Arbeit gegen Terror?

Wer Arbeit hat, hat keine Zeit für die Revolution. Die Daten zeigen: Eine solche Beziehung gibt es nicht. Im Gegenteil.

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Terror, Aufstand, Rebellion: Wo kommt sie her, die Gewalt, wie entsteht sie? Eine der allgemein favorisierten Theorien dazu spricht von den "zornigen jungen Männern": Wenn Jugendliche keine Arbeit finden, sich nicht gebraucht fühlen, können sie nicht anders als aufzubegehren. Eine schöne Theorie, die zudem auch von Fakten gedeckt scheint: Wo Arbeitslosigkeit verbreitet ist, wird der Aufstand schnell zum Alltag. Ob in französischen Vorstädten, in Kreuzberg, in Afghanistan oder dem Irak: Brennpunkte der sozialen Krise sind oft auch Brennpunkte der Gewalt.

Dementsprechend könnte eine Lösung der Probleme darin bestehen, Arbeit zu schaffen. Vom Staat oder von der internationalen Gemeinschaft bezahlte Infrastruktur-Maßnahmen sollen, so die Hoffnung, den Menschen einerseits ein erträgliches Leben bescheren - und ihnen ganz nebenbei Zeit und Motivation nehmen, sich an Terror und Rebellion zu beteiligen.

Es handelt sich dabei um eine simple Kosten-Nutzen-Rechnung, die unter anderem auf zwei Annahmen basiert: Terrorist zu sein, ist ein Vollzeitjob - wer sich ins Heer der Arbeiter einreiht, wird also dem Terrorpool entzogen. Nummer zwei: Terrorismus ist ein McJob, ein Beruf, der wenig Qualifikationen benötigt - wer Niedrigqualifizierte mit Arbeit versorgt, trocknet den Pool aus, aus dem sich Terrororganisationen bedienen könnten.

Negative Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und Gewalt

Beide Hypothesen sind allerdings fragwürdig - und das Ergebnis hält dem Nachzählen nicht stand. In einer Forschungsarbeit im Journal of Conflict Resolution untersuchen jetzt vier US-Wissenschaftler, wie die Annahmen zur Realität passen. Dazu untersuchen sie die Verhältnisse in Afghanistan, dem Irak und den Philippinen. Genug Daten liegen dazu auf jeden Fall vor: Für den Irak etwa fanden die Forscher in den Datenbanken der US-Armee für 2004 bis 2007 genau 148.546 Vorfälle. Eine weitere Datenbank, der "Iraq Body Count", verzeichnet 13335 von der weltweiten Presse gemeldete, geocodierte Gewaltakte, bei denen 49391 Zivilisten starben. Ähnliche Datenbanken existieren für Afghanistan, und selbst auf den Philippinen fielen zwischen 1997 und 2006 genau 22245 Sicherheitsberichte der Armee des Landes an.

Schwieriger war es da, genaue Zahlen zur Arbeitslosigkeit zu bekommen. Während diese für die Philippinen relativ zuverlässig zur Verfügung stehen, fand man für Afghanistan nur Daten aus zwei, für den Irak Daten aus drei verschiedenen Jahren. Trotzdem ist die resultierend Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit und Gewalt eindeutig negativ: Je höher die Arbeitslosigkeit, desto weniger Gewaltakte und Tote waren zu verzeichnen. Am stärksten ist diese negative Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und Gewalt dabei im Irak.

Der Wert der Informationen

Das heißt nicht, meinen die Studienautoren, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen automatisch zu mehr Gewalt führt. Es zeigt aber eindeutig, dass die Relation sehr komplex sein muss. So führen zum Beispiel erstens rigide Sicherheitsmaßnahmen zwar zu einem Gewinn an Sicherheit, aber wegen der gesenkten Mobilität der betroffen Bevölkerung auch zu verstärkter Arbeitslosigkeit. Bei verbesserter Ökonomie werden zweitens die Ziele für die Angreifer wertvoller: Eine Beinahe-Ruine zu sprengen, ist in der Ökonomie des Terrors weniger lohnend als die Zerstörung eines neuen Bauwerks.

Und schließlich erleichtert, drittens, eine allgemein miese Wirtschaftslage die Arbeit der Gegenseite: Es wird viel billiger, Informationen über Terrorzellen zu beschaffen, weil der Wert der Informationen sinkt. Welcher dieser Faktoren im Irak und auf den Philippinen eine Rolle spielt, haben die Forscher ebenfalls zu ermitteln versucht. Dabei zeigte sich in der statistischen Datenanalyse, dass nur die Gründe eins und drei signifikant zutage traten, also der Mobilitätsverlust durch Sicherheitsmaßnahmen und die Entwertung von Informationen.