Auf dem Genderticket ins Teilzeitparadies
Die Stadt München beschäftigt 555 Teilzeitführungskräfte, Telepolis hat eine davon gesprochen
Donnerstag, 9 Uhr 15, Anruf bei der Pressesprecherin des Personalreferates der Stadt München, Frau Isolde Schwarz-Krieger. Anrufbeantworter. Schade, denn ich wollte sie zu einem Bericht befragen, den Personalreferent Dr. Thomas Böhle einen Tag zuvor an den Stadtrat gegeben hat. Die Süddeutsche hatte mit der Überschrift "Pause vom Chef-Sein" im Lokalteil mein Interesse an diesem Bericht über die Erfolge der Teilzeitarbeit für Führungskräfte in der Verwaltung geweckt.
Ich rufe im Büro von Dr. Böhle an und werde von einer freundlichen Frau belehrt, dass die Kernarbeitszeit erst um 9 Uhr 30 beginnt. Wann sie ende, frage ich. "Das darf ich Ihnen nicht sagen. Das sollten Sie unsere Pressesprecherin fragen." Bereits um 9 Uhr 35 ruft mich die Pressesprecherin zurück. Um 15 Uhr ende die Kernarbeitszeit, darf sie mir sagen. Ich rechne: Fünf Stunden 25 Minuten Kernarbeitszeit abzüglich der Mittagspause von einer Stunde. Das macht vier Stunden 25 Minuten.
Beeindruckendes Studienergebnis: Bessere Work-Life-Balance
Teilzeitarbeit, so ein oft geäußertes Vorurteil, führe gerade bei Führungskräften zu schlechten Ergebnissen. Nicht so in der Verwaltung der bayerischen Landeshauptstadt. Dort versehen bereits 555 Führungskräfte ihren Dienst für das Gemeinwohl in Teilzeit, 238 gar mit einer Stundenzahl von unter 30 Stunden pro Woche.
Die innovativen Vorreiter dieser Beschäftigungsart berichten aus einem Workshop des Personalreferats München von einer deutlich verbesserten "Work-Life-Balance". 71 Prozent bringen nun Beruf und Familie besser unter einen Hut. Auch, so wird gelobt, gäbe es kein "Entweder-Oder zwischen Führen und anderen Verpflichtungen". Längere Erholungsphasen, so die Teilnehmer der Studie, führen nämlich zu höherer Effizienz. Und Weiterbildung werde so einfacher. 80 Prozent dieser innovativen Vorreiter sind Frauen.
Zitat eines Teilnehmers der Studie: "Man hat mehr vom Leben." Die Aufgaben könnten nun besser nach "Kompetenz und Neigung" aufgeteilt werden. Eine teilnehmende Führungskraft nannte als Vorteil der Teilzeitarbeit, dass man nun nicht mehr an Arbeitstagen krank sein müsse, sondern die Krankheit entspannt an "freien Tagen" ausleben könne.
Auch nach Nachteilen wurden die Betroffenen gefragt. Dabei wurde die "längere Einarbeitungszeit" für Teilzeitarbeit bemängelt. Man habe zudem weniger Zeit für "kollegiale Kontakte". Besonderes Ärgernis für rathäusliche Part-Time-Chefs: "Vollzeitnahe Teilzeitarbeit = Ausbeutung/Selbstausbeutung".
Als wichtigstes Ergebnis des Workshops für die Umsetzung von noch mehr Teilzeitarbeit steht unter dem Punkt "Organisation" nur ein kategorischer Imperativ: "Aufgabenvolumen an Arbeitszeit anpassen."
Organisierte Minderleistung mit höchsten philosophischen Weihen
Damit die edle Teilzeitarbeit hochbezahlter Damen nicht zu sehr durch triviale Motive wie Freizeit, Weiterbildung und Erholung beschmutzt wird, hat Personalchef Dr. Böhle eigens einen Genderphilosophen als Gutachter engagiert. Dr. phil. Michael Hirsch legt deshalb eine fundierte und sehr überzeugende Begründung für die gesellschaftsphilosophische Notwendigkeit der Teilzeitarbeit insbesondere für weibliche Führungskräfte vor.
