"Auch mit halbem Kopf kann ein Soldat glücklich sein"
Soldaten-Veräppelung vor hundert Jahren - polemisch präsentiert aus aktuellem Anlass von Bundespräsident Gaucks Rede
Wir leben, wie uns der evangelische Theologe und Bundespräsident Joachim Gauck dieser Tage aufklärt, in einer "glücksüchtigen Gesellschaft". Man hält nicht mehr viel vom Opfer und ist entsetzt über Soldatensärge aus Kriegseinsätzen, die doch (mit einer Ausnahme) alle Bundestagsparteien befürworten. Richtig gebrauchen kann man ein solches Volk für höhere Weihen noch nicht. Irgendetwas müssen die Menschen bei den Ideen der Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika falsch verstanden haben. Sie nehmen heute tatsächlich das unveräußerliche Recht, zu leben und glücklich sein zu wollen, für sich in Anspruch.
Vor solchen revolutionären, ja pflichtvergessenen Vorstellungen von "Leben" und "glücklich sein" hat schon der preußische Staatsprotestantismus im Vorfeld deutscher Kriege stets zu warnen gewusst, und der hiesige Staatskatholizismus stand ihm darin spätestens ab 1900 in nichts nach.
Wer die geistigen Grundlagen der Pastorenpredigt für Opfersinn und wider die Sucht nach Glück präzise erkunden möchte, dem empfehle ich unbedingt das Buch eines befreundeten evangelischen Theologen: "Herbert Koch: Der geopferte Jesus und die christliche Gewalt" (Düsseldorf 2009). Herbert selbst votiert freilich für einen Gott, der seine Sonne über "Gute und Böse" scheinen lässt, herausquellende Soldatendärme verabscheut und die Menschen - ähnlich wie einst die subversiven bürgerlichen Revolutionäre der USA - zum Glücklichsein anstiftet. Wo kämen wir hin, wenn womöglich so ein Pastor bei uns Bundespräsident würde?
Nun hat der Chor der regierungsfähigen Parteien dem amtierenden Bundespräsidenten Joachim Gauck schon einhellig Beifall gespendet für seine jüngsten Auslassungen. Bei den regierungsfähigen Oppositionsparteien fand man die Rede von einer "glücksüchtigen Gesellschaft" zwar nicht so hilfreich, aber ansonsten wurde dem Staatsoberhaupt bescheinigt, beim Thema "Krieg" wirklich einen wunden Punkt der Gesellschaft getroffen zu haben. (Also doch: mehr Hingabe, Ihr lieben Leute!) Den Menschen müsse man allerdings auch richtig erklären, warum oder wofür ihre Angehörigen in Auslandseinsätzen der Bundeswehr bisweilen ihr Leben zu opfern haben und dann gänzlich tot in die Heimat zurückkehren.
Da wartet auf die herrschende Politikerkaste aber eine echte Herausforderung, nicht nur bezogen auf den Kriegsschauplatz Afghanistan. Die Argumentationskunst müsste ja schon die Höhen der Alchemie erklimmen, die aus "Sch….." bekanntlich Gold machen kann. Vielleicht sollte man zuvor doch lieber erkunden, ob sich die christliche Kriegsopfertheologie vom wahren Glück und suchtfreien Leben nicht auch hierzulande noch einmal reanimieren lässt?
Hollywoods Kriegskino (Der Schatten des Kreuzes) hat wirklich sehr viele hochkarätige Produktionen aufzuweisen, die bei der emotionalen Unterstützung eines solchen Projektes große Dienste leisten können. (Auf Verstandeskräfte, die ja außerdem mit den subversiven Lebensglücksvorstellungen der US-Revolutionäre vom 4. Juli 1776 gefährlich eng zusammenhängen, setzt doch bei der Durchsetzung von Politik heutzutage kein Mensch mehr!) Sie halten diesen Vorschlag für völlig unrealistisch? Warten Sie ab, es kann alles viel schneller wieder so kommen wie in alten Zeiten, als man denkt. Der Anfang für eine zeitgemäße preußische Pastorenpredigt ist jedenfalls schon mal gemacht.
