Auf der Suche nach dem deutschen Corbyn
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Die Linke sieht eine Chance auf einen Wahlerfolg. SPD und Grünen möchten, dass sie aufgibt, was sie von ihnen unterscheidet
Die Reformlinke in Deutschland hat periodisch neue Idole. Sie sind immer aus dem Ausland und ihre Verfallszeit ist kurz. Alexis Tsipras war solange ein Vorbild, mit dem die Linke Hoffnung verbreiten wollte, bis er sich dem wesentlich von "Deutsch-Europa" erzwungenen Austeritätsdiktat unterwerfen musste. Hier wird ein Paradox der Reformlinken deutlich.
Weil in einem Land, das als EU-Hegemon auftritt, die Linke aus historischen und aktuellen Gründen besonders schwer Fuß fassen kann, macht man sich Hoffnung und zieht Inspiration von anderen Ländern. Aber der Linken in Deutschland gelingt es dann nicht einmal, die deutsche Politik daran zu hindern, dass sie diese Reformhoffnungen regelmäßig austritt, wie sich am Beispiel Griechenland zeigt. Zwischenzeitlich waren spanische Podemos-Politiker zum linken Hoffnungsträger avanciert und seit einigen Tagen nimmt Jeremy Corbyn diese Rolle ein.
Der britische Sozialdemokrat hat schließlich eine beachtliche Aufholjagd bei der Wahl absolviert, die weder seine Freunde noch seine Gegner für möglich gehalten haben. Nun wird auch in der SPD gerne auf Corbyn verwiesen, um ihre Anhänger in dem Glauben zu halten, dass auch in Deutschland die Wahlen noch nicht gelaufen sind.
Nur werden die Sozialdemokraten mit dem britischen Politiker nicht so recht glücklich. Schließlich sind seine Positionen eher mit dem unter Schröder erfolgreich marginalisierten Lafontaine-Flügel vergleichbar. Das hat auch dessen neue politische Heimat erkannt.
Die Linke sieht daher gerade im Wahlerfolg von Corbyn einen Beweis dafür, dass man eben nicht das Lied Wirtschaftsliberalismus singen muss, um gewählt zu werden. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Sahra Wagenknecht, die am konsequentesten die Lafontaine-Linie in der Partei vertritt, sich nun positiv auf Corbyn bezieht.
Sie hatte die große Mehrheit auf dem Hannoveraner Parteitag auf ihrer Seite, als sie bei ihrer Abschlussrede in den Saal rief, ihre Partei würde einen Corbyn sofort mit zum Kanzler wählen, aber sie habe keine Möglichkeit, aus einem Martin Schulz einen Jeremy Corbyn zu formen. Das ist nun keineswegs eine Absage an ein Bündnis mit der SPD und den Grünen, wenn es rechnerisch nach den nächsten Wahlen möglich ist.
Es ist eher eine Aufforderung an die SPD, sie solle, wie kurz nach der Nominierung von Schulz wieder mehr nach links blinken und selber auch ein Bündnis mit der Linken nicht ausschließen. Diese kurze Episode war nach der Saarland-Wahl beendet. Danach hat sich Schulz immer als rechter Sozialdemokrat präsentiert, mit dem es weder in der Innen- noch in der Sozial- oder Außenpolitik Experimente gibt.
Nun hat sich die Linke auf dem Parteitag für eine Gerechtigkeitswende eingesetzt (vgl. Linke: Hartz-IV abschaffen, Mindestsicherung von 1.050 Euro einführen), wozu ein Ende der als Agenda 2010 bekannten Austeritätspolitik ebenso gehört wie eine armutssichere Altersrente und ein Mindestlohn von 12 Euro.
Wenn Sahra Wagenknecht polemisch vom Ende der "Betrugsrenten" spricht, die nur die Versicherungen reich machen, wird der Graben zur SPD deutlich. Schließlich ist der Namensgeber dieser Riesterrenten ein immer noch angesehener Sozialdemokrat. Außenpolitisch positionierte sich die Linke gegen Kriegseinsätze und forderte den Abzug der Bundeswehr aus den Krisenherden dieser Welt.
Das aber steht dem Interesse des deutschen Imperialismus fundamental entgegen. Schließlich wurde die späte symbolische Entnazifizierung der Bundeswehr genau deshalb veranstaltet, um überall in der Welt scheinbar ohne historische Altlasten auftreten zu können. Wenn die Linke also wirklich irgendwie an einer Regierungskoalition beteiligt ist, müsste sie sich bedingungslos hinter Bundeswehr, Nato und EU stellen.
Wagenknecht als Hindernis für eine Selbstaufgabe der Linken in der Außen- und Sozialpolitik
Deshalb hatte der Taz-Kommentator Stefan Reinicke im Vorfeld des Linkspartei-Tags noch einmal den Fokus auf Wagenknecht gerichtet, die zumindest verbal deutlich macht, dass die Linke nicht über jedes Stöckchen springt, das ihr die SPD hinhält.
"Die Linkspartei bleibt derzeit unter ihren Möglichkeiten. Eigentlich gäbe es angesichts der in die Mitte strebenden Grünen und der unsicher wirkenden Sozialdemokraten Raum für eine entschlossene egalitäre, undogmatische Kraft. Doch die 8-Prozent-Partei kultiviert einen kuriosen moralischen Alleinvertretungsanspruch für das Volk und ist in Empörungsroutinen erstarrt. Solange sie den Eindruck vermittelt, dass ihr Rechthaberei wichtiger ist als politische Erfolge, ist sie unattraktiv für alle, die sich nach entschlossener linksliberaler, egalitärer Realpolitik sehnen", schreibt Reinicke.
Dabei lässt er keinen Zweifel, gegen wen sich seine Intervention richtet:
Wagenknechts überlebensgroße Rolle ist nur eine Seite der inneren Selbstblockade des politikfähigen Teils der Partei. Die kreative Fraktion der Reformer um Jan Korte und Stefan Liebich ist seit Jahren mit Katja Kipping und deren schmalem Anhang über Kreuz. Politisch ticken Reformer und Kipping in vielem ähnlich. Doch es gibt viele nie vernarbte Wunden aus vergangenen Machtscharmützeln. So ist das kreative Zentrum der Partei gelähmt. Es müsste Kipping, die Antennen ins grüne Milieu hat, ebenso umfassen wie pragmatische Westlinke, die sich von der Hassliebe zur SPD befreit haben, und jenen Teil der Ostreformer, die mehr wollen als bloß Apparate verwalten. Ein solches Bündnis könnte den Beton aufsprengen - und politikunfähige Fundis vertreiben.
Stefan Reinicke
Hier wird formuliert, was sich die Reformer von Linken, SPD und Grünen wünschen: eine Linkspartei, die auch noch das letzte Stück überwindet, dass sie von den anderen beiden Parteien unterscheidet und die sich dadurch mittelfristig überflüssig macht.