Ascheklumpen

Die geraubten Schätze des Irak im Internet

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Es ist immer noch unklar, was genau im Irak unter den Augen der amerikanischen Soldaten den Kunsträubern und Plünderern in die Hände fiel. Inzwischen ist eine erste Gruppe internationaler Experten zur Unterstützung der irakischen Museumskuratoren nach Bagdad gereist und ein Verbund von Institutionen versucht, eine Liste der geraubten Kulturgüter online zu stellen.

Goldhelm des Königs Meskalamdug, königlicher Friedhof in Ur, ca. 2400 v.Chr., Bild: LOST TREASURES FROM IRAQ/Eva Strommenger. Fünf Jahrtausende Mesopotamien. München: Hirmer Verlag, 1962. Plate XV.

Eigentlich hatte das US-Militär zugesagt, das irakische Kulturerbe zu schützen, aber als die Plünderer kamen, sahen die GIs seelenruhig zu, wie das Nationalmuseum geplündert und Bibliotheken in Brand gesetzt wurden (vgl. "Das passiert"). Während Ölquellen und das Ölministerium sofort von Truppen gesichert wurden, konnte der Mob und die organisierte Kunstmafia bei den Kulturschätzen ungehindert zulangen. Was genau überall im Land zerstört und geklaut wurde, ist noch unklar. Langsam wird nun das genaue Ausmaß des Verlusts in Bagdad sichtbar. Archäologen und Altorientalisten aus der ganzen Welt klagen die US-Regierung an und versuchen jetzt ihre Kollegen im Irak zu unterstützen. Das Internet soll eine zentrale Rolle spielen, um die geraubten Artefakte genau zu katalogisieren. Ziel ist eine Datenbank mit möglichst genauen Beschreibungen und Bildern, damit jedes auf dem internationalen Kunstmarkt auftauchende Objekt entsprechend verglichen werden kann.

Der heutige Irak, das antike Mesopotamien ist die Wiege der Zivilisation. In Sumer, Babylonien und Assyrien fanden sich die ersten Großstädte, hier wurde die erste Schrift und das erste Rechtssystem entwickelt. Die Sammlung des Museums in Bagdad mit Stücken von ca. 9000 v.Chr. bis zur islamischen Periode war nicht nur von nationaler Bedeutung, sondern zweifelsfrei Weltkulturerbe.

In der Stadt sind inzwischen außer CIA- und FBI-Mitarbeitern auch internationale Experten, die versuchen nach dem Chaos einen Überblick über die fehlenden Bestände zu bekommen. Einer von ihnen ist Walter Sommerfeld, der die Altorientalistik der Uni Marburg leitet. In einem Interview mit der Berliner Zeitung gibt er einen Überblick über die Lage vor Ort:

Bis auf die assyrischen Reliefs, die zu groß sind und zu gut befestigt waren, ist alles aus den Ausstellungsräumen verschwunden oder zerschlagen worden. Obwohl jetzt aufgeräumt wird, herrscht noch immer ein absolutes Chaos. (...) Die genaue Aufnahme aller Schäden wird noch Wochen dauern, aber grobe Schätzungen der Kollegen im Museum rechnen mit etwa 100 000 geplünderten Objekten. Das wäre mehr als die Hälfte der 180 000 Stücke, die das Museum besaß. Es ist nicht alles weg, aber ungeheuer viel. (...) Man kann das im Irak vielleicht mit dem Mongolensturm vor 750 Jahren vergleichen. Aber eigentlich ist es einmalig. Es ist nicht nur das Museum geplündert worden, sondern auch die Universitäten, die Bibliotheken. Die Germanistische Abteilung hat in 50 Jahren über 15 000 Bände gesammelt, unersetzbare Schätze - und die sind jetzt total verbrannt. Davon sind nur noch Ascheklumpen übrig.

Mehr als 80 Universitäten, Museen, Institute und Einzelpersonen haben sich jetzt zusammen getan, um fest zu halten, was alles verschwunden ist. Die Plünderer haben systematisch die Inventarlisten des Nationalmuseums vernichtet, was den Verdacht bestärkt, dass es sich um Profis gehandelt hat. Das Projekt Lost Treasures from Iraq wird von der University of Chicago koordiniert. Zug um Zug soll eine Datenbank aufgebaut werden, die von der speziellen Interpol-Sonderkommission (Stolen Works of Art) ebenso genutzt werden kann wie von Zollbeamten, Kunsthändlern oder potenziellen Käufern. Begonnen hatte damit bereits andere wie The Art Newspaper in Zusammenarbeit mit dem das British Museum, die sofort den einzig vorhandenen Katalog des Nationalmuseums digitalisiert und online gestellt hatten. Oder die University of California in Los Angeles mit der Max Planck Gesellschaft (Cuneiform Digital Library Initiative) sowie die Universität Innsbruck (Iraq-Museum Baghdad) und die Gruppe The Baghdad Museum Project.

Noch ist "Lost Treasures from Iraq" nur mit einigen Fotos und Beschreibungen online, in den kommenden Wochen soll die Website aber weiter ausgebaut werden. Auf welche Daten sich die Macher dabei stützen können, ist noch unklar. Das Inventursystem des Museums ist vernichtet und nur ein Teil der Daten war bereits in den Computer eingegeben. Die PCs sind ebenfalls gestohlen oder zerschlagen worden, ob und wie viele Dateien von den Festplatten gerettet werden können, ist völlig offen. Clemens Reichel von der University of Chicago erklärte gegenüber Wired: "Wir werden niemals fähig sein, vollständig zu rekonstruieren, was alles in dem Museum war."

