Auch ein militärischer Sieg über den IS führt nicht zum Frieden

Seite 2: "Die Erdogan-Regierung glaubte, dass sie den Dschihad-Hahn an- und abstellen kann"

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2016 haben die türkischen Sicherheitskräfte bereits in 54 Provinzen Anti-IS-Einsätze ausgeführt, während der IS über Soziale Netzwerke versucht, Türken zu rekrutieren. Die Online-Präsenz nehme zu, Twitter-Accounts wurden von den Autoren verfolgt und gründlich ausgewertet. Die vielen Festnahmen, die besonders nach Anschlägen stattfinden, führen aber auch wieder zu vielen Freilassungen. 1.338 Festnahmen, die mit IS zu tun haben, gab es 2016, aber nur 7 Verurteilungen. IS-Heimkehrer, die in Syrien Menschen getötet haben, werden nur verurteilt, wenn sie Türken angegriffen haben. Der Umgang mit Islamisten stehe in großem Kontrast zum harten Vorgehen gegen PKK-Mitglieder oder Menschen, die als solche gelten.

Cover des Berichts der der Foundation for Defense of Democracies (FDD).

Für die Autoren Jonathan Schanzer und Merve Tahiroglu ist allerdings Ankara entscheidend für die Durchdringung der Türkei durch IS-Anhänger mit verantwortlich. Die Regierung hat lange Zeit kampfwillige Oppositionelle und Dschihadisten nach Syrien einreisen lassen und diese im eigenen Land kaum verfolgt, da sie vor allem den Sturz des Assad-Regimes beschleunigen wollte und sich dabei auch auf islamistische Kämpfer stützte. "Das ist ein klassischer Fall von Rückwirkung. In ihren Versuchen, Assad zu stürzen, glaubte die Erdogan-Regierung, dass sie den Dschihad-Hahn an- und abstellen kann. Die Anschläge des IS gegen die Türkei zeigen, dass sie damit falsch lagen."

Die türkischen radikalen Islamisten hätten es dem IS und anderen Dschihadisten wie al-Qaida (jetzt: Hayat Tahrir al-Sham) oder Ahrar al-Sham, mit denen die Türkei noch beim Kampf um al-Bab offen kooperiert hat, leicht gemacht, in der Türkei zu rekrutieren und Zellen aufzubauen. Zu diesen türkischen Gruppen werden im Bericht die kurdischen bzw. türkischen Hizbullah, Kaplancilar (Kalifatsstaat), IBDA-C, Hizb ut-Tahrir und Tahsiyeciler gerechnet, die beiden letzteren haben direkte Verbindung mit dem IS. Hizbulla will einen islamischen Staat wie den Iran, Hizb ut-Tahrir ist die größte und einflussreichste Gruppe, die auch international aufgestellt ist. Tausende von Türken haben sich auch dem IS oder anderen bewaffneten Gruppen in Syrien oder dem Irak angeschlossen, viele könnten wieder zurückgekehrt sein.

Tatsächlich hat Ankara viel zu spät den IS bekämpft und ist dann mit der jetzt eingestellten Operation Euphrat-Schild und mit teils islamistischen Milizen vornehmlich dagegen vorgegangen, dass die Kurden nicht größere Gebiete an der Grenze nach der Vertreibung des IS unter ihre Kontrolle kriegen. Solange der IS den Grenzabschnitt bei Dscharablus kontrollierte, ließ ihn die Türkei gewähren.

Für die Autoren gefährdet der Krieg gegen die PKK und die syrische PYD bzw. YPG die Stabilität der Türkei und untergräbt den Kampf gegen den IS. Zudem würden dadurch Teile der türkischen Bevölkerung radikalisiert und können als Kämpfer von den verschiedenen Gruppen rekrutiert werden. Die Autoren raten Ankara zu einer Deeskalisierung des kurdischen Konflikts und der Trump-Regierung, dass sie die Türkei nur beim Kampf gegen den IS unterstützen und Sanktionen gegen alle aussprechen soll, die in der Türkei mit dem IS kooperieren. Wenn die Türkei nicht stärker mit den USA kooperiert, sollten die Beziehungen zurückgefahren werden.

Das ist höchst unwahrscheinlich, wie der Besuch von Außenminister Tillerson in Ankara gerade gezeigt hat. Die USA wollen nicht nur die Türkei auch als Nato-Partner im Konflikt mit Russland und in Auseinandersetzung mit dem Iran halten, sondern benötigen auch die türkischen Militärstützpunkte. Tillerson betonte die gute Zusammenarbeit, ließ sich aber nicht entlocken, ob die Türkei, die darauf drängt, an der amerikanisch-kurdischen Offensive auf Raqqa beteiligt werden soll. Es seien schwierige Entscheidungen zu treffen, wand er sich herum, aber das ändere alles nichts daran, dass die Türkei und die USA im Kampf gegen den IS beisammen bleiben. Von anderen islamistischen Gruppen in Syrien wurde nicht gesprochen, Tillerson wollte auch nichts dazu sagen, ob für eine Lösung des Syrien-Konflikts Assad mit einbezogen werden müsse. Das würden die Syrer selbst entscheiden müssen, sagte er. Man muss auch vermuten, dass Tillerson selbst wenig Handlungs- und Verhandlungsspielraum hat, weil Donald Trump die Fäden ziehen will, aber noch unentschlossen ist.

Außenminister Çavuşoğlu machte klar, dass es große Konflikte mit den USA gibt. Die Türkei fordert die Auslieferung des Predigers Gülen, der für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird. Und natürlich gibt es das Problem der Zusammenarbeit der USA mit den syrischen Kurden, die von der Türkei als Terrororganisationen eingestuft werden.