geschworen, um sie von der Liste zu streichen, die ans Europaparlament ging. Im Fall von Oriol Junqueras war vom Obersten Gerichtshof in Spanien verhindert worden, dass er aus dem Gefängnis ins Parlament gebracht wird. So konnte er seinen Schwur nicht leisten und die Urkunde erhalten, womit er spätestens Immunität erhalten hätte.
Das ist auch deshalb besonders bemerkenswert, da Junqueras wenige Wochen zuvor schon zum spanischen Abgeordneten gewählt worden war. In dem Fall konnte er aber seinen Schwur leisten und wurde mit anderen Abgeordneten extra aus dem Gefängnis ins Parlament gebracht. Die Immunität wurde ihm aber trotz allem nicht gewährt, weshalb auch hochrangige spanische Juristen die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben (Spanien ist technisch keine Demokratie mehr).
Der EuG verweist in seiner Entscheidung aber auf zwei Vorgänge: Erstens ist in Spanien ebenfalls ein Verfahren anhängig, in dem es um die Frage geht, ob die Abgeordneten überhaupt persönlich den Eid hätten schwören müssen. Ihr Anwalt war mit einer notariellen Erklärung vorstellig geworden, doch diese wurde nicht anerkannt. Dabei war es in anderen Fällen möglich, sich vertreten zu lassen, wie im Fall des rechten Abgeordneten Pedro Gómez de la Serna. Kürzlich wurde im Fall von drei Mitgliedern akzeptiert, die in den Senat gewählt wurden, dass sie über ein beglaubigtes Dokument ihren Amtseid abgelegen konnten.
Katalonen protestieren vor dem Europaparlament (10 Bilder)
Zweitens stellt der Gerichtspräsident fest, dass erst in einem ordentlichen Verfahren die definitive Entscheidung fallen wird, ob die Betroffenen ihre Sitze einnehmen können. Hervorgehoben wird, dass die Ablehnung der vorsorglichen Maßnahmen keine Vorentscheidung sei. Zudem ist dagegen Einspruch innerhalb von zwei Monaten möglich. "The General Court will deliver final judgment on the substance of this case at a later date. An order as to interim measures is without prejudice to the outcome of the main proceedings. An appeal, limited to points of law only, may be brought before the Vice-President of the Court of Justice against the decision of the President of the General Court within two months of notification of the decision."
Einen Einspruch hat Puigdemont Anwalt Gonzalo Boye schon angekündigt. Er wies per Twitter auch darauf hin, dass er mit einer Ablehnung der vorläufigen Maßnahmen gerechnet hatte.
Im Fall des Ausschlusses des inhaftierten Junqueras hat die Verteidigung inzwischen erzwungen, dass der Oberste Gerichtshof nun diese Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegt. Damit wird in Luxemburg entschieden, ob er nicht längst Immunität genießt, wie Verfassungsrechtler erklärt haben. Die Verteidigung von Puigdemont und Comín haben derweil am spanischen Gerichtshof ebenfalls beantragt, ihre Fälle einzubinden und sie dem EuGH vorzulegen.
Erstaunlich ist, dass der Gerichtshof im Fall von Junqueras dem EuGH die Frage gegen die Einsprüche des Ministeriums für Staatsanwaltschaft und den juristischen Dienst der Regierung vorlegt. Es scheint, man wird vorsichtiger am Obersten Gerichtshof in Madrid angesichts der ausstehenden Urteile im Verfahren gegen die Anführer der Unabhängigkeitsbewegung, das von vielen Unregelmäßigkeiten gezeichnet war.
Ob Puigdemont und Comín sich zum Parlament unter die vielen Protestierenden ans Europaparlament begeben, war lange unklar. Dort, so konnte Telepolis von Teilnehmerinnen in Erfahrung bringen, ist die Stimmung gut und man ist mit der Beteiligung an einem Wochentag mehr als zufrieden. Mehr als 80 Busse und zwei extra gecharterte Flugzeuge haben sich allein aus Katalonien neben zahllosen Privat-PKWs nach Straßburg begeben, wo sie von Menschen aus ganz Europa unterstützt werden.
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Puigdemont und Comín befanden sich in Deutschland an der Grenze zu Straßburg in Kehl, um die Gefahren bei einem Gang nach Frankreich mit den Verteidigern abzuwägen. Anwalt Boye hatte auf Informationen hingewiesen, dass sich eine große Zahl spanischer Sicherheitskräfte in Straßburg befände. Verwiesen wurde auch auf ein Abkommen zwischen Frankreich und Spanien, das für Mitglieder der ehemaligen baskischen Untergrundorganisation ETA einst geschaffen wurde. Das ermöglicht eine Verhaftung und direkte Überstellung von Gefangenen nach Spanien, ohne dass dafür ein Europäischer Haftbefehl benötigt wird. Dass Auslieferungen auf Basis internationaler Haftbefehle wegen einer erfundenen Rebellion und Aufruhr in Deutschland, Belgien, Großbritannien und der Schweiz abgelehnt wurde, ist bekannt.
Wie Telepolis in Erfahrung bringen konnte, haben sich Puigdemont und Comín angesichts der Situation entschieden, nicht die Grenze aus Deutschland nach Frankreich zu überqueren, um in Straßburg mit vielen tausend Menschen gegen ihren Ausschluss aus dem Parlament zu protestieren.