Arbeitslosigkeit im Juli gestiegen: Ist das deutsche Jobwunder in Gefahr?
BA-Chefin Nahles besorgt über Arbeitsmarkt: Schwache Konjunktur hinterlässt Spuren. Langzeitarbeitslosigkeit nimmt zu. Über Ursachen und Folgen.
Lange Zeit galt der deutsche Arbeitsmarkt als robust und widerstandsfähig. Die Krisen der letzten Jahre, die Coronapandemie und die damit verbundenen Probleme in den Lieferketten, konnten ihm wenig anhaben. Doch diese Zeiten könnten nun vorbei sein, das deutsche Jobwunder könnte an seine Grenzen stoßen.
Am Dienstag legte die Bundesagentur für Arbeit (BA) die neuesten Daten zur Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt vor. Die Zahl der Arbeitslosen ist im Juli um 62.000 auf 2,617 Millionen gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahresmonat waren sogar 147.000 Menschen mehr arbeitslos.
"Mit Beginn der Sommerpause sind Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung im Juli gestiegen", kommentierte BA-Chefin Andrea Nahles die Zahlen.
Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit im Juli ist an sich nicht ungewöhnlich, sondern üblich. Schüler melden sich nach ihrem Schulabschluss vorübergehend arbeitslos und Unternehmen besetzen oft erst nach der Sommerpause neue Stellen.
Aber auch saisonbereinigt ist die Arbeitslosigkeit nach Anstiegen im Mai und Juni wieder leicht gestiegen, wenn man die Effekte durch den Zuzug ukrainischer Flüchtlinge herausrechnet.
"Die schwache Konjunktur hinterlässt auf dem Arbeitsmarkt weiter Spuren", sagte Nahles laut Handelsblatt, als sie die aktuellen Arbeitsmarktdaten vorstellte. "Zu einem starken Einbruch ist es allerdings bisher zum Glück nicht gekommen."
Ein Blick auf die Beschäftigungsdynamik zeigt, dass das Wachstum zwar noch vorhanden ist, aber nicht mehr so stark wie zuvor. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stieg im Mai gegenüber dem Vorjahr um 253.000 auf 34,7 Millionen.
Der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sei ausschließlich auf Ausländer zurückzuführen, so die Bundesagentur. Im Vergleich zum Vorjahresmonat hat sich der Zuwachs jedoch halbiert.
Auch die Zahl der geringfügig Beschäftigten ist gestiegen. Knapp 7,54 Millionen Menschen gingen im Mai 2023 einer geringfügig entlohnten Beschäftigung nach, so die BA. Das waren rund 227.000 mehr als im Vorjahresmonat. Davon waren 4,22 Millionen ausschließlich und 3,32 Millionen zusätzlich geringfügig entlohnt beschäftigt.
Auch die Zahl der offenen Stellen ist deutlich gesunken. Die Nachfrage nach Arbeitskräften bleibt verhalten und die Unternehmen werden vorsichtiger bei Neueinstellungen.
Ein Grund für die Verlangsamung des Beschäftigungswachstums ist die demografische Entwicklung. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente. Dieser Rückgang sei allein durch eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren oder durch Zuwanderung kaum zu kompensieren, erklärten Arbeitsmarktexperten gegenüber dem Handelsblatt.
Gleichzeitig verfestige sich die Langzeitarbeitslosigkeit, und die Beschäftigungschancen für Arbeitslose liegen derzeit deutlich unter dem Niveau vor der Coronapandemie. Das erklärte Enzo Weber, Forscher beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), gegenüber dem Handelsblatt. Und die Zahl der Menschen, die schon mindestens ein Jahr arbeitslos sei, steige.
Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit bestätigen das. In der Mitteilung heißt es:
810.000 Personen erhielten im Juli 2023 Arbeitslosengeld, 93.000 mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) lag im Juli bei 3.944.000. Gegenüber Juli 2022 war dies ein Anstieg um 114.000 Personen. 7,3 Prozent der in Deutschland lebenden Personen im erwerbsfähigen Alter waren damit hilfebedürftig.
Die Frage, ob sich aus dieser Entwicklung ein Trend ablesen lässt, ist bislang noch offen. Die BA rechnet in diesem Jahr mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosenzahl auf 2,55 Millionen. Im nächsten Jahr soll die Zahl der Arbeitslosen wieder sinken. Die weitere Entwicklung hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von der konjunkturellen Lage, der demografischen Entwicklung und gezielten Maßnahmen zur Förderung von Langzeitarbeitslosen.
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