Aufräumarbeiten im Erbgut - Synthetische Chromosomen für die Hefe

Saccharomyces cerevisiae. Bild: Mogana Das Murtey und Patchamuthu Ramasamy/CC By-SA-3.0

Forscher haben ein Drittel des Genoms der Bäckerhefe grundlegend überarbeitet

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Vor drei Jahren wurde erstmals ein Chromosom der Hefe künstlich im Labor erzeugt, nun kamen fünf weitere dazu. Forscher haben dabei die DNA-Sequenzen um acht Prozent gekürzt und die meisten Gene mit Markierungen versehen, um langfristig mehr über die Funktion und Evolution von Genomen zu erfahren.

Wenn Forscher etwas über das Genom lernen wollen, hilft das Entziffern der DNA-Sequenz nur bedingt weiter. Sie benötigen ein Modell, das sie kontrollieren und manipulieren können. Getreu dem Motto des Physikers Richard Feynman: "Was ich nicht erschaffen kann, verstehe ich nicht."

Für Viren und Bakterien gelang dies bereits vor einigen Jahren, und nun scheint auch das erste synthetische Genom einer kernhaltigen Zelle in Reichweite. Einen wichtigen Zwischenschritt veröffentlichte ein internationales Konsortium von über 200 Forschern kürzlich im Journal Science: Fünf der sechzehn Chromosomen der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae konnten im Labor erzeugt und in einen Hefestamm eingebaut werden. Zusammen mit einem bereits vor drei Jahren erzeugten Chromosom erhöht sich die Gesamtzahl auf sechs, ein Drittel des Erbguts der Hefe liegt damit nun in künstlicher Form vor.

Die Versuche verliefen bislang reibungslos. Der Einbau der synthetischen Chromosomen in lebende Zellen verursachte nur geringfügige Probleme, und auch das Wachstum der veränderten Stämme scheint kaum beeinträchtigt. Die Hefen scheinen das künstliche Erbgut vorbehaltlos zu akzeptieren.

Mehr Stabilität, weniger repetitive Sequenzen

Dies war so nicht unbedingt zu erwarten, da die Forscher mehr als nur eine getreue Kopie des Original erschaffen haben. Ihre Ambitionen gehen weit darüber hinaus: Unter dem Projektnamen Sc2.0 soll eine neue Version des Erbguts entstehen, die stabiler als die natürliche Variante ist - und zugleich tiefgreifende Manipulationen ermöglicht.

Vier Ziele stehen dabei im Vordergrund. Zuerst sollen die Chromosomen von Bereichen befreit werden, die durch ständige Wiederholungen gekennzeichnet sind. Diese repetitiven Sequenzen stammen von mobilen DNA-Elementen oder Transposons, die als "genetische Parasiten" gelten und die Stabilität des Erbguts gefährden. Etwa acht Prozent des Hefe-Genoms konnten dabei entfernt werden - ohne dass die Lebensfähigkeit der Zellen wesentlich beeinträchtigt war.

Transposons können sich frei im Genom bewegen, und als Ziel bevorzugen sie die Gene kleiner RNA-Moleküle, den sogenannten Transfer-RNAs. Transfer-RNAs werden für die Herstellung von Proteinen benötigt, ihre Gene können also nicht ersatzlos entfernt werden. Die Forscher wollen daher ein neues Chromosom schaffen, das diesen Genen einen neuen Platz bietet. Auch dies soll dazu beitragen, die Stabilität der übrigen Chromosomen zu erhöhen.

Beschleunigte Evolution, vom Zufall bestimmt

Ein dritter Eingriff erfolgt bereits im Hinblick auf eine spätere praktische Anwendung - den Einbau künstlicher Aminosäuren. Voraussetzung dafür ist eine freie Stelle im genetischen Code, die am einfachsten durch den Wegfall eines Stopp-Codons erzeugt werden kann. Drei redundante Stopp-Codons signalisieren im natürlichen Code den Abbruch der Protein-Herstellung, und eines davon soll nun vollständig aus dem Hefe-Genom entfernt werden. Wenn dieses Codon mit einer künstlichen Aminosäure verknüpft wird, wären Enzyme mit neuen Eigenschaften denkbar.

Praktische Anwendungen spielen jedoch nur eine untergeordnete Rolle, im Mittelpunkt des Sc2.0-Projekts steht die Grundlagenforschung. Diese definiert auch das zentrale Ziel: das Erbgut einer künstlichen Evolution zu unterwerfen. Alle Gene, die nicht essentiell für das Überleben der Hefe sind, werden bei der Neusynthese für eine spätere Eliminierung vorgemerkt. Dazu erhalten sie eine Bindungsstelle für das Enzym Cre-Rekombinase, welches Sequenzen herausschneiden und die losen Enden der DNA-Stränge wieder verbinden kann. Dieser Vorgang - Rekombination genannt - kann einzelne Gene vollständig entfernen oder längere Abschnitte der Chromosomen an andere Positionen verschieben.

Die Cre-Rekombinase kann nach Belieben angeschaltet werden, aber ihre Wirkung bleibt vollständig dem Zufall überlassen. Das Ergebnis ist ein beschleunigter und zufälliger Evolutionsprozess, an dessen Ende eine drastische Verkleinerung oder sogar grundlegende Neuordnung des Genoms stehen könnte. Ein Vergleich der neu entstandenen Varianten mit dem natürlichen Erbgut soll dann neue Einblicke ermöglichen, sowohl über die Funktion und Aufbau des Genoms als auch über den Ablauf der natürlichen Evolution.

In Zukunft noch radikaler?

Bis diese Versuche starten können, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Die noch fehlenden zehn Chromosomen sollen zwar bereits im nächsten Jahr zur Verfügung stehen, doch der letzte Schritt wird noch viel Mühe kosten: Die Zucht eines Hefe-Stammes, der alle synthetischen Chromosomen in sich vereinigt. Bislang beschränkte sich der Austausch auf einzelne Chromosomen, nur ein einziger Stamm enthält bereits zwei synthetische Versionen (plus ein halbfertiges Chromosom). Selbst wenn alles gut geht, wir das Projekt frühestens im Jahr 2020 beendet sein.

Doch bereits jetzt weckt Sc2.0 bei manchen Forschern die Lust auf mehr. George Church, der mit dem Projekt HGP-write die Synthese des menschlichen Genoms anstrebt, hält nun noch radikalere Eingriffe in das Erbgut für möglich. Und Paul Freemont, Ko-Direktor eines Zentrums für Synthetische Biologie in London, sagt bereits voraus, dass das natürliche Genom nur eine von vielen Optionen sein könnte.

Tatsächlich hat die Hefe bislang alle Manipulationen problemlos überstanden. Dies stützt die Hypothese, dass das Genom einem Bauplan gleicht, der in weiten Teilen verändert und angepasst werden kann. Wenn sich dies bewahrheitet, ist das synthetische Genom nur der erste Schritt, aus dem in vielen Jahren oder Jahrzehnten ein synthetischer Organismus entstehen könnte.