Atomkrieg aus Versehen?

In Hochatmosphäre explodierende Meteoriten können Atombombenexplosion vortäuschen

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Sollte dereinst die Atommächte die weltweiten Atomwaffenversuche per Abkommen ächten, würde ein internationales Netzwerk seismischer und barometrischer Sensoren zum Einsatz kommen, um alle Verstöße aufzuspüren. Doch derlei Pläne könnten schnell Makulatur werden, sofern die These, die jüngst holländische Wissenschaftler aufgestellt haben, wonach ausgerechnet hoch in der Atmosphäre explodierende Meteoriten dieses Netzwerk ad absurdum führen könnten, auch wirklich stimmt. Denn dieselben kurzwelligen Infraschallwellen, die atmosphärische Explosionen aussenden, geben Meterioden sozusagen als finalen Todesschrei ab.

Wie oft die Menschheit im Atomzeitalter am Rande ihrer (Teil-)Vernichtung gestanden hat, werden wir wohl nie erfahren. Bekannt geworden sind eben nur jene historisch belegten Ereignisse, wie etwa die Kuba-Krise 1962, die schon seinerzeit von der Presse medienwirksam kommentiert und völlig zu Recht hochstilisiert wurde. Ganz anders verhält sich dies bei geheimen Vorkommnissen, die erst Jahre später ihren Weg aus den Archiven an die Öffentlichkeit finden. Exemplarisch hierfür steht die unglaubliche Geschichte des Oberstleutnant Stanislaw Petrow Der russische Offizier, der damals die diensthabende Mannschaft in der Kommandozentrale des Raketenwarnsystems in Serpuchow-15 bei Moskau befehligte, durchlitt während seines Dienstes in der Nacht vom 25. zum 26. September 1983 einen wahren Albtraum. Gegen 00.40 Uhr ertönte eine Sirene: "Atomalarm". Der sowjetische Satellit Sputnik "Oko" der Kosmos-1382-Klasse meldete den Start einer amerikanischen Minuteman-Atomrakete. Sekunden darauf erfolgte der Hinweis, dass weitere feststoffgetriebene Raketen gestartet waren und geradewegs auf die Sowjetunion zusteuern. Für langes Rätselraten war keine Zeit. Die Anweisungen für den Ernstfall waren präzise und klar. Oberstleutnant Stanislaw Petrow blieben nur fünf bis zehn Minuten, um die Raketen zweifelsfrei zu identifizieren. Im Anschluss daran musste der Oberkommandierende, damals KP-Generalsekretär Juri Andropow, informiert werden.

Nur sieben Minuten nach dessen Befehl wären die sowjetischen Interkontinental-Raketen - damals handelte es sich vorwiegend um den Typ SS-18 - unterwegs gen Washington, New York und anderen Großstädten und Militärbasen gewesen. Doch Oberstleutnant Petrow zögerte, da er noch keine Bestätigung für die Starts von den Bodenbeobachtungsstationen erhalten hatte. Petrow wusste nur allzu gut, dass die damals benutzten Satelliten wegen der Einwirkung kosmischer Strahlung unzuverlässig waren. Petrows Entschluss, den Vorgang als Fehlalarm zu interpretieren, verhinderte den weltweiten atomaren Supergau, der für Milliarden Menschen den Tod bedeutet hätte. Wäre es 1983 zum nuklearen Schlag und Gegenschlag gekommen, wäre es ein nationaler Fauxpas mit dramatischen Konsequenzen, ein Atomkrieg aus Versehen gewesen.

Derweil befürchten niederländische Wissenschaftler, dass eine derartige Gefahr noch längst nicht aus der Welt ist - zumindest in Bezug auf Atombombenversuche. Wie Seismologen des Royal Netherlands Meteorological Institutes jüngst herausgefunden haben, könnten in der Hochatmosphäre explodierende Meteoriten leicht mit Atomwaffen verwechselt werden, was auf der jeweiligen Gegenseite zu falschen Schlußfolgerungen führen könnte. Vor allem jene Beobachter, die über die Einhaltung des Internationalen Abkommens für Atomwaffen-Tests (CTBT) wachen, könnten dadurch irritiert werden.

Würden Asteroiden oder Meteoriden in der Hochatmosphäre aufbersten, könnten Militärs den Vorgang als Atombombenexplosion fehlinterpretieren. Wie das in praxi aussehen kann, war am 8. November 1999 in zirka 20 Kilometern Höhe zu sehen, als ein explodierender Meteorit auf der "Höhe" von Norddeutschland und weiten Teilen Skandinaviens zahlreiche Beobachter in Aufregung versetzte. Seine freigesetzte Energie reichte ziemlich genau an das Niveau der amerikanischen Atombombenversuche Anfang der 60er Jahre heran.

Bislang bemüht sich die internationale Gemeinschaft schon seit mehr als vierzig Jahren um ein weltweites Verbot von Atomwaffenversuchen. Doch ein Abkommen über deren Verzicht ist das eine, dessen Kontrolle das andere. Tatsächlich stehen zurzeit verschiedene seismische und barometrische Geräte auf dem Prüfstand, mit deren Hilfe sich die Erschütterungen von Atomwaffenversuchen von denen natürlicher Herkunft unterscheiden lassen sollen. Aber die Grenzen zwischen "natürlich" und "künstlich" sind manchmal fließend, bisweilen sogar trügerisch, da sie manipulierbar sind. Denn es wäre durchaus möglich, solche Geräte aus dem All zu sabotieren. Nicht zuletzt deshalb, weil in jeder Woche irgendwo auf der Erde ein Meteorit auf die Erdatmosphäre trifft - und dort mit gewaltigem Getöse explodiert. Und genau die Geräte, die jenes Atomteststoppabkommen überwachen helfen sollen, schlagen unter Umständen auch in diesem Fall Alarm. Im Royal Netherlands Meteorological Institutes war dies jedenfalls der Fall. Dort bewegten sich die Zeiger der Messgeräte in den roten Bereich.

Während Seismografen vor allem auf unterirdische Atomwaffenversuche reagieren, dienen die so genannten Mikrobarometer der Detektion feinster Luftdruckschwankungen im Infraschallbereich. Das ist Schall mit einer Frequenz unterhalb von 20 Hertz, der für menschliche Ohren nicht wahrzunehmen ist. Die brausenden Wellen der Meere haben ein ganz ähnlichen Effekt, während diese in den Aufzeichnungen aber für das kontinuierliche Hintergrundrauschen verantwortlich sind, führen große Explosionen zu eindeutigen Ausschlägen des Instruments.

Ein ganz ähnliches Gerät gehört auch zur Ausstattung des Royal Netherlands Meteorological Institute. Kurz nach der Explosion des Meteoriten an jenem 8. November 1999 reagierten dessen Schreiber mit einem charakteristischen Ausschlag, der genauso gut Folge eines Atomwaffenversuchs hätte sein können. Ein herber Rückschlag für das geplante internationale Netzwerk barometrischer Überwachungssensoren. Denn kaum ein internationales Abkommen hat einen so schweren Stand wie dieses, und einen bald wöchentlichen Fehlalarm könnte man sich am Ende wohl kaum leisten.

Die Projektleiter Läslo Evers und Hein Haak veröffentlichten ihre Ergebnisse in den Geophysical Research Letters (Januar 2000) mit dem expliziten Hinweis, dass gerade durch die Ähnlichkeit des Mikrobarometers mit den CTBT-Messinstrumenten es von enormer Bedeutung sei, dass letztere auch zwischen einer Meteoriten- und einer Atombombenexplosion unterscheiden können. Ansonsten könnte es zu gefährlichen Verwechslungen kommen.