Atommacht Pakistan: Taliban, Geopolitik und Abgrund

Seite 2: Die Taliban enttäuschen ihren Paten

Als am 15. August 2021 die Taliban die Macht in Kabul übernahmen, machte sich in der ISI-Zentrale vermutlich Genugtuung breit. Dieses Ziel hatte man, trotz erbitterter Gegnerschaft der verbündeten USA, seit den frühen 1990ern verfolgt.

Die Aussichten erschienen fast zu gut, um wahr zu sein: Ein Regime, das willig sein würde zu hören und zu kooperieren. Das den Einfluss Indiens (der von Pakistan immer übertrieben dargestellt wird) zurückdrängen würde. Und das vor allem der TTP keine Zuflucht gewähren würde.

Es dauerte nur wenige Monate, bis sich die guten Aussichten in ihr Gegenteil verkehrten. Die neuen Machthaber in Kabul erwiesen sich wenig zugänglich und als überaus unabhängig agierende afghanische Nationalisten, die nicht davor Halt machten, die alten Gebietsansprüche aus den 1960er-Jahren hervorzuholen und die Legitimität der Durand Line (der Grenze) an sich in Frage zu stellen.

Überhaupt nicht gefiel ihnen der Zaun, den Pakistan entlang der Grenze baut, um die Infiltration von Terroristen zu unterbinden. Fast wöchentlich kommt es zu Streitereien, immer wieder mit Toten auf beiden Seiten.

Generell zeigen die Taliban keinen Willen, Pakistan bei seinem Kampf gegen die TTP zu unterstützen. Taliban Sprecher Zabihullah Mujahid wiederholt immer wieder, die TTP sei ein internes Problem Pakistans, welches auch intern gelöst werden müsste.

Zwar arrangierte Kabul schon Verhandlungen zwischen den Gegnern, weist aber kategorisch alle Vorwürfe zurück, die TTP würde von afghanischem Territorium aus Anschläge in Pakistan verüben.

Mitte Dezember bekam Pakistan einen Vorgeschmack auf das, was die Zukunft bereithalten könnte. Am 12. Dezember schlugen in Chaman in Balochistan, der Grenzstation zwischen Quetta und Kandahar, aus Afghanistan abgefeuerte Granaten ein, die sieben Pakistanis töten und viele mehr verletzten.

Die Verantwortlichen sind offiziell unbekannt, doch vermutlich handelt es sich nicht um eine Attacke der TTP, sondern der afghanischen Sicherheitskräfte.

Dies wäre eine neue Form der Aggression seitens der (afghanischen) Taliban. Nur sechs Tage später kam es in Bannu in Khyber-Pakhunkhwa, der Heimatprovinz der Paschtunen, ausgerechnet in einem Antiterrorzentrum zu einer Geiselnahme, weil sich die Zelleninsassen befreien konnten. Die TTP bekannte sich zu dem Anschlag.

Die schlechteste aller Welten?

So steht es aktuell Ende 2022 zwischen Pakistan und Afghanistan. Der Zauberlehrling kommt in den Sinn, der die Geister, die er rief, nicht mehr los wird. Nur ist niemand wirklich überrascht, vor genau so einer Entwicklung wird gewarnt, seit in den 1980er-Jahren Mudschahedin benutzt wurden, um die Sowjetunion in Afghanistan zu bekämpfen.

Die USA waren damals bereit, dafür einen hohen Preis zu bezahlen, wie der verantwortliche Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski in einem berühmt gewordenen Interview (allerdings drei Jahre vor 9/11) zugab.

Genauso kannten die Vertreter der Interessen Pakistans in Armee und ISI die Risiken und hielten den Preis für angemessen, bis das Army School Massaker sie eines Besseren belehrte. Da war es viel zu spät. Und während die US-Amerikaner einpacken und abziehen konnten, gibt es diese Möglichkeit für Pakistan nicht.

Nun droht also ein Aufleben der TTP, während das neue Regime in Kabul so wenig zu beeinflussen scheint wie das alte, wenn nicht sogar noch weniger. Schlimmer: Früher griffen die US-Amerikaner ein, wenn die Nachbarn davor waren, im großen Stil aufeinander loszugehen, formal zog man ja zu dritt am gleichen Strick. Dieser moderierende Einfluss fehlt nun und die von Pakistan erhoffte "Friedensdividende" – Truppen von der afghanischen an die indische Grenze zu verlegen, erfüllt sich nicht.

Im Gegenteil – vielleicht werden demnächst viel mehr Truppen an der afghanischen Grenze und in Khyber-Pakhtunkhwa (und Balochistan) gebraucht. Überhaupt ist dies eine Steilvorlage für alle Feinde Pakistans, und das ist nicht nur Indien. Am Schwersten wiegt aber wohl, dass außer den direkten Anrainern sich niemand mehr für AfPak interessiert, geschweige denn für Pakistans interne Probleme mit der TTP.

Die US-Amerikaner werden wohl noch dafür sorgen, dass der Konflikt nicht völlig außer Kontrolle gerät. Alle anderen haben vermutlich noch die Flucht aus Kabul im Kopf und werden sich hüten, die Finger schon wieder an AfPak zu verbrennen.

Sowieso hat der Westen (und nicht nur der) jetzt größere Probleme in der eigenen Nachbarschaft und durch Inflation, Energieknappheit, Wirtschaftskrise usw. nicht mehr die Ressourcen, in einen Konflikt einzugreifen, der so hoffnungslos wie z.B. jene am Horn von Afrika erscheint und für einen selbst nur noch von geringer Bedeutung ist.

Die möglichen Herausforderungen würden eine Menge Geld kosten und der einzige verbliebene Verbündete Pakistans, der noch bereit ist, sich mehr als nur symbolisch in Afghanistan zu engagieren, ist wieder einmal China.