Atommacht Pakistan: Taliban, Geopolitik und Abgrund

Seite 3: Das Gesamtbild

Dieses Szenario droht einem Land, das eben eines der schwersten Jahre seiner Existenz überstanden und sich davon noch nicht erholt hat.

2022 begann mit der schlimmsten Hitzewelle seit über 100 Jahren, die die Ernte zum Teil vertrocknen ließ und die schon angespannte Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und die daraus folgende Verteuerung verschärfte. Ein Großteil dessen, was die Hitze überstand, fiel der größten Flut in der Geschichte des Landes zum Opfer, zeitweise stand ein Zehntel des Landes und die Hälfte aller Äcker unter Wasser.

Der Gesamtschaden betrug offiziell fast 15 Milliarden US-Dollar, der Bundeshaushalt 2021 im Vergleich dazu betrug knapp 38 Milliarden US-Dollar. Mangel an Devisen, unentwegte, hohe Preissteigerungen essentieller Güter wie Lebensmittel und Energie und Inflation belasteten die Menschen schon, als in anderen Ländern noch mit Deflation und Niedrig- oder sogar Negativzinsen gerungen wurde.

Das Land läuft fast wöchentlich Gefahr, seine Schulden nicht mehr bedienen zu können und steuert somit auf einen Staatsbankrott zu. Begleitet und forciert werden diese Entwicklungen vom nur allzu bekannten politischen Chaos.

Einer wackligen Koalition gelang es zwar, den früheren Volkstribun Imran Khan aus dem Amt zu jagen, ist aber mit der Regierung schlichtweg überfordert. Khan wiederum ist mittlerweile unberechenbar, irrlichtert von einer Demonstration zu nächsten und provoziert in nie gekannter Weise seine ehemaligen Gönner in der Armee (vgl. Pakistan: Der riskante Kurs von Imran Khan).

Das Letzte, was man jetzt braucht, ist noch einen Grenzkonflikt und einen neuen Aufstand der Paschtunen.

Die wahre Tragik

An diesen Umständen kann weder die nominelle Regierung aus Zivilisten noch die wahre Regierung hinter den Kulissen etwas grundlegend verändern, zumindest nicht die nächsten Jahrzehnte.

Wohl werden Umwelt- und Wirtschaftskrisen den Menschen insgesamt mehr schaden als bewaffnete Konflikte, jedoch werden genau die den Erhalt des Status Quo rechtfertigen. Mehr bewaffneter Widerstand bedeutet automatisch mehr Repression, zum Umdenken ist man besonders in Militärkreisen nicht im Stande.

Die Armee, sowieso die größte Bürde des Landes, wird ihre Position bestätigt sehen und einen noch größeren Anteil fordern. Wirklich tragisch ist die Tatsache, das dem allergrößten Teil der Bevölkerung die Gründe für die scheinbar unablässige Folge von Krisen, Katastrophen und Konflikten nicht bewusst sind und wohl auch nicht werden können.

Für die Angehörigen der Opfer des Army School Massakers ist es schlichtweg unvorstellbar, dass ihr Schicksal etwas mit der Strategie der Armee zu tun hat und damit zum Teil selbst verschuldet ist. Schon nicht, weil die meisten Opfer Kinder von dienenden Soldaten waren. Die Terroristen fielen nicht vom Himmel – was trieb sie zu so einer Tat?

Es war ausgerechnet – so etwas passiert eben auch fast nur in Pakistan – der ehemalige ISI-Chef Asad Durrani, der die Wahrheit zumindest zur Hälfte aussprach und die Opfer unvermeidliche Kollateralschäden nannte.

Wiederum kam noch nie zur Sprache, was die Armee eigentlich für eine Taktik in FATA und den anderen Siedlungsgebieten der Paschtunen (und Balochen) anwendet und wie viele Kinder dabei ums Leben gekommen sind. Diese Kriegsverbrechen interessieren weder in Pakistan noch sonst wo. Von der Gegenseite kann ein Umdenken kategorisch ausgeschlossen werden.

Die Balochen sind fertig mit dem Staat und seinen Institutionen, ob zivil oder militärisch. Für sie ist Pakistan nichts anderes als die nächste Kolonialmacht, und eine viel schlechtere als die zuvor. Wie Balochistan befriedet werden könnte, ist völlig ungewiss.

Der ewige Kreislauf aus Gewalt und Gegengewalt

Die Paschtunen sind zwar noch nicht als Gesamtheit dem Land entfremdet, aber um sie zu einem Friedensschluss zu überzeugen, fehlen Staat und Armee die geistige Flexibilität und vor allem auch das nötige Geld. Damit könnte man die meisten Probleme im Land lösen, doch diese Ressource ist aktuell mal wieder ganz besonders knapp. Der ewige Kreislauf aus Gewalt und Gegengewalt scheint nicht zu durchbrechen zu sein.

Wie es kommt, man wird sich wieder irgendwie durchwursteln, dieses Handwerk wurde in Pakistan zur Kunstform perfektioniert. Und das Land ist zäh, wie die Vergangenheit beweist. Aber um welchen Preis? Und wie oft geht das noch gut?