Auf den Spuren von Max Schmeling: "Big Bang" in Riad

Agit Kabayel (rechts) im Kampf
Der Boxer Kabayel kämpft am Samstag um die WM. Die perfekte Geschichte würde ihren Höhepunkt erreichen: von großen Träumen und noch größerem Geld in Riad.
191 Zentimeter groß, 203 Zentimeter Reichweite, Oberarme wie Bahnschranken, muskulös und immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Er, der Cousin des Deutschrap-Stars KC Rebel, sagt Sätze mit Stringenz, am liebsten lässt er jedoch im Seilgeviert die Fäuste sprechen.
Agit Kabayel, früher Kampfname "Der Dicke", ist die deutsche Boxhoffnung. Ihm winkt ein Kampf gegen den ukrainischen Klassenprimus Oleksandr Usyk. Doch dass er diesen Weg gehen würde, war nicht vorgezeichnet.
Ursprünglich zog es den Jungen aus dem Ruhrpott, seiner Heimat Bochum-Wattenscheid, auf den Rasen. Fußballschuhe statt Faustbandagen. In seinem Zimmer hing kein Poster von Muhammad Ali, sondern von Ronaldo, dem brasilianischen Kugelblitz wohlgemerkt, nicht von seinem millionenschweren Namensvetter aus Portugal.
Am Samstag ist Kabayel als einziger Vertreter unter deutscher Flagge Teil eines Kampfabends der Extraklasse, finanziert von saudischen Petrodollars, eingebettet in die Strategie Saudi Vision 2030. Im Hauptkampf duellieren sich im Rematch die Nummer vier und fünf der "Pound-for-Pound"-Weltrangliste, Artur Beterbiev und Dimitri Bivol.
Auch die anderen Paarungen haben es in sich: Callum Smith, Daniel Dubois oder Joseph Parker versprechen Boxsport auf Weltniveau, in der Wüste wird seit Jahren sportlich geklotzt.
Dass Kabayel nicht zum ersten Mal in dieser Reihe auftaucht, hat er hart erarbeitet. Sein Weg ist verschlungen, das Ziel immer vor Augen. Von dem ihn nur noch ein 130 Kilogramm schwerer chinesischer Riese trennt.
Von der Kirmes auf die Weltbühne
Er könnte der erste deutsche WBC-Champion seit 90 Jahren werden. Dabei begann seine Karriere aus Versehen. Ein Video des damals 17-Jährigen in einer Kirmes-Boxbude, in dem er einem weitaus erfahreneren Mann die Stirn bot, schlägt auf Facebook hohe Wellen.
Das Video erreicht auch Sükrü Aksu aus Wuppertal: Aksu, Boxtrainer mit Weitblick und Gespür für Talente, lädt den Jungen ein. Eine langjährige Freundschaft und Partnerschaft entsteht. Noch heute steht Aksu ausnahmslos bei jedem Duell in der Ecke des Deutsch-Kurden.
Kabayel kommt von unten. Seine Geschichte, die eines Underdog. Der Vater: erst Metallschneider, dann Imbissbudenbesitzer. Kabayel selbst ist gelernter Gleisbauer. Mehrgenerationen-Malocher, aus dem türkischen Pazarcik eingewandert. Die Kindheit hart. Die Dönerbude, sein Zuhause.
Im Gegensatz zu den 300 Amateurkämpfen eines Usyk steigt Kabayel direkt ins Profigeschäft ein. Seine Bilanz ist bisher makellos: 25 Kämpfe, 25 Siege, 17 K.-o.-Siege.
Doch es gab auch Rückschläge: Mit seinen ersten Kämpfen verdiente er ein paar müde Hunderter. Kaum genug zum Leben. Sein Durchbruch, nach einem Sieg gegen den Klitschko-Gegner Chiara. Existenzangst, Steuersorgen, nur zwei Kämpfe in drei Jahren, der Horror für einen Mann in seiner sportlichen Blütezeit.
Hünen als Gegner
Doch diese Zeiten sind vorbei. Seine letzten beiden Kämpfe bestritt Kabayel in der saudi-arabischen Hauptstadt mit Erfolg.
