Atomkraft: Russisch Roulette

Über Jahrzehnte wurde in Deutschland gegen Atomkraft demonstriert. Nach Fukushima beschloss die Bundesregierung den Ausstieg. Jetzt wird erneut über Laufzeitverlängerungen debattiert. Bild: pxhere / Public Domain

Energie und Klima – kompakt, Teil 2: Kampagne fordert dauerhaftes Neun-Euro-Ticket, FDP will längere AKW-Laufzeiten und die Dürre-Situation hat sich entspannt.

Was ist eigentlich aus dem Neun-Euro-Ticket geworden? Drei Monate waren im Sommer Millionen Menschen mit ihm bequem und günstig durchs Land gefahren. Einige hatten das Auto stehen lassen, andere konnten sich seit langem wieder mehr Besuche bei Verwandten in anderen Städten leisten und insbesondere für die unteren Einkommensklassen, nicht zuletzt für Jugendliche und Rentner, war es eine spürbare Erleichterung. Nebenbei hat es auch noch die Inflation gedrückt.

Mit dem Entlastungspaket war ein Ersatz ab Januar 2023 versprochen worden, wenn auch lange nicht mehr so günstig. 49 bis 69 Euro monatlich solle es kosten, hieß es. Dabei wäre ein Neun-Euro-Ticket für zehn bis 12 Milliarden Euro jährlich zu haben. Das ist nicht wenig, aber weniger, als die öffentliche Hand zusätzlich durch die Inflation an Mehrwertsteuer einnimmt.

Dennoch ziert sich der Bundesfinanz- und Porsche-Minister Christian Lindner (FDP) und streitet sich mit den Bundesländern auch noch über die Finanzierung der halbherzigen Ersatzlösung. Beim Treffen der Chefs der Landesregierungen kam am Dienstag wieder keine Lösung heraus. Der Bund sperrt sich weiter, den Ländern mehr Geld für den Nahverkehr zu geben.

Derweil hat eine Kampagne "9-€-Ticket weiterfahren!" 20.000 Unterschriften unter eine Petition gesammelt, die die unbefristete Fortführung des günstigen Tickets fordert. Am morgigen Freitag soll sie dem Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) übergeben werden. Gefordert wird darin unter anderem, massive Investitionen in Bahn und Bus, wozu auch mehr und besser bezahltes Personal gehört. Dafür müssten Haushaltsmittel umgeschichtet werden. Statt einseitig den Autoverkehr zu fördern, müsse Mobilität für alle ermöglicht werden.

Streit um Laufzeiten

Wir hatten bereits in Teil 1 der Energie- und Klimawochenschau gestern berichtet, dass das grün-geführte Bundeswirtschaftsministerium sich endgültig vom Klimaschutz verabschiedet, die Ausweitung des rheinischen Braunkohletagebaus Garzweiler 2 befürwortet und einen Polizeieinsatz provozieren will. Auch in Sachen Atomkraft (und Friedenspolitik sowieso) haben grüne Minister einstige Grundsätze ihrer Partei längst aufgegeben und wollen die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 länger laufen lassen.

Dafür muss allerdings das Atomgesetz geändert werden, das bisher für die genannten Meiler und einen weiteren das Aus für Ende 2022 vorsieht. Doch darüber gibt es im Bundeskabinett weiter keine Einigung, weil die FDP auf die von AfD und Union angestoßene Kampagne zur Laufzeitverlängerung aufgesprungen ist. Eine Beschlussfassung des Kabinetts wurde am gestrigen Mittwoch vertagt, wie unter anderem der Stern berichtet.

Am Reaktor Neckarwestheim 2 wird seit einigen Jahren eine zunehmende Zahl von Haarrissen am Rohrsystem des äußeren Kühlkreislaufs festgestellt, weshalb der Weiterbetrieb, so er denn zustande kommt, im Dezember voraussichtlich die Gerichte beschäftigen wird.

Die FDP ficht das allerdings ebenso wenig an wie die Pannenmeldungen von der Isar oder die Tatsache, dass die umfassende, alle zehn Jahre vorgesehene Sicherheitsüberprüfung der Anlagen bereits seit mehr als vier Jahren überfällig ist.

Statt, wie vom Wirtschaftsministerium vorgesehen, die Anlagen bis in den April hinein in der Reserve weiterlaufen zu lassen, will sie eine Laufzeitverlängerung "über 2023 hinaus". Natürlich nur in Sorge um die Stromversorgung und keinesfalls mit der Aussicht auf gewaltige Zusatzgewinne, die die Betreiber bei diesem Russisch Roulette angesichts der derzeitigen Strompreise mit den alten, abgeschriebenen Anlagen machen können.

Übrigens: Die FDP hatte 2010 in Koalition mit der Union, die alten Laufzeitbeschränkungen aufgehoben, nur um sie ein halbes Jahr später nach der mehrfachen Reaktorhavarie im japanischen Fukushima in sehr ähnlicher Form wieder einzuführen. Jetzt will sie also ihren alten Ausstiegsbeschluss aus dem Jahre 2011 wieder kassieren, aber der Zustand und das Alter vieler westeuropäischer AKW lässt erwarten, dass wir eventuell auf einen erneuten Meinungsumschwung nicht allzu lange warten müssen.

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