Sie bedeute nämlich nicht weniger als die "Rückgewinnung der politischen ebenso wie der kulturellen Souveränität der Gesellschaft" (Zitat) gegenüber dem Primat der Wirtschaft. Über das hohe Ziel der Teilzeitarbeit weiß Dr. Hirsch, der sich milieugerecht als "Vertretungsprofessor" bezeichnet: "Es ist die Rückgewinnung der politischen und kulturellen Freiheit in der Gesellschaft."
Die seiner Ansicht nach etwa durch Angebote für Kinderbetreuung geförderte, "androzentrische" (Hirsch) Steigerung weiblicher Erwerbstätigkeit nun sieht Genderphilosoph Hirsch als "Kolonialisierung" und "Kommerzialisierung" der Lebenswelt an. Deshalb, so Hirsch, dürfe nicht die weibliche Arbeitszeit verlängert, sondern müsse die männliche Arbeitszeit verkürzt werden. Wer sich mit den Begründungen für ein bedingungsloses Grundeinkommen, zumindest aber für ein grundloses Bedingungseinkommen beschäftigt hat, dem werden diese Klänge bekannt vorkommen.
Als Motto stellt Dr. Hirsch ein Zitat von André Gorz bereit: "Weniger arbeiten, damit alle arbeiten und besser leben können." Zumindest sein dreiseitiger Text steht nicht unter dem Verdacht selbstausbeuterischer "androzentrischer" Überarbeitung. Und dass die so geadelten Führungskräfte dank der Studie nun getreu Gorz noch besser arbeiten und leben können, darf als gesichert gelten.
Das Arbeiten der Anderen
In der Regel ist es mit dem Arbeiten so, dass die Minderarbeit des einen die Mehrarbeit des anderen ist. Allerdings besitzen viele gewerbliche Führungskräfte den Status "AT", also außertariflich beschäftigt. Damit sind für sie - im Gegensatz zu tariflichen Arbeitnehmern - oft keine festen Wochenarbeitszeiten vereinbart - und damit auch keine Teilzeitarbeit zu erwarten.
Laut einer Studie des DIW waren im Jahre 2010 bereits 30 Prozent der 4 Millionen in der Privatwirtschaft angestellten Führungskräfte Frauen. Dass diese Frauen ausgerechnet in München, wo sie in der Regel 75 Prozent ihres Einkommens als Steuern, Sozialabgaben, Verdi-Beiträge, Kindergartengebühren, Rundfunkgebühr, MVG-Jobticket, Miete und Strom abführen müssen, wo sie mit hochmotivierten und qualifizierten Männern um den Job konkurrieren, dass diese fleißigen Heldinnen der Leistungsgesellschaft die Teilzeitfreuden ihrer Geschlechtsgenossinnen im Dienste der Stadt als revolutionären Ausdruck der Rückgewinnung von Freiheit und Souveränität des Arbeitslebens ansehen, ist wohl eher unwahrscheinlich.
10.000 Euro hat der Münchner Stadtrat bewilligt, um die Kunde vom Erfolg der Teilzeit-Führungskräfte in Broschüren unters Volk zu bringen.
Vorbildlich, so Dr. Böhle, sei München in dieser Frage. Vorreiter der Innovation. Dabei hatte ausgerechnet Böhle die gleichen Erfolgsmeldungen samt Broschüre ("Teilzeitarbeit - aktuelle Informationen") vor exakt 10 Jahre bereits einmal produziert. In einer Anfrage der Stadträte Guido Gast und Robert Brannekämper vom 30.10.2003, die den Titel Link auf ./40124_1.pdf trägt, wurde Böhle gebeten, unter anderem über die Verteilung der Teilzeitjobs in den Besoldungsstufen Auskunft zu geben.
Bereits 2003 arbeiteten nämlich 15,1% der Führungskräfte der Stadtverwaltung in Teilzeit. Für Menschen, die ihr Leben als Selbständige oder Angestellte in jenen Teilen der Wirtschaft verbracht haben, in denen noch so etwas wie "Markt" oder "Konkurrenz", zumindest aber "Leistung" und "Qualität" gilt, mag der Unterschied von Vollzeit zu Teilzeit in der Münchner Stadtverwaltung möglicherweise als nicht sehr signifikant angesehen werden.