Seine Gegner, der Mutant Makmudov aus Russland und der bullige Sanchez aus Kuba, zwei K.-o.-Schläger. Kabayel stahl insgeheim den Hauptkämpfen die Show. Immer wieder schickte er seine Gegner vorzeitig auf die Bretter.
Nur noch Zhilei Zhang trennt ihn von einem Kampf, sicherlich einem Hauptkampf und millionenschweren Zahltag, gegen Usyk.
Der 32-Jährige trifft auf einen "chinesischen Koloss". Kabayel ist 20 Kilogramm leichter und einen halben Kopf kleiner. "Big Bang", so der Kampfname des aus der Provinz Henan stammenden Zhang Zhilei, ist mehrfacher Olympiasieger und stoppte zuletzt Deontay Wilder spektakulär.
Beide scherzten vor ihrem Kräftemessen: Kabayel sprach vom "nächsten Monster", Zhang überreichte Kabayel in der Tradition des chinesischen Neujahrsfestes einen roten Umschlag, um ihm Glück zu wünschen.
Eine Prognose ist schwierig: Es ist ein echter 50:50-Kampf. Zhang hat schon gegen härtere Kaliber gekämpft, Kabayel war Trainingspartner von Fury, Wilder und Usyk. Kondition und Technik sprechen für den deutschen Hoffnungsträger.
Zhang hingegen verfügt über eine brachiale Schlagkraft, einen Reichweitenvorteil und seine Erfahrung lässt ihn auch in hitzigen Phasen cool bleiben. Das Fachmagazin Boxsport prognostiziert, dass Kabayel die ersten Runden überstehen muss, wenn Zhang langsamer und müder wird, werden Kondition und Technik den Ausschlag geben.
Sieger Saudi-Arabien
Ein Sieger dagegen steht fest: Neben dem diplomatischen Coup rund um die Gespräche zwischen den USA und Russland in Riad trumpft das von der Al-Saud-Familie geführte islamische Königreich seit einigen Jahren mit sportlichen Großereignissen auf.
Dahinter steckt System: Die Sport- und Charmeoffensive ist eingebettet in eine langfristige Strategie zur politisch-ökonomischen Transformation des konservativen Staates.
Unter der Prämisse, dass die endlichen Ressourcen, die den saudischen Staat und seine Millionen Staatsbediensteten ernähren, irgendwann versiegen werden, wird unter dem Schlagwort "Vision 2030" im Morgenland an morgen gedacht.
Das System wurde durch eine detaillierte Analyse des dänischen Portals "Play the Game" aufgedeckt: gedeckt durch den saudischen Staatsfonds PIF, der vorwiegend vom Ölkonzern Saudi-Aramco gespeist wird, können mit enormen Summen an Gehältern und Gagen gelockt werden. Fußball-WM, Formel 1, UFC: kaum ein Top-Event ohne saudische Beteiligung.
Lesen Sie auch
Streit um Geschlechtsidentität: Olympiasiegerin Khelif wehrt sich gegen Bericht über Gutachten
Mike Tyson vs. Jake Paul: Showveranstaltung oder Todeskampf?
Biologin zu Genderstreit bei Olympia: "Beim Sport geht es um den Körper und nicht um Identifikation"
Angebliche XY-Superfrauen: Wie ein gefährlicher Mythos verteidigt wird – und von wem
Olympia 2024: Wie woke-queere Ideologen den fairen Sport infrage stellen
Aber trägt der westliche Sport zum demokratischen Wandel bei? 3 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze, Tendenz steigend, lassen Zweifel aufkommen. Klar ist, dass die OPEC-Macht extrem solvent ist: 5 Milliarden Euro werden in den globalen Sport investiert, allein der Portugiese Ronaldo kassiert bei Al-Nasr 190 Millionen Euro Jahresgehalt (!).
Laut der westlich-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Amnesty International bedient sich Saudi-Arabien des "Sportswashing", eines Machtinstruments, um über positive Schlagzeilen schmutzige Wäsche zu waschen. 910 aktuelle Sponsoring-Beteiligungen lassen den umfassenden Zugriff erahnen.
Und am Wochenende? Wermutstropfen für deutsche Boxfans: Der Kampfabend ist nur beim Bezahlsender DAZN zu sehen: zum stolzen Preis von 25 Euro. Die glanzvolle Maske-Klitschko-ARD Boxzeit ist vorbei.