Auf lange Sicht schädlich: Nato-Beitritt Finnland und Schweden
Seite 2: Ein "lahmendes, ehrloses Gefolge": Wie Europa seine Selbständigkeit einbüßt
- Auf lange Sicht schädlich: Nato-Beitritt Finnland und Schweden
- Ein "lahmendes, ehrloses Gefolge": Wie Europa seine Selbständigkeit einbüßt
- Auf einer Seite lesen
Die Nato-Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands ist daher für ihre Sicherheit nicht erforderlich. Sie bringen selbst auch nichts in die Nato ein. Sollte der Krieg in der Ukraine – Gott bewahre – zu einer Eskalation des Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und Russland führen, werden sie in jedem Fall an der Seitenlinie stehen.
Was das Engagement der Nato außerhalb Europas betrifft, so ist einer der Gründe, warum die europäischen Nato-Mitglieder die neue Konfrontation mit Russland so begeistert aufgenommen haben, der, dass sie dadurch einen Vorwand haben, um die Entsendung von Truppen in Gebiete (wie Westafrika) zu vermeiden, in denen sie möglicherweise tatsächlich kämpfen und sterben müssen und wo die Bedrohung durch islamistischen Extremismus und Massenmigration eine echte Gefahr für die innere Sicherheit Europas und Skandinaviens darstellt.
Mit dem Nato-Beitritt wirft Finnland jede noch so kleine Möglichkeit weg, eine Vermittlerrolle zwischen Russland und dem Westen zu spielen, nicht nur, um zur Beendigung des Krieges in der Ukraine beizutragen, sondern auch, um irgendwann in der Zukunft eine umfassendere Aussöhnung zu fördern. Stattdessen wird Finnland den letzten Abschnitt einer neuen Grenze aus dem Kalten Krieg quer durch Europa fertigstellen, die wahrscheinlich jedes Regime überdauern wird, das schließlich auf das von Putin in Russland folgt.
Der Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato kann auch als der symbolische Moment angesehen werden, in dem die europäischen Staaten insgesamt jeden Traum von der Übernahme von Verantwortung für ihren eigenen Kontinent aufgegeben und sich mit der völligen Abhängigkeit von Washington abgefunden haben.
Diese Abhängigkeit wird jedoch (wie bei Schweden während des Kalten Krieges) zweifellos durch ohnmächtiges europäisches Jammern und Knurren überdeckt werden, wenn ein neuer Präsident à la Trump nicht einmal mehr vorgibt, höflich und diplomatisch zu sein.
Der ehemalige finnische Ministerpräsident Alexander Stubb schrieb am Ende eines Kommentars in der Financial Times, der voller bitterer antirussischer Gefühle war (die zum Teil auf einer äußerst ungenügenden Kenntnis der Fakten beruhen):
Sicherheit ist kein Nullsummenspiel. Ich hoffe, dass auch das russische Regime das eines Tages begreifen wird. Es wird uns ermöglichen, wieder gute Beziehungen zu Russland aufzubauen. In der Zwischenzeit werden wir durch unseren Beitritt zur Nato dazu beitragen, die Sicherheit in Europa zu maximieren. Das ist nicht gegen jemanden, sondern für uns. Für uns alle.
Es ist dieselbe selbstgefällige Heuchelei, die die westliche Politik gegenüber Russland und die US-Politik gegenüber dem größten Teil der Welt durchzieht. Seit dem Ende des Kalten Krieges war die Politik der USA und der Nato gegenüber Russland in der Tat überwiegend ein Nullsummenspiel, und die europäischen Länder sind gehorsam hinterhergehinkt.
Finnland wird sich nun diesem lahmenden, ehrlosen Gefolge anschließen. Es ist unwahrscheinlich, dass die guten Beziehungen zu Russland jemals wiederhergestellt werden, egal welches Regime in Moskau an die Macht kommt.
Andererseits könnte die vollständige Verdrängung Russlands aus den europäischen Strukturen – lange schon das unverhohlene Ziel Amerikas und der Nato – das Land auf längere Sicht in eine völlige strategische Abhängigkeit von China bringen und die chinesische Supermacht bis an die östlichen Grenzen Europas heranführen. Das wäre eine ironische, aber nicht unverdiente Belohnung für die strategische Dummheit der Europäer. Man könnte es sogar amüsant finden – wenn man kein Europäer wäre.
Der Artikel von Anatol Lieven findet sich im englischen Original auf Responsible Statecraft. Übersetzung: David Goeßmann.
Anatol Lieven ist Senior Research Fellow für Russland und Europa am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Zuvor war er Professor an der Georgetown University in Katar und an der Abteilung für Kriegsstudien des King's College London. Er ist Mitglied des beratenden Ausschusses der Südasienabteilung des britischen Außen- und Commonwealth-Büros. Lieven ist Autor mehrerer Bücher über Russland und seine Nachbarländer, darunter "The Baltic Revolutions: Estland, Lettland, Litauen und der Weg zur Unabhängigkeit" und "Ukraine und Russland: A Fraternal Rivalry" (Eine brüderliche Rivalität).