Neben der zwanzigjährigen Baustelle "Mittlerer Ring", an der die Autofahrer täglich verzweifeln, neben den desolaten S- und Regionalbahnen, deren Aufsichtsratsvorsitzender Oberbürgermeister Ude ist, ist die Landeshauptstadt nicht einmal in der Lage (Wir sind alle Griechen), die vom eigenen Planungsreferat geforderten 1.800 Sozialwohnungen pro Jahr zu bauen.
Dass die Mehrheit der Damen und Herren von der Verwaltung sich bereits seit Dekaden in Teilzeit befindet, ist für Münchner also keine Neuigkeit. Dass in der Teilzeit für Chefs jedoch die Rückgewinnung der kulturellen und politischen Freiheit der Gesellschaft gegenüber einer erbarmungslosen androzentrischen Vollzeitschinderwirtschaft liegt, darf als neue Erkenntnis gelten. Manch einer glaubte nämlich zu wissen, dass sich nicht nur in Wirtschaft und Verwaltung die Chefs schon immer ihren schönen Lenz auf Kosten der Gesellschaft machten.
"Mein Leben besteht nicht nur aus Arbeit"
Telepolis sprach mit Frau Dr. Ruth Mächler, Führungskraft in der Personalentwicklung der Stadt München. Frau Mächler wurde von der Pressesprecherin des Personalreferats der Stadt München als Testimonial für die langfristige Erfahrung mit Teilzeitarbeit von Führungskräften vorgeschlagen.
Die 1968 geborene Soziologin, die in Bamberg über Familienforschung promovierte, arbeitete bereits im Planungsreferat als Führungskraft in einer Abteilung mit 14 Mitarbeitern von Anfang an nur mit 25 Wochenstunden. Sie wirkte bisher nur als Führungskraft in Teilzeit. Als Teilnehmerin des Workshops und des Hearings im Stadtrat lauschte sie auch dem äußerst lesenswerten Vortrag des Genderphilosophen Dr. Michael Hirsch.
Dr. Hirsch hat die Teilzeitarbeit für Führungskräfte als Rückgewinnung der Souveränität gegen das Primat der Wirtschaft bezeichnet.
Ruth Mächler: Ich fand Herrn Hirschs Vortrag sehr gut. Ich empfinde das auch so. Ich habe eine anspruchsvolle Tätigkeit, aber mein Leben besteht nicht nur aus Arbeit. Ich wünschte, unsere Gesellschaft würde sich in diese Richtung entwickeln.
Wie viele Stunden arbeiten Sie?
Ruth Mächler: 20 Stunden.
Wieviel verdienen Sie?
Ruth Mächler: Das ist eine sehr persönliche Frage. Ich verdiene genug, um gut zu leben. Mein Mann hat ebenfalls einen Teilzeitjob mit 20 Stunden. Das ist ein Luxus, den nicht jeder hat. Ich bin mir bewusst, dass ich gesellschaftlich in einer privilegierten Position bin. Das ist nicht für jeden möglich.
Für wen denken Sie denn, dass Sie Ihre Leistung erbringen?
Ruth Mächler: Für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt München. Ich tue das in zweiter Reihe. Ich sorge dafür, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine gute Leistung erbringen. Wir sind uns bewusst, dass wir mit Steuermitteln arbeiten und deshalb sparsam sein müssen.
Wer macht denn die anderen 20 Stunden?
Ruth Mächler: Das war keine volle Stelle. Meine Leistung ist so organisiert, dass die Aufgaben in 20 Stunden erfüllt werden können.
In der Studie stand ja auch als Empfehlung: "Aufgabenvolumen an Arbeitszeit anpassen."
Ruth Mächler: Genau. Entweder eine Stelle teilen, oder aber das Aufgabenfeld von vorneherein so organisieren, dass es auf eine Teilzeitstelle passt.
Frau Dr. Mächler, vielen Dank für das Gespräch!