Arbeitszeit und Recht: Wenn um jede Minute gestritten wird

Flexible Arbeitszeiten treffen auf strenge Regeln. In Betrieben entbrennt ein Kampf um jede Minute. Wie Arbeitsrecht und Unternehmenspolitik kollidieren.

In vielen Betrieben können Beschäftigte Arbeitszeiten flexibel gestalten – das Vertrauen mancher Manager geht sogar so weit, auf die Erfassung der geleisteten Zeiten zu verzichten. "Vertrauensarbeitszeit" nennt sich dieses Arbeitszeitmodell.

Vertrauensarbeitszeit: Mehr als nur ein Trend

"Arbeitszeit flexibel zu gestalten, ist eine zentrale Herausforderung der Arbeitswelt", erläutert Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA):

Starre Arbeitszeitfenster konterkarieren den Wunsch der Menschen nach mehr Flexibilität.

Zum Gesetzesentwurf des Bundesarbeitsministeriums zur Zeiterfassung positioniert er sich klar:

Ein Zurück zur Stechuhr ist keine Option – weder für Arbeitnehmer noch für Arbeitgeber!

Gerichtsentscheidungen, die die Arbeitswelt verändern

Wie Unternehmen aber auch erbitterten Streit um einzelne Minuten führen können, zeigt eine jetzt veröffentlichte Gerichtsentscheidung. Immer wieder müssen Arbeitsgerichte entscheiden, ob Zeiten zum Umziehen oder Duschen als Arbeitszeit zu bezahlen sind.

In einem neueren Fall hat das Landesarbeitsgericht Nürnberg zu diesen Fragen eine klare Meinung.

Der Fall des Containermechanikers: Ein Beispiel für Arbeitsrechtsfragen

Im Fall eines Containermechanikers zahlte das Unternehmen weder die Wegzeiten zum Umkleideraum noch die Zeiten fürs Duschen. Latzhose, Handschuhe, Sicherheitsschuhe und Schutzbrille plus Atemmaske gehören zur Arbeitskleidung des Mechanikers. Beim Abschleifen rostiger Stellen und dem Nachlackieren mit Pinsel wird Kleidung schmutzig. Danach duscht sich der Beschäftigte und gibt die Arbeitskleidung zur Reinigung des Betriebs.

Diese Zeiten wollte das Unternehmen nicht bezahlen. Der Mechaniker musste sein Recht einklagen – denn das Gericht verpflichtet die Firma, die Zeiten täglich mit insgesamt 21 Minuten zu vergüten. Es verwies darauf, dass Waschen keine Arbeitszeit sei, "wenn es im Privatleben üblich ist. Allerdings könne es zur Arbeitszeit werden, wenn die Verschmutzung des Körpers außergewöhnlich hoch ist, was im vorliegenden Fall zutraf".

Ein Streit bis zum Arbeitsgericht um dieses Thema erstaunt viele Beobachter – zumal BDA-Hauptgeschäftsführer Kampeter betont:

Die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts lässt sich nicht mit Regelungen des 20. Jahrhunderts produktiv und gesund gestalten.

Arbeitszeitkonten: Die moderne Antwort auf Arbeitszeitflexibilität

Heute werde die zu leistende Zeit "mit Instrumenten wie Arbeitszeitkonten […] flexibel verteilt. Das ist es, was der Vermeidung von Mehrarbeit und damit einer guten Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Anforderungen dient", so der Unternehmenslobbyist.

Die Nürnberger Gerichtsentscheidung ist aber kein Einzelfall. Ein Blick auf die Unternehmensstrategien verdeutlicht, worum es geht.

Ein Teil der Beschäftigten wird durch Vorgaben zu konkreten Arbeitsschritten gesteuert. Dies können Angestellte in Kundenservice sein, die per Workflow-System Vorgaben durch die Software erhalten. Dazu gehören aber auch Arbeiter in der Chemie- oder Metall-Industrie, denen Maschinen Vorgaben machen.

Auf die Sekunde genau werden Zeiten und Arbeitsergebnisse in ein Verhältnis gesetzt, von Vorarbeitern, Teamleitern oder Controllern überwacht. Dass es hier häufig Streit über Arbeitszeiten beim Umkleiden oder Vorbereiten gib, zeigt eine Ratgeberseite der IG Metall.

Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit: Eine verschwimmende Linie

Anders ist die Situation bei vielen hochqualifizierten Angestellten. Dabei erfolgt die Aufteilung von Arbeitsaufgaben nicht mehr durch einen Vorgesetzten, der einzelne Arbeitsschritte vorgibt und deren Einhaltung akribisch kontrolliert. Die Steuerung erfolgt bei diesen Arbeitsplätzen indirekt. Vielmehr erfolgt häufig eine Vermarktlichung der Arbeitsbeziehung.

Beschäftigte müssen sich etwa in eigener Verantwortung am Kunden orientieren. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit wird vielen unklar, durch Smartphones, Laptops und Videokonferenzen ist es zunehmend egal, wo gearbeitet wird.

Vertrauensarbeitszeit und ihre Folgen: Ein zweischneidiges Schwert

Bei diesen Jobs setzt das Unternehmen meist auf "Vertrauensarbeitszeit": Dabei wird auf die Erfassung von Arbeitszeit verzichtet, Überstunden nicht vergütet. Gerade mobile Arbeit oder Arbeit im Homeoffice wird von Firmen dafür gerne als Begründung genutzt.

In der Praxis erleben Beschäftigte zunehmend, dass die Einführung der "Vertrauensarbeitszeit" weitgehende negative Folgen hat. Denn die Zeiterfassung stellt eine Absicherung des Werktätigen dem Unternehmen gegenüber dar.

Der Streit bei Umkleidezeiten der Arbeiter zeigt, dass Unternehmen die Zeiterfassung erst dann abschaffen, wenn sie vorher Bedingungen geschaffen haben, unter denen sich der Verzicht auf diese Dokumentation für sie rechnet.

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