Kriegsgegner, die sich in ihrer hohen Moral sonnen und das "Feindbild Soldat" brauchen
Bevor ich weiter unten den Telepolis-Lesern einen schier unglaublichen Text-Fund zum Thema "Soldatenglück" präsentiere, möchte ich in meiner Polemik auch noch einige Antimilitaristen und Pazifisten bedenken, mit denen ich zum Teil über eine gemeinsame Mitgliedschaft in Friedensorganisationen verbunden bin. Die Fraktion jener Kriegsgegner, die sich in ihrer hohen Moralität sonnen wollen und deshalb das "Feindbild Soldat" in existentieller Weise brauchen, erweist sich nämlich noch immer als resistent gegenüber notwendigen Lernprozessen.
Kriege werden im Dienste machtvoller Interessenskomplexe von Parlamentariern und Regierungsmitgliedern in feinen Anzügen oder Kleidern geführt, nicht von befehlsempfangenden Soldaten. Wer seine Redemanuskripte auf Friedensveranstaltungen mit erregten und billig zu habenden Attacken auf Soldaten würzt, arbeitet für die Verschleierung dieser einfachen Wahrheit! Im moralistischen Kindergarten will man wissen, dass ja schließlich heute keiner mehr gezwungen wird, den Soldatenrock anzuziehen. Als Pazifist, der in aufgeklärten und linken Traditionen steht, weiß man hingegen um biographische, psychische und sozioökonomische Bedingungen der Militärrekrutierung.
Wer die Bewegung gegen den Vietnam-Krieg der USA und deren Erfolge auch nur im Ansatz verstanden hat, wird die historische Erfahrung des Bündnisses von Friedensbewegten und Soldaten nie wieder verdrängen. Die Friedensbewegung sollte viel mehr Plakate von Soldatensärgen zeigen. Aber sie sollte gleichzeitig noch mehr paradoxe Bildbotschaften der Solidarität mit Soldaten und ihren Angehörigen ins Land schicken - Botschaften, die niemand von ihr erwartet und die doch gerade jene Einsicht vermitteln würden, die die Mächtigen der Politik fürchten: Die einzigen Anwälte, die Soldaten auf diesem Globus haben, sind die Gegner des Krieges, die zugleich ja auch die einzigen Anwälte der Opfer von Soldaten sind!
Die Bundestagsfraktion "Die Linke" war mit ihrem Antrag "Für eine kostenfreie und umfassende Betreuungskommunikation im Einsatz" vom Februar dieses Jahres durchaus nicht schlecht beraten!
Wer als Pazifist Krieg gegen Soldaten führt, ist dumm und macht sich obendrein zum Gehilfen des Kriegsapparates. Pazifisten müssen natürlich mit allen geeigneten Mitteln vor einer Beschäftigung bei Kriegsministerien und anderen kriegsdienstleistenden, todbringenden Sektoren warnen. Kein denkender Mensch kann beim vergleichenden Blick auf die realexistierenden Budgets für Militär und für sogenannte "Hilfe" auf die Idee kommen, dass Kriegseinsätze von einer Politik getragen sind, die menschliches Elend minimieren will. Kurt Tucholskys klare Benennung des Soldatenberufs aus der Weltbühne von 1931, die sich der Sache nach schon bei frühen Kirchenvätern findet, bleibt außerdem alternativlos.
Zu den Soldaten, die mich in der Vergangenheit aufgrund meiner immerwährenden Friedenstaube an der Kleidung angesprochen haben, gehört auch ein junger Afghanistan-Veteran mit abgründigen Erfahrungen. Er versuchte mir zu vermitteln, was es heißt, mit Schießbefehl in ein Gebäude einzudringen. Es ging alles so schnell, und mit den amtlichen Informationen konnte er das Vorgefundene nicht zusammenreimen. Er hatte bis dahin nicht gewusst, wie es ist, wenn man auf Menschen schießt. Es folgte … ein Vierteljahr in der Psychiatrie. Dieser Soldat hat in meinen Armen geweint. Warum erzählen die Pastoren, die auf Staatskosten mit in die Kriege ziehen, nicht Erfahrungen dieser Art als "Wort zum Sonntag"?
Ich kann es auch als Pazifist nicht anders sehen: Soldaten und Soldatinnen sind meine Menschengeschwister! Sie haben ein Recht, glückliche Menschen werden zu können. Und sie haben ein Anrecht darauf, dass Politiker mit hohem Gehalt und höchstem Schutz vor jeglicher Gefahr für Leib und Leben nicht über die sinnlose Hingabe IHRES Lebens predigen oder befinden.