Auch die Nakba ist Teil der deutschen Geschichte!
- Auch die Nakba ist Teil der deutschen Geschichte!
- Trauma der Nakba über Generationen
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Über Israel-Palästina-Traumata und den Rassismus in der deutschen Staatsraison
In den sozialen Medien kracht es! Kaum eine Diskussion wird in Deutschland dieser Tage derart scharf geführt wie die über den Israel-Palästina-Konflikt. Hinter diesem Disput stehen nicht nur die Komplexität der politischen und geopolitischen Fragen. Emotionale Aufladung und Verbitterung gehen auch auf kollektive Traumata zurück.
Das nationale Trauma in Folge des historisch einmaligen Verbrechens des Holocausts mündete in Deutschland in der herrschenden Staatsraison mit ihrer bisher bedingungslosen Solidarität mit dem Staat Israel als Schutzraum für die jüdische Bevölkerung. Auf der anderen Seite aber steht das Trauma der Nakba, der in Folge der israelischen Staatsgründung einsetzenden Verdrängung der angestammten arabischen Bevölkerung und der Besetzung ihres Landes durch zionistische Siedler, die bis heute andauert.
Ein Teil des humanistischen historischen Bewusstseins in Deutschland basiert auf dem Gedenken an Auschwitz und auf der Empathie und Identifikation mit den Opfern der Shoa. Dass dies nie wieder geschehe und dass jede Grundlage von Antisemitismus und Rassismus bekämpft gehört, ist eine gesellschaftliche Übereinkunft. Es ist ein zu Recht nicht verhandelbarer Konsens, dass die Geschichte des Schreckens von Holocaust und die aktive Verantwortung der Millionen aus der Großelterngeneration eine besondere Verantwortung dieses Landes gegenüber dem jüdischen Leben, egal wo in dieser Welt, mit sich bringt.
Das Problem im heutigen Deutschland ist die Ausblendung und Verleugnung des anderen Traumas neuerer Teile der hiesigen Bevölkerung – mitsamt der daraus erwachsenden Konsequenzen für staatliches Handeln. Deutsche Geschichte ist demnach nur die Geschichte derer, deren Großeltern auch hier gelebt haben. Die Traumata der migrierten Bevölkerung aus dem arabisch-islamischen Raum gehören scheinbar nicht dazu.
Gründung Israels notwendig – nur zu welchem Preis?
Die Gründung Israels als historische Notwendigkeit zur Schaffung eines Schutzraums für Jüd:innen wurde auf dem Rücken der indigenen Bevölkerung Palästinas verwirklicht. Bis zu einer Million Menschen wurden vertrieben, sie verbringen seit Generationen ein Leben in Flüchtlingslagern, ohne Aussicht auf ein würdevolles Dasein. Anderen Indigenen wurde das Land, auf dem sie und ihre Vorfahren einst lebten, im Laufe der Geschichte Stück für Stück entrissen. Und die, die bleiben konnten, wurden zu Menschen zweiter Klasse.
Die Vertreibung wurde nie gestoppt, auch wenn die großen brutalen Ereignisse lange her sind. Sie dauerte im Alltag immer weiter an. Das Land, das den ursprünglichen Einwohnern Palästinas blieb, wurde immer kleiner, immer segmentierter, sodass auch die Perspektive eines souveränen palästinensischen Staates immer weniger real erscheinen muss.
Auch die aktuelle Eskalation ist ausgelöst worden durch Vertreibung, dieses Mal von palästinensischen Familien aus ihren Häusern in Sheikh Jarrah. Der israelische Philosoph Omri Boehm warnt daher in der Berliner tageszeitung: "Wenn es keine demokratische Alternative gibt, ist eine zweite Nakba möglich, nicht 'nur' Apartheid."
Die Vertreibung und das Schicksal der Palästinenser:innen ist eine Wunde in der Seele des Orients und der islamischen Welt, die bis heute nicht verheilt, sondern immer wieder aufgerissen wird. Es gibt seit der Nakba eine humanistische, aber auch kulturell, ethnisch-religiös basierte empathische Identifizierung mit den vertriebenen Palästinenser:innen in der Bevölkerung vom nördlichen Westafrika über Istanbul bis Indonesien.
Die Menschen dort sehen den Opfern der Nakba ähnlich, sie haben die gleichen ethnischen Merkmale und erkennen sich in ihrem Leid wieder. Dazu kommt, dass die Besatzer und Verdränger immer gestützt und hochgerüstet wurden von den imperialen Mächten, die auch ihre Länder kolonisiert und mit Kriegen überzogen haben. Und nun muss man sich der Tatsache stellen: Dieser Teil der Welt ist nun auch Teil Europas, Teil des postmigrantischen Deutschlands.
Diese historisch gewachsene empathische Identifikation mit dem Leid der Palästinenser:innen begründet die Wut in Teilen der migrantischen Gesellschaft, nicht aber eine von Konservativen heraufbeschworene Fata Morgana eines "importierten Antisemitismus". Natürlich gibt es die hässlichen und antisemitischen Aktionen in diesen Tagen, die insbesondere von türkischstämmigen rechtsradikalen und islamistischen Gruppen ausgehen. Diese sind zu verurteilen und strafrechtlich zu verfolgen.
Es ist auffällig, wie bewusst viele Organisator:innen der propalästinensischen Demonstrationen dieses Problem ansprechen und dagegen vorgehen, während die Medien, allen voran die konservativen, sich auf die einzelnen antisemitischen Aktionen und Stimmen stürzen, um die gesamte Solidaritätsbewegung in dieses Licht zu stellen.
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