Bei den Fotos und Zeichnungen müssen zudem Copyrights beachtet werden. Die meisten Verlage und Universitäten haben signalisiert, ihre Materialien unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, sie sollen zudem in der Datenbank mit einem digitalen Wasserzeichen gekennzeichnet werden. Zunächst muss aber abgeklärt werden, ob das irakische Nationalmuseum überhaupt damit einverstanden ist und wie groß das Risiko ist, dass clevere Schwarzhändler die Site zur Authentifizierung ihrer Ware missbrauchen könnten.

Die Datenbank soll in Unix, bzw. PostgreSQL erstellt werden, damit sie später dem Museum übergeben werden kann, ohne das Export-Probleme oder Lizenzkosten entstehen.

Das Deutsche Archäologische Institut, das selbst viele Feldforschungen im Irak durchführte und seit 1955 ein eigenes Büro in Bagdad unterhält, ist auch mit von der Partie, wenn es um Unterstützung für die irakischen Kollegen geht. Die Mitarbeiter des Instituts werden alle ihre Unterlagen zur Verfügung stellen.

Unter dem Dach der UNESCO tagten Kuratoren der größten Museen der Welt für mesopotamische Kunst wie der Hermitage in St. Petersburg, dem Pergamonmuseum in Berlin, dem Louvre in Paris, dem Metropolitan Museum of Art in New York and dem British Museum in London. Sie alle fordern zusammen mit der UNESCO den Bann des Exports und des internationalen Handels von irakischen Antiquitäten aller Art. Zudem sollte im Irak eine "Denkmalpolizei" aufgebaut werden.

Die Spezialisten sind nicht sehr zuversichtlich, dass viele der gestohlenen Artefakte wieder auftauchen werden. Die Erfahrung und der hohe Wert der Altertümer spricht dagegen. Selbst für sehr bekannte Stücke finden sich im Zweifelsfall auf dem internationalen Kunstmarkt Käufer, die bereit sind Unsummen für archäologische Stücke zu zahlen, die sie sich in den Tresor stellen und an deren Besitz sie sich nur in privaten Stunden ganz allein erfreuen. Der Antiquitäten-Markt boomt und für legal gehandelte, kleine Tafeln mit Keilschriften zahlten in den vergangenen Jahren begeisterte Sammler 100 000 Euro und mehr.

CIA, Zoll und FBI haben inzwischen etwa 650 Objekte präsentiert, die von reuigen Dieben zurück gebracht oder beschlagnahmt worden sind.

An Flughäfen aus dem Gepäck von Journalisten und Soldaten beschlagnahmte "Kunstwerke" waren dagegen bisher meistens Kitschgemälde oder vergoldete Waffen aus den Palästen des vertriebenen Regimes. Keines stammte aus dem Nationalmuseum.

Viele Archäologen befürchten, dass der Druck des Kunstmarkts dafür sorgt, dass die internationalen Bestimmungen eher liberalisiert als verschärft werden. Schon heute vermuten einige Sachverständige, dass der organisierte illegale Kunstmarkt mehr Gewinn macht als die Drogenmafia. Und vieles deutet darauf hin, dass in Bagdad zumindest zum Teil echte Profis am Werk waren. Um die gestohlenen Kulturgüter wieder zu bekommen wäre eine möglichst vollständige Dokumentation der Verluste nötig, ein Embargo der Ausfuhr aus dem Irak und eine Ächtung des Ankaufs irakischer Antiquitäten. Aber sich die Kulturschützer mit ihren Forderungen durchsetzen werden, ist zurzeit fragwürdig. In der US-Regierung haben sie keinen starken Einfluss. Nach den verharmlosenden Kommentaren des Verteidigungsministers Donald Rumsfeld zur Plünderung des Nationalmuseums trat der Leiter des präsidialen Beraterstabs für Kulturgüter, Martin Sullivan, protestierend von seinem Posten zurück (vgl. Öl oder Kultur). Ein Kunsthändler wurde sein Nachfolger, ein Zeichen für den neuen Wind, der im weißen Haus weht.

In den USA arbeitet ein sehr einflussreicher Verein namens "American Council for Cultural Policy" (ACCP) an der weiteren Liberalisierung des internationalen Kunstmarkts. Dieser Verein trat für die erleichterte Ausfuhr von Antiquitäten aus dem Irak ein - mit der Begründung, dass die Schätze im Heimatland nicht genügend geschützt seien.

Die ACCP-Mitglieder, vor allem Händler und Sammler, beraten auch große Museen. Ihr Präsident, Ashton Hawkins, saß früher im Vorstand des Metropolitan Museum of Art. Hawkins erläuterte kürzlich in einem Statement im Kulturweltspiegel seine Überzeugung:

Offen gesagt dürfte eine Position wie die der UNESCO, die jeden Export von Antiquitäten untersagt, nicht ganz korrekt sein. Das ist zu rigoros. Die beiden Katastrophen in Afghanistan und im Irak, bei denen so viele Kulturschätze verloren gingen, waren auch ein Resultat dieser Gesetze. Das wird die UNESCO hoffentlich dazu bringen, ihr Position zu überdenken und zu akzeptieren, dass es auch noch andere internationale Kulturbeziehungen gibt. Dieser kulturelle Nationalismus bestimmter Länder - so reizvoll er für die interne Propaganda sein mag - kann sehr destruktiv sein.